DJ Vladimir Ivkovic
„Was sind Fehler?“
DJ Vladimir Ivkovic hat während seiner langjährigen Residenz im Düsseldorfer Klub „Salon des Amateurs“ eine unberechenbare Handschrift entwickelt. Seine Sets sind geprägt von langsameren Tempi, psychedelischer Grundstimmung und großer stilistischer Offenheit. Ein Gespräch über die Bedeutung von Fehlern.
Vladimir, was war der erste Fehler in deinem Leben?
Als ich klein war, habe ich einmal Kaugummis im Supermarkt geklaut. Meine Mutter ist dann mit mir zurückgegangen und ich musste die Kaugummis zurückgeben. Ich habe mich so geschämt, dass ich so was nie wieder gemacht habe.
Spannend, dass du sofort einen Fehler ansprichst, der gegen die Regeln der Gemeinschaft verstößt.
Das öffnet dann viele Türen. Man fragt sich – muss ich das so akzeptieren? Natürlich kann man Argumente gegen diese Regel finden: Es soll Anarchie herrschen! Aber es ist Fakt, dass es etwas war, das nicht mir gehörte. Ich hatte keine Befugnis zu bestimmen, dass die Kaugummis nun zum allgemeinen sozialen Gut werden sollen.
Das waren sehr philosophische Gedanken für den kleinen Vladimir. Hast du damals im Nachklang darüber lange nachgedacht?
Ich war vielleicht sechs, aber diese Konfrontation mit dem eigenen Fehler war schmerzhaft, deswegen habe ich mir die Zeit zum Reflektieren genommen: Was sind Fehler? War das ein Fehler?
Bei der Angst davor, bloßgestellt zu werden, da sind wir ja direkt bei dem Ausgestelltsein von Künstler*innen auf der Bühne und hinter dem DJ-Pult. Denkst du beim Auflegen da noch drüber nach?
Nein, darüber nicht. Weil das dann meine eigene Verantwortung ist – und auch meine Freiheit. Es geht beim Auflegen um die existenziellen Ideen und Fragen: Sind wir frei? Haben wir Angst vor der eigenen Freiheit?
Wenn auf der Bühne Fehler passieren, stellt sich immer die Frage: Wer definiert diese Fehler? Für wen ist ein bestimmter Mix gut und für wen nicht? Natürlich sind es peinliche Situationen, wenn etwas danebengeht, wenn die Nadel springt, wenn irgendwas, was ich mir für einen Moment vorgestellt habe, nicht funktioniert. Wobei Letzteres die künstlerische Freiheit betrifft, das würde ich nicht dem strengen Fehlerbegriff unterordnen.
Richtig. Aber ich kann nicht die Verantwortung für die Wahrnehmung und das Leben jedes Einzelnen übernehmen. Wenn solche Momente entstehen, die auf den ersten Blick fehlerhaft sind, dann erzeugen die merkwürdige Brüche im Kontinuum der Partynacht und das weckt manchmal die Leute aus der Lethargie des Nachtlebens, aus der Lethargie des Konsums, der Unterhaltung, die Wochenende für Wochenende bei recht vielen sehr ähnlich ist.
Wie empfindest du denn als DJ, der schon lange dabei ist, die Ära der Synchronisierung von zwei aufeinanderfolgenden Tracks durch den Computer?
Für mich ist das eine negative Entwicklung. Da nähern wir uns einer Idee der Mensch-Maschine, die ich nicht teile. Dann kann man gleich einen vorher aufgenommenen perfekten Mix abspielen. Der künstlerische Ausdruck, die Sprache, die man entwickeln möchte und sucht, die ist von Anfang an nicht da. Da man die Geschwindigkeit genau ablesen kann, muss man nicht mehr vorhören … ich konzentriere mich also nicht mehr unbedingt auf die Inhalte, sondern eben auf den perfekten Übergang. Es holpert nichts, es gibt keinen Off-Beat – da sind wir im riesigen Brei der Belanglosigkeit.
Natürlich können so auch immer wieder gute Stücke gespielt werden, aber ich persönlich bin viel mehr daran interessiert, mit dem Unerwarteten konfrontiert zu werden. Ich möchte nicht im Automaten-Sumpf meine Nacht verbringen.
Genauso ist es! Manchmal fühlt es sich so an, als ob es jemand im Studio genau dafür produziert hat, dass es in falscher Geschwindigkeit abgespielt werden soll. Manchmal entstehen wiederum so merkwürdige Frequenzen, Fehler, wo ich mir dann nicht sicher bin, ob es in Ordnung ist, sie so abzuspielen. Das ist ein subjektives Empfinden, bei dem man sich der Öffentlichkeit aussetzt und mitteilt. Das klingt jetzt wie esoterische Hippiescheiße.
Das heißt, manchmal geht es dir schon so, dass du denkst: „Das war jetzt falsch!“.
Natürlich – das muss ich dann nicht noch mal machen. Auch das sehe ich aber nicht unbedingt als Fehler, sondern als Möglichkeitsfeld. In den 90er-Jahren gab es viele Platten, auf denen einfach nicht stand, in welcher Geschwindigkeit man sie abspielen sollte. Es gab kein YouTube, es gab kein Spotify, man konnte nirgendwo die Masterfiles hören und sich eine Bestätigung einholen. Diese Freiheit war ein Glücksmoment der Geschichte kurz vor dem großen Internetboom, wo dann alles vorgekaut wurde.
Das stimmt, heute findet man die Regeln bei der Recherche schnell und empfindet dann das Andersmachen auch leichter als falsch oder zumindest als nicht intendierten Umgang.
Richtig.
Woher kommt denn dein Interesse, Platten falsch abzuspielen? Kannst du festmachen, wann das begann?
Es gab in den 1990ern diesen wunderbaren Plattenladen in Essen, Important. Da gab es diese sogenannten Crusties, die sozial-trancigen Typen (Bezeichnung für moderne Elektro-Hippies, Anm. d. Red), die mit ihrem Stapel Platten zum Verkäufer hin sind – nach der dritten, vierten Platte war mein Gehirn wie frittiert wegen des 150 bpm Sequenzer-Horrors, dieser sehr schnellen und harten Synthesizer-Stakkati. Ich war dann oft nicht mehr in der Lage, meine Platten auszuwählen … aber eines Tages war da so ein junger Typ und hatte so acht, neun Platten ausgewählt. Der Verkäufer hat dann die erste Platte auf langsamer Geschwindigkeit gespielt, laut – und ich fragte mich: „Was war das jetzt?“. Er entschuldigte sich für den Fehler und spielte sie sofort auf 45 ab und ich war wieder in der Psytrance‑Hölle (sehr monotoner harter Trance-Stil aus den 90er-Jahren, Anmerkung der Redaktion). Also bat ich ihn, sie nochmals falsch anzuspielen und das klang so fantastisch und so neu und so offensichtlich richtig. Seit dem Tag bin ich auf meinen wöchentlichen Important-Records-Touren immer auch zur Psytrance-Wand gegangen und hab mir all diese Sachen auf 33 angehört und geschaut, wie sie auf mich wirken.
Vladimir Ivkovic beim Flow Festival Helsinki | © Thomas Venker Kommt es denn häufiger vor, dass jemand zu dir kommt und dich darauf hinweist, dass du die Platte in der falschen Geschwindigkeit spielst?
Ja, das gibt es auch. Aber die meisten erkennen es nicht. Gerade bei den großen Trance-Hits, an denen in den 90ern kaum jemand vorbeikam, die Eye-Q-Sachen zum Beispiel (Eye Q: 1990 von Sven Väth gegründete Plattenfirma für Trance-Musik, Anmerkung der Redaktion), da hören die Leute die bekannten Melodien, können es aber nicht einordnen.
Weshalb die Leute die Tracks auch nicht finden können mit der Musikerkennungssoftware Shazam. Man kann zwar heute das Richtige sofort finden, das Falsche aber eben nicht so leicht.
Das ist doch wunderbar. Ich bekomme oft zu den Liveaufnahmen E-Mails und über Soundcloud Anfragen, in denen Menschen nach Details zu den Tracks fragen – das beantworte ich immer höflichst mit „nein“. Es gibt im Klub keine Geheimnisse – jede*r, die oder der will, kann vorbeikommen und Fotos machen von der Platte, aufnehmen, aufschreiben. Aber diese besonderen Erlebnisse mühelos zu Hause zu bekommen, das kann ich nicht unterstützen. Wenn du Fragen hast, dann geh raus – du weißt, wo du uns findest. Diese Orte sind die letzten Rückzugsorte, in denen es nicht zu viel Überwachung gibt, mit einem gewissen Maß an Freiheit. Ich möchte das nicht zerstören, indem ich dieses Erlebnis woanders vermittle.
Wenn es um die Zusammenstellung der Platten geht, versuche ich nicht allzu viel Erwartung und Wissen anzuhäufen, bevor ich irgendwo hingehe. Denn wenn ich zu viel weiß, dann kann ich gleich zu Hause bleiben, dann sind wir auf einer Ebene der reinen Unterhaltung: Ich komme wohin und spiele etwas, was für mich keine Bedeutung hat, und frage mich nachher, was ich mit meiner Zeit, die knapp ist, auf diesem Planeten, gemacht habe. Es ist respektlos, die Leute für so dumm zu halten, dass ich mir anmaße zu wissen, was die wollen.
Ich hatte das mal mit einem neuen Laden in München. Die Ansage war, explizit keine Clubmusik zu spielen. Ein Freund, der dann aber kurz vorher da war, meinte, er hätte dann schnell groovige Tanzmusik spielen müssen für die Leute. Was soll ich denn dann machen? Ich hatte komplett falsche Platten.
Kamen da Leute dann auf dich zu, wie zum Beispiel mit dem Klassiker: „Du merkst schon, dass du den Dancefloor leerspielst, oder?“
Ja, natürlich, das passiert immer wieder. Das hätte mich vielleicht vor 20, 25 Jahren gestört. Ich möchte die Leute auch nicht quälen, aber ich habe mit der Zeit gelernt, dass es neben dem einen, der sich missverstanden oder gar beleidigt fühlt, immer einen anderen gibt, der möglicherweise nach Hause geht und das nächste Mal fünf Freunde bringt. Der Salon des Amateurs in Düsseldorf hat dabei eine große Rolle gespielt.
Geht es dir denn oft so, dass du in den Sets anderer DJs oder bei Liveacts Fehler hörst?
Das einzig Falsche ist, wenn ich das Gefühl habe, dass da nur ein Programm dargeboten wird, das mit der Zeit, dem Ort und den Leuten nichts zu tun hat.
Da wären wir wieder beim Fehler: Ego ist ein Fehler! Die Überheblichkeit der Leute. Wenn ich die Gefühle der Leute nicht erspüren kann, dann bin ich fehl am Platz.
Was ist der letzte künstlerische Fehler, den du begangen hast?
Das war vor vier Jahren in Winterthur im Kraftfeld, einem Allnight-Set. Ich hatte vorher den sehr witzigen Flyer geschickt bekommen: Der Grafiker hat mich nachgezeichnet, statt Pupillen hatte ich Smileys in den Augen, sehr psychedelisch. Also dachte ich mir, wenn die das so ankündigen, nehme ich auch Musik mit, die ich mit solchen Bildern assoziiere. Es sollte sich als die komplett falsche Musik herausstellen. Ein Typ lief wütend auf die Bühne rauf und fragte mich, ob die ganze Nacht sowas laufen wird oder ob es Techno gibt. Da war es gerade mal zehn vor zwölf.
Die 30 Leute, die am Ende dageblieben sind, die waren alle auf der Tanzfläche und wir haben diese Nacht als tiefgehende Erfahrung erlebt. Jahre später treffe ich immer noch Leute, die da waren und die es ermutigt hat, dass es ein anderes Leben jenseits der vorprogrammierten Standardsachen gibt.
Am Ende der Nacht bin ich mit dem Bookingagenten zum Hotel gelaufen und habe mich entschuldigt, ihm erklärt, was ich mir dabei gedacht habe und dass ich verstehen kann, wenn er sauer ist, da der Thekenumsatz nicht funktioniert hat, da alle nach Hause gegangen sind. Ich bot ihm an, umsonst wiederzukommen und es wiedergutzumachen. Er schaute mich nur an und meinte, es sei die beste Nacht seines Lebens gewesen. Ich habe danach noch drei Mal in Winterthur gespielt, es war immer wunderbar.
Als ich klein war, habe ich einmal Kaugummis im Supermarkt geklaut. Meine Mutter ist dann mit mir zurückgegangen und ich musste die Kaugummis zurückgeben. Ich habe mich so geschämt, dass ich so was nie wieder gemacht habe.
Spannend, dass du sofort einen Fehler ansprichst, der gegen die Regeln der Gemeinschaft verstößt.
Das öffnet dann viele Türen. Man fragt sich – muss ich das so akzeptieren? Natürlich kann man Argumente gegen diese Regel finden: Es soll Anarchie herrschen! Aber es ist Fakt, dass es etwas war, das nicht mir gehörte. Ich hatte keine Befugnis zu bestimmen, dass die Kaugummis nun zum allgemeinen sozialen Gut werden sollen.
Das waren sehr philosophische Gedanken für den kleinen Vladimir. Hast du damals im Nachklang darüber lange nachgedacht?
Ich war vielleicht sechs, aber diese Konfrontation mit dem eigenen Fehler war schmerzhaft, deswegen habe ich mir die Zeit zum Reflektieren genommen: Was sind Fehler? War das ein Fehler?
Bei der Angst davor, bloßgestellt zu werden, da sind wir ja direkt bei dem Ausgestelltsein von Künstler*innen auf der Bühne und hinter dem DJ-Pult. Denkst du beim Auflegen da noch drüber nach?
Nein, darüber nicht. Weil das dann meine eigene Verantwortung ist – und auch meine Freiheit. Es geht beim Auflegen um die existenziellen Ideen und Fragen: Sind wir frei? Haben wir Angst vor der eigenen Freiheit?
Wenn auf der Bühne Fehler passieren, stellt sich immer die Frage: Wer definiert diese Fehler? Für wen ist ein bestimmter Mix gut und für wen nicht? Natürlich sind es peinliche Situationen, wenn etwas danebengeht, wenn die Nadel springt, wenn irgendwas, was ich mir für einen Moment vorgestellt habe, nicht funktioniert. Wobei Letzteres die künstlerische Freiheit betrifft, das würde ich nicht dem strengen Fehlerbegriff unterordnen.
Mensch & Technik
Streikende Technik ist natürlich nicht dein Fehler, es kann aber von den Leuten so verstanden werden.Richtig. Aber ich kann nicht die Verantwortung für die Wahrnehmung und das Leben jedes Einzelnen übernehmen. Wenn solche Momente entstehen, die auf den ersten Blick fehlerhaft sind, dann erzeugen die merkwürdige Brüche im Kontinuum der Partynacht und das weckt manchmal die Leute aus der Lethargie des Nachtlebens, aus der Lethargie des Konsums, der Unterhaltung, die Wochenende für Wochenende bei recht vielen sehr ähnlich ist.
Wie empfindest du denn als DJ, der schon lange dabei ist, die Ära der Synchronisierung von zwei aufeinanderfolgenden Tracks durch den Computer?
Für mich ist das eine negative Entwicklung. Da nähern wir uns einer Idee der Mensch-Maschine, die ich nicht teile. Dann kann man gleich einen vorher aufgenommenen perfekten Mix abspielen. Der künstlerische Ausdruck, die Sprache, die man entwickeln möchte und sucht, die ist von Anfang an nicht da. Da man die Geschwindigkeit genau ablesen kann, muss man nicht mehr vorhören … ich konzentriere mich also nicht mehr unbedingt auf die Inhalte, sondern eben auf den perfekten Übergang. Es holpert nichts, es gibt keinen Off-Beat – da sind wir im riesigen Brei der Belanglosigkeit.
Natürlich können so auch immer wieder gute Stücke gespielt werden, aber ich persönlich bin viel mehr daran interessiert, mit dem Unerwarteten konfrontiert zu werden. Ich möchte nicht im Automaten-Sumpf meine Nacht verbringen.
Das falsche Leben im richtigen
Du bist bekannt dafür, dass du Platten nicht immer in ihrer intendierten Geschwindigkeit laufen lässt. Also solche mit einer Geschwindigkeit von 33 Umdrehungen pro Minute fälschlicherweise viel schneller auf 45 und umgekehrt. Du siehst etwas in der Textur, die sich da entwickelt und das möchtest du mit den Leuten teilen. Es ist für dich kein Fehler.Genauso ist es! Manchmal fühlt es sich so an, als ob es jemand im Studio genau dafür produziert hat, dass es in falscher Geschwindigkeit abgespielt werden soll. Manchmal entstehen wiederum so merkwürdige Frequenzen, Fehler, wo ich mir dann nicht sicher bin, ob es in Ordnung ist, sie so abzuspielen. Das ist ein subjektives Empfinden, bei dem man sich der Öffentlichkeit aussetzt und mitteilt. Das klingt jetzt wie esoterische Hippiescheiße.
Das heißt, manchmal geht es dir schon so, dass du denkst: „Das war jetzt falsch!“.
Natürlich – das muss ich dann nicht noch mal machen. Auch das sehe ich aber nicht unbedingt als Fehler, sondern als Möglichkeitsfeld. In den 90er-Jahren gab es viele Platten, auf denen einfach nicht stand, in welcher Geschwindigkeit man sie abspielen sollte. Es gab kein YouTube, es gab kein Spotify, man konnte nirgendwo die Masterfiles hören und sich eine Bestätigung einholen. Diese Freiheit war ein Glücksmoment der Geschichte kurz vor dem großen Internetboom, wo dann alles vorgekaut wurde.
Das stimmt, heute findet man die Regeln bei der Recherche schnell und empfindet dann das Andersmachen auch leichter als falsch oder zumindest als nicht intendierten Umgang.
Richtig.
Woher kommt denn dein Interesse, Platten falsch abzuspielen? Kannst du festmachen, wann das begann?
Es gab in den 1990ern diesen wunderbaren Plattenladen in Essen, Important. Da gab es diese sogenannten Crusties, die sozial-trancigen Typen (Bezeichnung für moderne Elektro-Hippies, Anm. d. Red), die mit ihrem Stapel Platten zum Verkäufer hin sind – nach der dritten, vierten Platte war mein Gehirn wie frittiert wegen des 150 bpm Sequenzer-Horrors, dieser sehr schnellen und harten Synthesizer-Stakkati. Ich war dann oft nicht mehr in der Lage, meine Platten auszuwählen … aber eines Tages war da so ein junger Typ und hatte so acht, neun Platten ausgewählt. Der Verkäufer hat dann die erste Platte auf langsamer Geschwindigkeit gespielt, laut – und ich fragte mich: „Was war das jetzt?“. Er entschuldigte sich für den Fehler und spielte sie sofort auf 45 ab und ich war wieder in der Psytrance‑Hölle (sehr monotoner harter Trance-Stil aus den 90er-Jahren, Anmerkung der Redaktion). Also bat ich ihn, sie nochmals falsch anzuspielen und das klang so fantastisch und so neu und so offensichtlich richtig. Seit dem Tag bin ich auf meinen wöchentlichen Important-Records-Touren immer auch zur Psytrance-Wand gegangen und hab mir all diese Sachen auf 33 angehört und geschaut, wie sie auf mich wirken.
Vladimir Ivkovic beim Flow Festival Helsinki | © Thomas Venker Kommt es denn häufiger vor, dass jemand zu dir kommt und dich darauf hinweist, dass du die Platte in der falschen Geschwindigkeit spielst?
Ja, das gibt es auch. Aber die meisten erkennen es nicht. Gerade bei den großen Trance-Hits, an denen in den 90ern kaum jemand vorbeikam, die Eye-Q-Sachen zum Beispiel (Eye Q: 1990 von Sven Väth gegründete Plattenfirma für Trance-Musik, Anmerkung der Redaktion), da hören die Leute die bekannten Melodien, können es aber nicht einordnen.
Weshalb die Leute die Tracks auch nicht finden können mit der Musikerkennungssoftware Shazam. Man kann zwar heute das Richtige sofort finden, das Falsche aber eben nicht so leicht.
Das ist doch wunderbar. Ich bekomme oft zu den Liveaufnahmen E-Mails und über Soundcloud Anfragen, in denen Menschen nach Details zu den Tracks fragen – das beantworte ich immer höflichst mit „nein“. Es gibt im Klub keine Geheimnisse – jede*r, die oder der will, kann vorbeikommen und Fotos machen von der Platte, aufnehmen, aufschreiben. Aber diese besonderen Erlebnisse mühelos zu Hause zu bekommen, das kann ich nicht unterstützen. Wenn du Fragen hast, dann geh raus – du weißt, wo du uns findest. Diese Orte sind die letzten Rückzugsorte, in denen es nicht zu viel Überwachung gibt, mit einem gewissen Maß an Freiheit. Ich möchte das nicht zerstören, indem ich dieses Erlebnis woanders vermittle.
Ego ist ein Fehler!
Was passiert bei einer Veranstaltung, wenn Ort und Musik nicht zusammenpassen?Wenn es um die Zusammenstellung der Platten geht, versuche ich nicht allzu viel Erwartung und Wissen anzuhäufen, bevor ich irgendwo hingehe. Denn wenn ich zu viel weiß, dann kann ich gleich zu Hause bleiben, dann sind wir auf einer Ebene der reinen Unterhaltung: Ich komme wohin und spiele etwas, was für mich keine Bedeutung hat, und frage mich nachher, was ich mit meiner Zeit, die knapp ist, auf diesem Planeten, gemacht habe. Es ist respektlos, die Leute für so dumm zu halten, dass ich mir anmaße zu wissen, was die wollen.
Ich hatte das mal mit einem neuen Laden in München. Die Ansage war, explizit keine Clubmusik zu spielen. Ein Freund, der dann aber kurz vorher da war, meinte, er hätte dann schnell groovige Tanzmusik spielen müssen für die Leute. Was soll ich denn dann machen? Ich hatte komplett falsche Platten.
Kamen da Leute dann auf dich zu, wie zum Beispiel mit dem Klassiker: „Du merkst schon, dass du den Dancefloor leerspielst, oder?“
Ja, natürlich, das passiert immer wieder. Das hätte mich vielleicht vor 20, 25 Jahren gestört. Ich möchte die Leute auch nicht quälen, aber ich habe mit der Zeit gelernt, dass es neben dem einen, der sich missverstanden oder gar beleidigt fühlt, immer einen anderen gibt, der möglicherweise nach Hause geht und das nächste Mal fünf Freunde bringt. Der Salon des Amateurs in Düsseldorf hat dabei eine große Rolle gespielt.
Geht es dir denn oft so, dass du in den Sets anderer DJs oder bei Liveacts Fehler hörst?
Das einzig Falsche ist, wenn ich das Gefühl habe, dass da nur ein Programm dargeboten wird, das mit der Zeit, dem Ort und den Leuten nichts zu tun hat.
Da wären wir wieder beim Fehler: Ego ist ein Fehler! Die Überheblichkeit der Leute. Wenn ich die Gefühle der Leute nicht erspüren kann, dann bin ich fehl am Platz.
Was ist der letzte künstlerische Fehler, den du begangen hast?
Das war vor vier Jahren in Winterthur im Kraftfeld, einem Allnight-Set. Ich hatte vorher den sehr witzigen Flyer geschickt bekommen: Der Grafiker hat mich nachgezeichnet, statt Pupillen hatte ich Smileys in den Augen, sehr psychedelisch. Also dachte ich mir, wenn die das so ankündigen, nehme ich auch Musik mit, die ich mit solchen Bildern assoziiere. Es sollte sich als die komplett falsche Musik herausstellen. Ein Typ lief wütend auf die Bühne rauf und fragte mich, ob die ganze Nacht sowas laufen wird oder ob es Techno gibt. Da war es gerade mal zehn vor zwölf.
Die 30 Leute, die am Ende dageblieben sind, die waren alle auf der Tanzfläche und wir haben diese Nacht als tiefgehende Erfahrung erlebt. Jahre später treffe ich immer noch Leute, die da waren und die es ermutigt hat, dass es ein anderes Leben jenseits der vorprogrammierten Standardsachen gibt.
Am Ende der Nacht bin ich mit dem Bookingagenten zum Hotel gelaufen und habe mich entschuldigt, ihm erklärt, was ich mir dabei gedacht habe und dass ich verstehen kann, wenn er sauer ist, da der Thekenumsatz nicht funktioniert hat, da alle nach Hause gegangen sind. Ich bot ihm an, umsonst wiederzukommen und es wiedergutzumachen. Er schaute mich nur an und meinte, es sei die beste Nacht seines Lebens gewesen. Ich habe danach noch drei Mal in Winterthur gespielt, es war immer wunderbar.