Bahnbrechendes Zufallsprodukt
Die Entdeckung der DNA in einem „Küchenlabor“
Wir haben immer geglaubt, dass unter dem Mikroskop erforschte wissenschaftliche Entdeckungen in hygienisch blitzblanker Umgebung zustande gekommen sind. Doch vor 150 Jahren wurde eine wichtige Information zum Bauplan des Lebens in einer Umgebung entdeckt, die sicher nicht so einwandfrei sauber war, wie man vermuten würde.
Labore, in denen Strukturen unter dem Mikroskop betrachtet werden, stellt man sich immer als klinisch reine Räume vor, in denen Wissenschaftler*innen in weißen Kitteln über Elektronen-Mikroskopen kauern und Ergebnisse auf Bildschirmen in Datenkurven angezeigt werden. Vor 150 Jahren wurde jedoch in einer Umgebung, die diesem Bild so gar nicht entspricht, eine äußerst wichtige Entdeckung gemacht.
Ausgerechnet in einer ehemaligen Küche in einem Schloss aus dem 11. Jahrhundert in Süddeutschland wurde nämlich ein wichtiger Baustein der Zelle entdeckt!
Die Substanz wurde „Nuklein“ benannt, später in Nukleinsäure und schließlich in Desoxyribonukleinsäure (DNA) umbenannt. Entdeckt wurde sie 1869 von dem damals 24-jährigen Schweizer Biochemiker Friedrich Miescher im Schlosslabor, das nichts anderes war als eine umfunktionierte Küche. Die zum Labor umfunktionierte Küche, in der die Nukleinsäure entdeckt wurde, ist inzwischen eine Dauerausstellung rund um die Entdeckung aus dem Jahr 1869 | © Nimish Sawant Das Spannende an der Sache: Miescher hatte es gar nicht darauf angelegt, Nukleinsäure zu finden. Seine Aufgabe war es, Proteine zu erforschen, wobei er ganz zufällig jenes „Nuklein“ entdeckte. Ein Zufall, der Mieschers Neugier weckte, noch weitere Forschungen in diese Richtung anzustellen.
Sämtliche Vorstöße in Sachen Genforschung, vor allem im Bereich der Biowissenschaften, verdanken wir unter anderem dieser Zufallsentdeckung. So gesehen ist es sehr schade, dass der Name Miescher in den Annalen der reinen Wissenschaftsforschung verschwunden ist, zumal viele Wissenschaftler*innen, die auf der Grundlage seiner Entdeckung weitergeforscht haben, sogar den Nobelpreis gewonnen und so international Ruhm und Ehre erfahren haben.
Johann Christian Reil (1759–1813), der Arzt von Johann Wolfgang von Goethe, gab ab 1796 das wissenschaftliche Magazin Archiv für Physiologie heraus, in dem es vornehmlich um die Bedeutung der Chemie für die Forschung an allen Lebewesen ging. Sein Schüler Georg Carl Ludwig Sigwarts (1784–1864), der zunächst Fischkunde in Halle an der Saale und Berlin studierte, ging im Jahr 1818 nach Tübingen, um dort Biochemie zu unterrichten. Sigwarts Nachfolger war einer seiner getreuen Anhänger, der Wissenschaftler Felix Hoppe-Seyler (1825–1895), der weiterhin im Bereich Biochemie forschte und dieses Fach 1866 auch als wissenschaftliches Studienfach etablierte. Hoppe-Seyler verdanken wir die Erkenntnis, dass Hämoglobin Eisen enthält. Bild des Schweizer Chemikers Friedrich Miescher, dem Entdecker der Nukleinsäure, mit Forschungsutensilien seiner Zeit, etwa einem Reagenzglas mit Nukleinsäure (Mitte) im Schlosslabor-Museum | © Nimish Sawant In den entscheidenden ersten Jahren, in denen sich die Biochemie als Lehrfach beweisen musste, waren alle Forscher in diesem Bereich in Tübingen ansässig. Die im Süden Baden-Württembergs gelegene Stadt mutet wie eine Kulisse aus Grimms Märchen an. Heute ist die Tübinger Universität für ihre Fachbereiche Theologie und Medizin äußerst renommiert. Dass sie jedoch auch im Fach Biochemie überragend ist, dokumentiert Professor Peter Bohley in seinem Buch Das Schlosslabor in der Küche von Hohentübingen: Wiege der Biochemie. Hier nämlich, in der Küche des Schlosses, hatte Hoppe-Seyler ein naturwissenschaftliches Labor eingerichtet. Im Jahr 1816 wurde das Schlossgebäude vom damaligen Regenten, König Wilhelm I., an die 1477 gegründete Tübinger Universität übergeben. Diese funktionierte den Rittersaal zur Bibliothek um, in den Nordostturm zog eine astrologische Beobachtungsstation ein, und das Biochemielabor entstand ausgerechnet in der Schlossküche.
Bei seinen Forschungen stellte Miescher fest, dass es schwierig war, aus Lymphdrüsen reine weiße Blutzellen zu isolieren, dies bei Eiter jedoch problemlos möglich war. Also besorgte er sich weggeworfenes Verbandsmaterial aus den umliegenden Kliniken und wusch den Eiter ab, um daraus weiße Blutkörperchen zu sammeln. Er extrahierte ein Verdauungsenzym namens Pepsin von der Schleimmembran eines Schweinemagens und injizierte darin die weißen Blutzellen. Dies hatte zur Folge, dass sich nur diese Zellen zersetzten, der Nukleus jedoch zurückblieb und weiter chemisch analysiert werden konnte.
Miescher hatte eigentlich den Auftrag, die Proteinstruktur in weißen Blutkörperchen zu erforschen, da man glaubte, anhand von Proteinen am besten den Aufbau einer Zelle verstehen zu können. Bei diesen Studien entdeckte er eine neue Substanz, die bei Zugabe von Säure präzipitiere (zur Pulverform erstarrte) und sich unter Zusatz von Alkalien sogar ganz auflöste. Somit konnte er also ein völlig neues Molekül aus dem Zellkern isolieren. Im Großen und Ganzen war dies die Geburtsstunde der DNA. Mischer war klar, dass diese neue Substanz kein Protein sein konnte, und bezeichnete sie als „Nuklein“.
Mischer fand heraus, dass dieses „Nuklein“ neben den normalen Proteinbestandteilen wie Karbon, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff auch eine große Menge an Phosphor enthält. Das Verhältnis von Phosphor und Stickstoff war dabei auffällig anders als in jedem anderen dokumentierten Molekül.
„Miescher entdeckte die Nukleinsäure 1869, veröffentlicht wurden seine Aufzeichnungen jedoch erst 1871“, erklärt Professor Bohley. „Hoppe-Seyler hat alle Experimente noch einmal durchgeführt, da er vor der Veröffentlichung unbedingt sichergehen wollte, dass die Ergebnisse hieb- und stichfest sind.“ Damit bestätigt er, dass Miescher eine fast reine Form von DNA erfolgreich isoliert hatte, obwohl ihm für seine Forschungen nur sehr wenige Hilfsmittel zur Verfügung gestanden hatten. Archivfoto des frühen Schlosslabors, dem Arbeitsplatz von Hoppe-Seyler und Miescher | © MUT Tübingen Im Jahr 2015 wurde das ehemalige Schlosslabor zu einer Dauerausstellung zur Geschichte der Biochemie umgebaut. Anhand von 3-D-Projektionen und Archivmaterial aus den 1860er-Jahren will man zeigen, wie Biochemiker damals gearbeitet haben. Eins der wertvollsten Exponate ist ein eigenhändig von Miescher beschriftetes Reagenzglas mit Nukleinsäure.
„Niemand, nicht einmal Miescher, wusste um die Bedeutung der Entdeckung der Nukleinsäure“, so Professor Bohley, „Watson und Crick, die den Nobelpreis dafür bekamen, dass sie die Doppelhelixstruktur entdeckt hatten, haben Mieschers Namen nie erwähnt, obwohl sie ohne seine vorherige Entdeckung wohl kaum auf die Doppelhelixstruktur gestoßen wären.“
Miescher verließ schließlich Tübingen und ging für ein Jahr nach Leipzig, um sich einem gänzlich anderen Thema zu widmen. Leider starb er 1895 an Tuberkulose. Da er immer ein Zweifler und Perfektionist war, war ihm die Bedeutung seiner eigenen Entdeckung, vor allem auch bei der Weitergabe des Erbguts, selbst nie ganz klar.
Wenn wir aus Mieschers Leben eine Lehre ziehen können, dann wohl diese: Man sollte auch den Zufallsprodukten, die bei der Forschung zu Tage treten, Beachtung schenken und niemals zu starr an Konventionen festhalten. Man weiß nie, was einen erwartet, und auch Irrwege und Fehler können einem letztendlich den Weg zu bahnbrechenden Entdeckungen weisen.
Ausgerechnet in einer ehemaligen Küche in einem Schloss aus dem 11. Jahrhundert in Süddeutschland wurde nämlich ein wichtiger Baustein der Zelle entdeckt!
Die Substanz wurde „Nuklein“ benannt, später in Nukleinsäure und schließlich in Desoxyribonukleinsäure (DNA) umbenannt. Entdeckt wurde sie 1869 von dem damals 24-jährigen Schweizer Biochemiker Friedrich Miescher im Schlosslabor, das nichts anderes war als eine umfunktionierte Küche. Die zum Labor umfunktionierte Küche, in der die Nukleinsäure entdeckt wurde, ist inzwischen eine Dauerausstellung rund um die Entdeckung aus dem Jahr 1869 | © Nimish Sawant Das Spannende an der Sache: Miescher hatte es gar nicht darauf angelegt, Nukleinsäure zu finden. Seine Aufgabe war es, Proteine zu erforschen, wobei er ganz zufällig jenes „Nuklein“ entdeckte. Ein Zufall, der Mieschers Neugier weckte, noch weitere Forschungen in diese Richtung anzustellen.
Sämtliche Vorstöße in Sachen Genforschung, vor allem im Bereich der Biowissenschaften, verdanken wir unter anderem dieser Zufallsentdeckung. So gesehen ist es sehr schade, dass der Name Miescher in den Annalen der reinen Wissenschaftsforschung verschwunden ist, zumal viele Wissenschaftler*innen, die auf der Grundlage seiner Entdeckung weitergeforscht haben, sogar den Nobelpreis gewonnen und so international Ruhm und Ehre erfahren haben.
Die Wiege der Biochemie
Die Existenz von Zellen wurde erstmals im Jahr 1665 von dem englischen Naturphilosophen Robert Hooke nachgewiesen, die Zelltheorie wurde jedoch erst in den 1830er-Jahren von dem deutschen Physiologen Theodor Schwann und dem deutschen Botaniker Matthias Jakob Schleiden aufgestellt. Mitte des 19. Jahrhunderts war man sich darüber einig, dass Zellen die kleinsten Strukturen sind, die den Bauplan des Lebens in sich tragen.Johann Christian Reil (1759–1813), der Arzt von Johann Wolfgang von Goethe, gab ab 1796 das wissenschaftliche Magazin Archiv für Physiologie heraus, in dem es vornehmlich um die Bedeutung der Chemie für die Forschung an allen Lebewesen ging. Sein Schüler Georg Carl Ludwig Sigwarts (1784–1864), der zunächst Fischkunde in Halle an der Saale und Berlin studierte, ging im Jahr 1818 nach Tübingen, um dort Biochemie zu unterrichten. Sigwarts Nachfolger war einer seiner getreuen Anhänger, der Wissenschaftler Felix Hoppe-Seyler (1825–1895), der weiterhin im Bereich Biochemie forschte und dieses Fach 1866 auch als wissenschaftliches Studienfach etablierte. Hoppe-Seyler verdanken wir die Erkenntnis, dass Hämoglobin Eisen enthält. Bild des Schweizer Chemikers Friedrich Miescher, dem Entdecker der Nukleinsäure, mit Forschungsutensilien seiner Zeit, etwa einem Reagenzglas mit Nukleinsäure (Mitte) im Schlosslabor-Museum | © Nimish Sawant In den entscheidenden ersten Jahren, in denen sich die Biochemie als Lehrfach beweisen musste, waren alle Forscher in diesem Bereich in Tübingen ansässig. Die im Süden Baden-Württembergs gelegene Stadt mutet wie eine Kulisse aus Grimms Märchen an. Heute ist die Tübinger Universität für ihre Fachbereiche Theologie und Medizin äußerst renommiert. Dass sie jedoch auch im Fach Biochemie überragend ist, dokumentiert Professor Peter Bohley in seinem Buch Das Schlosslabor in der Küche von Hohentübingen: Wiege der Biochemie. Hier nämlich, in der Küche des Schlosses, hatte Hoppe-Seyler ein naturwissenschaftliches Labor eingerichtet. Im Jahr 1816 wurde das Schlossgebäude vom damaligen Regenten, König Wilhelm I., an die 1477 gegründete Tübinger Universität übergeben. Diese funktionierte den Rittersaal zur Bibliothek um, in den Nordostturm zog eine astrologische Beobachtungsstation ein, und das Biochemielabor entstand ausgerechnet in der Schlossküche.
Der glückliche Zufall
Der Schweizer Wissenschaftler Friedrich Miescher (1844–1895) trat 1869 in den Dienst von Hoppe-Seyler. Zu einer Zeit, in der die Wissenschaft noch die Beschaffenheit einer Zelle erforschte, beschäftigte sich Hoppe-Seyler bereits mit den Molekülen, die einer Zelle zugrunde liegen. Seine Aufgabe war es, die Struktur der weißen Blutkörperchen zu untersuchen.Bei seinen Forschungen stellte Miescher fest, dass es schwierig war, aus Lymphdrüsen reine weiße Blutzellen zu isolieren, dies bei Eiter jedoch problemlos möglich war. Also besorgte er sich weggeworfenes Verbandsmaterial aus den umliegenden Kliniken und wusch den Eiter ab, um daraus weiße Blutkörperchen zu sammeln. Er extrahierte ein Verdauungsenzym namens Pepsin von der Schleimmembran eines Schweinemagens und injizierte darin die weißen Blutzellen. Dies hatte zur Folge, dass sich nur diese Zellen zersetzten, der Nukleus jedoch zurückblieb und weiter chemisch analysiert werden konnte.
Miescher hatte eigentlich den Auftrag, die Proteinstruktur in weißen Blutkörperchen zu erforschen, da man glaubte, anhand von Proteinen am besten den Aufbau einer Zelle verstehen zu können. Bei diesen Studien entdeckte er eine neue Substanz, die bei Zugabe von Säure präzipitiere (zur Pulverform erstarrte) und sich unter Zusatz von Alkalien sogar ganz auflöste. Somit konnte er also ein völlig neues Molekül aus dem Zellkern isolieren. Im Großen und Ganzen war dies die Geburtsstunde der DNA. Mischer war klar, dass diese neue Substanz kein Protein sein konnte, und bezeichnete sie als „Nuklein“.
Mischer fand heraus, dass dieses „Nuklein“ neben den normalen Proteinbestandteilen wie Karbon, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff auch eine große Menge an Phosphor enthält. Das Verhältnis von Phosphor und Stickstoff war dabei auffällig anders als in jedem anderen dokumentierten Molekül.
„Miescher entdeckte die Nukleinsäure 1869, veröffentlicht wurden seine Aufzeichnungen jedoch erst 1871“, erklärt Professor Bohley. „Hoppe-Seyler hat alle Experimente noch einmal durchgeführt, da er vor der Veröffentlichung unbedingt sichergehen wollte, dass die Ergebnisse hieb- und stichfest sind.“ Damit bestätigt er, dass Miescher eine fast reine Form von DNA erfolgreich isoliert hatte, obwohl ihm für seine Forschungen nur sehr wenige Hilfsmittel zur Verfügung gestanden hatten. Archivfoto des frühen Schlosslabors, dem Arbeitsplatz von Hoppe-Seyler und Miescher | © MUT Tübingen Im Jahr 2015 wurde das ehemalige Schlosslabor zu einer Dauerausstellung zur Geschichte der Biochemie umgebaut. Anhand von 3-D-Projektionen und Archivmaterial aus den 1860er-Jahren will man zeigen, wie Biochemiker damals gearbeitet haben. Eins der wertvollsten Exponate ist ein eigenhändig von Miescher beschriftetes Reagenzglas mit Nukleinsäure.
Wie ging es nach der Entdeckung weiter?
Mieschers Entdeckung muss im Zusammenhang mit dem vorangegangenen Jahrzehnt gesehen werden, das zahlreiche andere Errungenschaften zu verbuchen hatte. So hatte Charles Darwin 1859 sein Werk Über die Entstehung der Arten veröffentlich und damit die Wissenschaft der Evolution begründet. 1865 hatte Gregor Mendel eine Schrift über die Regeln der Vererbung herausgebracht. Beide Forscher sind heute weltberühmt, während der Name Miescher heute kaum noch jemandem etwas sagt. Im Jahr 1944, nur 75 Jahre nach Mieschers Entdeckung, haben Oswald Avery, Colin MacLeod und Maclyn McCarthy gezeigt, dass die DNA der Träger aller genetischen Informationen ist. 1953 legten Francis Crick und James Watson ihre Studie zur Doppelhelixstruktur der DNA vor.„Niemand, nicht einmal Miescher, wusste um die Bedeutung der Entdeckung der Nukleinsäure“, so Professor Bohley, „Watson und Crick, die den Nobelpreis dafür bekamen, dass sie die Doppelhelixstruktur entdeckt hatten, haben Mieschers Namen nie erwähnt, obwohl sie ohne seine vorherige Entdeckung wohl kaum auf die Doppelhelixstruktur gestoßen wären.“
Miescher verließ schließlich Tübingen und ging für ein Jahr nach Leipzig, um sich einem gänzlich anderen Thema zu widmen. Leider starb er 1895 an Tuberkulose. Da er immer ein Zweifler und Perfektionist war, war ihm die Bedeutung seiner eigenen Entdeckung, vor allem auch bei der Weitergabe des Erbguts, selbst nie ganz klar.
Wenn wir aus Mieschers Leben eine Lehre ziehen können, dann wohl diese: Man sollte auch den Zufallsprodukten, die bei der Forschung zu Tage treten, Beachtung schenken und niemals zu starr an Konventionen festhalten. Man weiß nie, was einen erwartet, und auch Irrwege und Fehler können einem letztendlich den Weg zu bahnbrechenden Entdeckungen weisen.