Zerbrechliche Kindheit, stürmische Liebe und Jugend am sozialen Brennpunkt – deutsche Filme zeigen sehr verschiedene Bilder der Vergangenheit.
Siebziger, Achtziger, Neunziger und das Beste von heute – nach dem Motto schlechter Musikradios kann man auf dieser Berlinale ziemlich gut durch die Jahrzehnte reisen, nicht zuletzt in deutschen Filmen. Sonja Heiss‘ schöner Coming-of-age-Film Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war (Generation) – nebenbei auch ein toller Berlinale-Titel, immer passend – beginnt in den westdeutschen 1970er-Jahren. Nicht jeder wächst auf dem Gelände einer psychiatrischen Heilanstalt auf, wie der kleine Arztsohn Josse – und wie der Autor, Regisseur und vielfach preisgekrönte Schauspieler Joachim Meyerhoff, auf dessen Bestseller-Romanen der Film beruht. Aber für den Filmjungen Josse ist das normal, und der Blick auf die psychisch Kranken im Film nicht weniger zärtlich. Dann bricht alles zusammen, aus ganz anderen Gründen. Josse erlebt Trauer, erste Liebe und Verluste – man nennt es wohl Erwachsenwerden.Einen eher verträumten Blick zurück wirft auch Emily Atef in Irgendwann werden wir uns alles erzählen (Wettbewerb), ein Liebesdrama aus dem deutschen Wendesommer 1990. Der Bezug zu historischen Umständen ist marginal, aber durch Atefs lichtdurchflutete Bilder einer ostdeutschen Landidylle weht zumindest der Geist des Aufbruchs. Bemerkenswert sind weniger die etwas schablonenhafte Dialoge und Kommentare zu den Zeitumständen („Jetzt regiert das Geld, die D-Mark!“) als einige robuste Sexszenen zwischen der 18-jährigen Maria und dem doppelt so alten Henner. Die Lust am Verbotenen, am Spiel mit Kontrolle und Unterwerfung kratzt an Tabus.
Du hast keine Chance …
Das Gegenteil von Nostalgie liefert Sonne und Beton (Berlinale Special) von David Wnendt, der hier den autobiografischen Bestseller von Felix Lobrecht verfilmt – erfolgreicher Stand-Up-Comedian, Podcaster und Romanautor. Die Jugendstudie aus der Berliner Großwohnsiedlung Gropiusstadt, bekannt durch Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo (1981), verstört zunächst durch Brutalität, ultraharte Milieusprache, totale Hoffnungslosigkeit, aber fasziniert auch durch unerklärliche Poesie. Wnendts Ausflug ins Jahr 2003, die sozial härteste Phase der Nachwendezeit, war der Berlinale-Leitung vielleicht zu wenig artifiziell für den Wettbewerb. An vergleichbare Klassiker wie La Haine (1995) oder Trainspotting (1996) kann der Film nicht ganz anschließen. Dennoch hätte das brachiale und gleichzeitig feinfühlige Drama um Lukas, Julius, Gino und Sanchez jede Aufmerksamkeit verdient, weil es international auf jeden Fall das hat, was diese Kids im Film nicht haben, nämlich eine Chance. Ob die noch ausstehenden Wettbewerbsbeiträge eine solche überzeugende Kraft wie dieses Werk entfalten, bleibt abzuwarten.Februar 2023