Psychologie
Der fundamentale Fehler von Lee Ross
Warum neigen Menschen dazu, das Fehlverhalten anderer durch deren Persönlichkeit zu erklären, wo doch kontextuelle Erklärungen plausibler sind?
Wenn der amerikanische Sozialpsychologe Lee Ross die Menschen als grundlegend individualistisch beschrieben hat, geschah dies, weil er
a) menschenfeindlich und gemein ist.
b) von seinen kulturellen Vorbehalten und denen der Studienteilnehmer*innen geblendet war.
Wenn du meinst, dass a) zutrifft, hast du aller Wahrscheinlichkeit nach einen sogenannten Attributionsfehler begangen.
Im Jahr 1977 veröffentlichte Lee Ross, Professor an der Stanford University in Kalifornien, einen wissenschaftlichen Artikel, der die sozialpsychologische Forschung prägen sollte. In dem Artikel, der dem Fachpersonal im Bereich psychische Gesundheit die eigenen Vorurteile bewusst machen sollte, wird postuliert, dass Individuen, darunter auch Psycholog*innen, dazu neigen, das negative Verhalten von Menschen durch ihre Persönlichkeit, also durch intrinsische Dispositionen, zu erklären, selbst wenn kontextuelle Erklärungen plausibler wären. Diese Neigung zu individualistischen Erklärungen, so Ross, führt dazu, dass wir „fundamentale Attributionsfehler“ begehen, die unser Urteilsvermögen verzerren – und dass bei Psychiatern die Wahl der Behandlungsmethode davon beeinflusst wird.
Seitdem wurde dieses revolutionäre Konzept auf breiter Ebene angenommen und alle seine Implikationen wurden ausgiebig erforscht. Die Behauptungen jedoch zum Teil widerlegt.
1984 führte Lee Ross‘ Kollegin Joan G. Miller eine vergleichende Studie durch, in der die Rolle der Kultur in sogenannten „Attributionsverzerrungen“ untersucht wurde. Es gab zwei vergleichbare Teilnehmergruppen, eine in Chicago in den USA und eine in Mysore in Indien. Die Gruppe in Indien waren Hindus und die Amerikaner waren Protestant*innen. Die Forscher*innen der University of Chicago baten alle Teilnehmer*innen, über ein von ihnen beobachtetes Fehlverhalten zu berichten und zu erklären, warum die betroffene Person ihrer Meinung nach so gehandelt hätte.
Ein indischer Teilnehmer berichtete, einem Arbeiter einen Vorschuss für eine Arbeit gezahlt zu haben, die dieser jedoch nie leistete. Der Mann führte das Verhalten auf die prekäre finanzielle Situation des Arbeiters zurück, der mit den Rupien das Weite gesucht hatte. Ein amerikanischer Teilnehmer hingegen sagte, einer seiner Kollegen habe seine Ideen gestohlen, indem er sie als seine eigenen ausgab, und erklärte dieses Verhalten durch die egoistische Persönlichkeit seines Kollegen.
Die Erklärungen der Teilnehmer*innen wurden ausgewertet und in zwei Kategorien unterteilt: kontextuelle Erklärungen oder Erklärungen, die sich auf die Persönlichkeit des Menschen bezogen, der ein Fehlverhalten gezeigt hat. Es zeigte sich, dass 45 Prozent der von den amerikanischen Teilnehmer*innen gelieferten Erklärungen persönlichkeitsbezogen waren und nur 15 Prozent kontextuell. Unter den indischen Teilnehmern wurden nur 15 Prozent der Handlungen mit der Persönlichkeit des Übeltäters erklärt und 32 Prozent mit dem Kontext. Insgesamt waren hinduistische Teilnehmer*innen viel eher geneigt als ihre protestantischen Gegenüber, negatives Verhalten als kontextbedingt anzusehen.
Millers Studie zeigte auch, dass die die Wahrnehmungsverzerrung mit zunehmendem Alter ansteigt. So nennen lediglich 13 Prozent der amerikanischen Teilnehmer*innen zwischen acht und elf Jahren die Persönlichkeit des anderen als Grund, in der Gruppe der 15-jährigen lag dieser Prozentsatz bereits bei 30 Prozent. Dies besagt, dass wir nicht mit unseren Zuschreibungsverzerrungen auf die Welt kommen, sondern dass Lernen und kulturelle Faktoren auch eine wichtige Rolle spielen.
Im Laufe der Jahre stellten die Forscher überdies fest, dass es nicht zwangsläufig ein Fehler ist, negatives Verhalten einer intrinsischen Disposition zuzuschreiben. Wenn Menschen die Persönlichkeit anderer kritisieren, die ihnen geschadet haben, haben sie nicht immer Unrecht. Umgekehrt haben diejenigen, die negative Handlungen anhand von Kontext erklären, nicht immer Recht.
Fundamentale Attributionsfehler wären demnach … umstandsbedingt.
a) menschenfeindlich und gemein ist.
b) von seinen kulturellen Vorbehalten und denen der Studienteilnehmer*innen geblendet war.
Wenn du meinst, dass a) zutrifft, hast du aller Wahrscheinlichkeit nach einen sogenannten Attributionsfehler begangen.
Im Jahr 1977 veröffentlichte Lee Ross, Professor an der Stanford University in Kalifornien, einen wissenschaftlichen Artikel, der die sozialpsychologische Forschung prägen sollte. In dem Artikel, der dem Fachpersonal im Bereich psychische Gesundheit die eigenen Vorurteile bewusst machen sollte, wird postuliert, dass Individuen, darunter auch Psycholog*innen, dazu neigen, das negative Verhalten von Menschen durch ihre Persönlichkeit, also durch intrinsische Dispositionen, zu erklären, selbst wenn kontextuelle Erklärungen plausibler wären. Diese Neigung zu individualistischen Erklärungen, so Ross, führt dazu, dass wir „fundamentale Attributionsfehler“ begehen, die unser Urteilsvermögen verzerren – und dass bei Psychiatern die Wahl der Behandlungsmethode davon beeinflusst wird.
Seitdem wurde dieses revolutionäre Konzept auf breiter Ebene angenommen und alle seine Implikationen wurden ausgiebig erforscht. Die Behauptungen jedoch zum Teil widerlegt.
1984 führte Lee Ross‘ Kollegin Joan G. Miller eine vergleichende Studie durch, in der die Rolle der Kultur in sogenannten „Attributionsverzerrungen“ untersucht wurde. Es gab zwei vergleichbare Teilnehmergruppen, eine in Chicago in den USA und eine in Mysore in Indien. Die Gruppe in Indien waren Hindus und die Amerikaner waren Protestant*innen. Die Forscher*innen der University of Chicago baten alle Teilnehmer*innen, über ein von ihnen beobachtetes Fehlverhalten zu berichten und zu erklären, warum die betroffene Person ihrer Meinung nach so gehandelt hätte.
Ein indischer Teilnehmer berichtete, einem Arbeiter einen Vorschuss für eine Arbeit gezahlt zu haben, die dieser jedoch nie leistete. Der Mann führte das Verhalten auf die prekäre finanzielle Situation des Arbeiters zurück, der mit den Rupien das Weite gesucht hatte. Ein amerikanischer Teilnehmer hingegen sagte, einer seiner Kollegen habe seine Ideen gestohlen, indem er sie als seine eigenen ausgab, und erklärte dieses Verhalten durch die egoistische Persönlichkeit seines Kollegen.
Die Erklärungen der Teilnehmer*innen wurden ausgewertet und in zwei Kategorien unterteilt: kontextuelle Erklärungen oder Erklärungen, die sich auf die Persönlichkeit des Menschen bezogen, der ein Fehlverhalten gezeigt hat. Es zeigte sich, dass 45 Prozent der von den amerikanischen Teilnehmer*innen gelieferten Erklärungen persönlichkeitsbezogen waren und nur 15 Prozent kontextuell. Unter den indischen Teilnehmern wurden nur 15 Prozent der Handlungen mit der Persönlichkeit des Übeltäters erklärt und 32 Prozent mit dem Kontext. Insgesamt waren hinduistische Teilnehmer*innen viel eher geneigt als ihre protestantischen Gegenüber, negatives Verhalten als kontextbedingt anzusehen.
Millers Studie zeigte auch, dass die die Wahrnehmungsverzerrung mit zunehmendem Alter ansteigt. So nennen lediglich 13 Prozent der amerikanischen Teilnehmer*innen zwischen acht und elf Jahren die Persönlichkeit des anderen als Grund, in der Gruppe der 15-jährigen lag dieser Prozentsatz bereits bei 30 Prozent. Dies besagt, dass wir nicht mit unseren Zuschreibungsverzerrungen auf die Welt kommen, sondern dass Lernen und kulturelle Faktoren auch eine wichtige Rolle spielen.
Im Laufe der Jahre stellten die Forscher überdies fest, dass es nicht zwangsläufig ein Fehler ist, negatives Verhalten einer intrinsischen Disposition zuzuschreiben. Wenn Menschen die Persönlichkeit anderer kritisieren, die ihnen geschadet haben, haben sie nicht immer Unrecht. Umgekehrt haben diejenigen, die negative Handlungen anhand von Kontext erklären, nicht immer Recht.
Fundamentale Attributionsfehler wären demnach … umstandsbedingt.
Weiterlesen
Joan G. Miller: Culture and the development of everyday social explanation in Journal of Personality and Social Psychology, 46, 5, 961–978 (1984).
Lee Ross: The intuitive psychologist and his shortcomings: Distortions in the attribution process, in Leonard Berkowitz (Hrsg.): Advances in Experimental Social Psychology, 173–220 (Academy Press, 1977).
John H. Harvey, Jerri P. Town und Kerry L. Yarkin: How fundamental is ‘the fundamental attribution error‘? in Journal of Personality and Social Psychology, 40, 2, 346–349 (1981).