Kulturelles Erbe  2 min „Raconte-Arts“-Festival: Weitergabe des kulturellen Erbes der Amazigh in der Kabylei

Raconte-Arts: Feier und Weitergabe des Kulturerbes in der Kabylei ©Yacine Habib

Das „Raconte-Arts“-Festival, das jedes Jahr in der Kabylei organisiert wird, spielt eine Schlüsselrolle bei der Erhaltung des kulturellen Erbes der Amazigh. Trotz Einbindung lokaler Gemeinschaften und die Förderung überlieferter Traditionen steht es vor großen Herausforderungen seine Nachhaltigkeit sicherzustellen.

Das jährlich in der Kabylei organisierte „Raconte-Arts“-Festival ist viel mehr als eine einfache künstlerische Veranstaltung. Im Laufe der Jahre hat es sich zu einem unverzichtbaren Treffpunkt für Künstler, Intellektuelle und Kulturliebhaber etabliert. Seit seiner Gründung im Jahr 2004 hat dieses Wanderfestival, das jedes Jahr in einem anderen Dorf stattfindet, die Hauptaufgabe, die Kunst, Kultur und das immaterielle Erbe der Amazigh-Regionen zu fördern und gleichzeitig einen Raum für Ausdruck und Dialog zu schaffen.

Ein Raum für Bewahrung und kulturelle Weitergabe

Eines der grundlegenden Ziele von „Raconte-Arts“ ist die Erhaltung des reichen Kabyle- und im weiteren Sinne des Amazigh-Kulturerbes. Durch die Einladung von Künstlern aus ganz Algerien und anderswo trägt dieses Festival dazu bei, das Bewusstsein für lokale Traditionen zu schärfen, seien es Lieder, Tänze, Geschichten oder Kunsthandwerk. Die Teilnehmenden haben somit die Möglichkeit, Elemente ihres Erbes wiederzuentdecken, die sie möglicherweise vernachlässigt oder vergessen haben.

Bei jeder Ausgabe des Festivals wird Wert darauf gelegt, Aspekte des Alltagslebens der Kabylen in die Aktivitäten zu integrieren. Traditionelle Künste wie Töpfern, Weben und traditionelle landwirtschaftliche Techniken werden regelmäßig in Workshops und Ausstellungen hervorgehoben.

„Das ,Raconte-Arts‘-Festival hat sich von Anfang an dafür entschieden, sich für die Erhaltung des algerischen Erbes im Allgemeinen und des kabylischen Erbes im Besonderen einzusetzen“, erklärt Hacène Metref, eine der drei Gründer*innen und derzeitiger Leiter des Festivals. „Auch nicht umsonst haben wir Tajmaat – einen Treffpunkt und Beratungsort für die Bewohner – in den Dörfern, einen symbolischen und emblematischen Ort, gewählt, um ihn zu einem zentralen Ort unseres Festivals zu machen: einen Raum für Debatten über gesellschaftliche und kulturelle Themen. Denn einst war es ein Ort sozialer und politischer Beratungen“, fügt er hinzu.

Das Festival fördert nicht nur die Weitergabe von Know-how, das manchmal verloren geht, sondern trägt auch dazu bei, das Bewusstsein neuer Generationen für die Bedeutung ihres kulturellen Erbes zu schärfen. Das gastgebende Dorf wird so zu einer Open-Air-Bühne, auf der Tradition und Moderne aufeinandertreffen und uns daran erinnert, dass das Erbe lebendig ist und sich ständig weiterentwickelt.
 
„Raconte-Arts“ bietet auch Momente des mündlichen Austauschs, wie zum Beispiel Erzählabende und Diskussionen rund um die Amazigh-Poesie. Diese Momente sind für die Weitergabe der Geschichte und eines kollektiven Gedächtnisses von wesentlicher Bedeutung und werden von offiziellen Bildungs- und Kulturkanälen oft vernachlässigt. Das Festival schafft daher einen Raum, in dem sich lokale Sprachen, insbesondere Tamazight, frei ausdrücken und ihren vollen Platz einnehmen können.

„Sie sollten wissen, dass sich bereits bei der ersten Ausgabe 2004 alles um die Performance-Installation von Denis Martinez mit dem Titel ,Das Fenster des Windes‘ drehte. Dieses Erlebnis ist inspiriert von der Taq-Ubehri-Tradition (Das Fenster des Windes), die von Kabyle-Frauen praktiziert wird, um diejenigen zu rufen, die abwesend oder im Exil sind“, sagt Herr Metref.

Ein Modell gemeinschaftlicher kultureller Entwicklung

Was „Raconte-Arts“ besonders auszeichnet, ist sein Gemeinschaftscharakter. Es basiert auf der aktiven Einbindung der Bewohner des gastgebenden Dorfes, die eine entscheidende Rolle für den Erfolg der Veranstaltung spielen. Sie begrüßen die Künstler, öffnen ihre Häuser für Besucher und nehmen an den verschiedenen angebotenen Aktivitäten teil. Diese Verbindung zwischen dem Festival und der örtlichen Gemeinschaft trägt dazu bei, die sozialen Bindungen zu stärken und das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Kultur wiederzubeleben. Für Hacène Metref ist „das ,Raconte-Arts‘-Festival selbst auf der Grundlage alter Werte der Solidarität und Gastfreundschaft aufgebaut, da die Organisatoren alle Freiwillige sind und die Teilnehmer freundlich empfangen werden“.

Darüber hinaus beteiligt sich „Raconte-Arts“ indirekt an der Wiederbelebung manchmal vernachlässigter oder marginalisierter Dörfer, indem es während der Dauer des Festivals Besucher anzieht und lokale Wirtschaftsdynamik schafft. Die Veranstaltung erhöht die Sichtbarkeit der Dörfer der Kabylei, die oft nicht in den traditionellen touristischen Rundgängen zu finden sind, und trägt so zu ihrer nachhaltigen Entwicklung bei, während gleichzeitig ihr architektonisches und natürliches Erbe hervorgehoben wird. „Der Handwerksmarkt ermöglicht es uns, unser Erbe zu bewahren, denn die Vermarktung handwerklicher und lokaler Produkte ermöglicht es kleinen Handwerkern, zu überleben und altes Know-how aufrechtzuerhalten“, sagt Herr Metref.

Herausforderungen  der Denkmalpflege

Die Herausforderungen, insbesondere im Hinblick auf die Erhaltung des kulturellen Erbes angesichts der raschen Modernisierung und Globalisierung, sind immens. Obwohl das Festival großen Wert auf die Tradition legt, muss es mit finanziellen, logistischen und politischen Zwängen jonglieren. Tatsächlich erfordert die Organisation dieser Veranstaltung erhebliche Ressourcen und eine enge Zusammenarbeit mit den örtlichen Behörden, die sich nicht immer voll und ganz für die Förderung der Amazigh-Kultur einsetzen.
 
Eine der größten Herausforderungen besteht darin, die Balance zwischen Tradition und Innovation zu wahren. Um ein großes und vielfältiges Publikum anzulocken, muss das Festival Aktivitäten und Künstler bieten, die alle Generationen ansprechen, ohne die traditionellen Aspekte, die sein Herz ausmachen, zu verwässern. Darüber hinaus stellt die Schwierigkeit, bestimmte Aspekte der immateriellen Kultur, wie etwa traditionelle Geschichten oder Lieder, zu dokumentieren und zu bewahren, eine weitere große Herausforderung dar. Ohne einen proaktiven Schutzprozess besteht die Gefahr, dass diese Elemente, die häufig mündlich übermittelt werden, verloren gehen.

Entscheidend ist auch die Frage nach der Nachhaltigkeit des Festivals. Die Abhängigkeit von öffentlichen und privaten Geldern macht die Zukunft der Veranstaltung manchmal ungewiss, und ihre Organisation ist oft auf engagierte Freiwillige angewiesen, deren Mittel jedoch begrenzt sind.

Trotz allen Herausforderungen bleibt „Raconte-Arts“ bestehen und verkörpert weiterhin ein Beispiel kulturellen Widerstands angesichts der globalen Homogenisierung. Indem es manchmal marginalisierten Traditionen eine Stimme gibt, erinnert es uns daran, dass Kultur eine wesentliche Ressource ist, nicht nur für die Vergangenheit, sondern auch für die Zukunft.