In den meisten Ländern der Welt hat die COVID-19 Pandemie eine Ausnahmesituation hervorgerufen. Ausgangssperren, soziale Isolation und wirtschaftlicher Verfall machen den Menschen sowie ihren Regierungen zu schaffen. Auch in Algerien haben viele ihre Arbeit verloren und kommen kaum über die Runden. Die Zivilgesellschaft hilft dort, wo Behörden versagen.
Schon seit dem Ausbruch der COVID-19 Pandemie ist Algerien eines der Länder in Afrika, das am stärksten betroffen ist. Im März begannen hier die Behörden Maßnahmen zur Eindämmung des Virus zu ergreifen. Diese umfassten bislang die Schließung von Schulen, Universitäten, Restaurants und Läden; die Absage öffentlicher und privater Veranstaltungen; und die Einstellung öffentlicher Verkehrsmittel und Flugdienstleistungen. In betroffenen Gebieten sind Ausgangsbeschränkungen bzw. in mehreren Städten, darunter Algier, Sperrstunden verhängt worden.Tatsächlich wird das Land nicht nur von einem, sondern gleich zwei Ereignissen erschüttert: der Ausbreitung von COVID-19 und dem rasanten Einbruch der Ölpreise. Die Regierung versucht die Gehälter im öffentlichen Sektor sowie Ausgaben für medizinischen Versorgung weiterhin zu gewährleisten. Auch gibt es große Anstrengungen, der Ausbreitung des Coronavirus Einhalt zu gebieten.
Die Schwere der Gesundheitskrise stellt auch die Widerstands- und Leistungsfähigkeit der algerischen Zivilgesellschaft auf die Probe. In den verschiedenen Regionen des Landes kam es zur Gründung von Bürgerinitiativen, um die Unzulänglichkeiten der Behörden auszugleichen und den Gefährdetsten der Gesellschaft beiseite zu stehen. Eine unglaubliche Woge der Solidarität erhob sich und mobilisierte zahlreiche Vereine, private Wirtschaftsakteure, informelle Netzwerke junger Menschen und einzelne Bürgerinnen und Bürger
Solidarität vor Ort…
In der Stadt Tizi Ouzou in der Kabylei organisiert die Initiative SOS Kabylie, in Partnerschaft mit Jeunesse Sportive de Kabylie (JSK), eine Spendenaktion und Lebensmittelsammlung zur Unterstützung von Krankenhäusern und bedürftigen Familien. Nicht unerhebliche Mengen Nahrung sind schon in viele Gemeinden der Region transportiert und dort von Beamten und Dorfkomitees verteilt worden. Damit soll auch verhindert werden, dass Familien infolge der Pandemie abwandern müssen.Eine Initiative namens Solidarité Populaire, die von der Organisation Cœur sur la main, gestartet wurde, schafft Nahrungsmittel zu Familien in Regionen, die von der Epidemie am härtesten getroffen wurden, wie Blida in Nordalgerien. „Diese Initiative stellt wöchentliche Nahrungsmittelkörbe bereit“, erklärt Fares Kader Affak, Präsident der Organisation. „Sie gehen an Familien, die normalerweise von Tagelohn leben und nun während der Epidemie völlig mittellos sind. Für Kinder haben wir auch Milch und Windeln“. Hier muss erwähnt werden, dass ein Großteil von Algeriens Arbeitskräften im informellen Sektor tätig ist. Die Aufforderung, sich an die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus zu halten, hat hunderttausende Familien in eine dramatische Lage gebracht. „Mit der Initiative konnten wir jedoch schon 640 Familien helfen: 440 davon in Algier und 200 in Blida. 1 860 Nahrungsmittelkörbe wurden allein in Algier ausgeteilt”, fügt Fares hinzu.
… und Online
Auch im digitalen Raum gibt es mehrere erwähnenswerte Initiativen. Net3awno (dt.: Lasst uns einander helfen!) ist eine kollaborative Plattform, auf der Organisationen, Solidaritätsgruppen und Individuen, die sich in Algerien für wohltätige Zwecke einsetzen, mit potenziellen Spendern in Verbindung gesetzt werden. Net3awno soll Engagement auf lokaler Ebene fördern und sicherstellen, dass auf die spezifischen Bedürfnisse verschiedener Bevölkerungsgruppen eingegangen wird. Die Plattform ist leicht zu manövrieren: Man meldet sich an, erstellt ein Profil (als Einzelperson oder Organisation) und wählt eine von zwei Optionen aus, „Ich will helfen“ oder „Ich brauche Hilfe“. Braucht man Hilfe, so füllt man einen Projektbogen aus, in dem man so detailliert wie nur möglich die eigenen Bedürfnisse beschreibt. Will man helfen, so kann man sich durch die verschiedenen Projekte klicken, die die Plattform unterstützt. Häufig wird zum Beispiel nach Nahrungsmittelspenden gefragt.Nassim Balla ist einer der Freiwilligen aus Djelfa, Oran, Mostaganem, Algiers und Paris, die Net3awno gegründet haben. „Die Plattform wird durch ein Netzwerk von Solidaritätsgruppen, die sich für hilfsbedürftige Menschen einsetzen, betrieben und unterstützt. Dieses Netzwerk aus unabhängigen Organisationen, Kollektiven und Individuen nennt sich Net3awno DZ Network”.
Interface von Net3awno (Lasst uns einander helfen!), eine kollaborative Plattform, die darauf abzielt, Organisationen, Solidaritätsgruppen und Einzelpersonen in Algerien, die sich für wohltätige Zwecke engagieren, mit potenziellen Spendern zu verbinden. | ©Net3awno
Die Woge der Solidarität ist auch über die Grenzen des Landes hinausgeschwappt und hat die algerische Diaspora ergriffen. Besonders in Frankreich werden Geldspenden gesammelt, um Schutzbekleidung für medizinisches Personal in Algerien zu finanzieren – Masken, Brillen und Kittel. Eine Initiative mit Namen Masks for Algeria, möchte den Großeinkauf von Geschichtsschutz ermöglichen.
Auch kleine Dinge helfen
Neben den genannten Initiativen tun viele das, was im Rahmen des ihnen Möglichen liegt: Privatpersonen stellen medizinischem Personal ihre Wohnungen oder Autors zur Verfügung; Hoteliers überlassen ihre Einrichtungen dem Gesundheitswesen; junge Leute stellen Schutzmasken her und verteilen sie kostenlos; Firmeninhaber versorgen Krankenhäuser mit Ambulanzen; Menschen bereiten kostenlose Mahlzeiten für Krankenhauspersonal zu; Freiwillige engagieren sich zum Wohl der Bedürftigen; und pensionierte Ärzte kehren in den Dienst zurück. Daneben leisten selbst die Insassen des Gefängnisses von Tizi Ouzou mit der Herstellung medizinischer Lätze einen Beitrag.Im Angesicht der angespannten politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lage stellt die Zivilgesellschaft Algeriens ihre Kraft und Anpassungsfähigkeit unter Beweis. Zweifelsohne wird es ihr Engagement sein, die das Land so unbeschadet wie nur möglich durch die Krise bringt.
Mai 2020