Marokko

Nov. 2023

Marokkos Teppich-Weberinnen  5 min Pionierarbeit für den Wandel: Die Teppichweberinnen der Ouaruzguiti-Berberstämme

Marokkos Teppich-Weberinnen © Ismail Ait Hammad

Die Kommune Taznakht in der Region Ouarzazate im Südosten Marokkos ist berühmt für die Webkunst der Teppichweberinnen der Ait Ouaruzguit-Berberstämme, die an den südlichen Ausläufern des Hohen Atlas leben.

Beim Rundgang durch die Stadt Taznakht stößt man auf etliche Gemeinschaftswerkstätten und Kooperativen, in denen die bekannten Zarabi-Teppiche hergestellt werden. Das Handwerk wird traditionsgemäß von Frauen ausgeübt, die mit viel Geschick wunderschöne Teppiche für Wohnräume weben. 

Das Gebiet um die Stadt Taznakht mit den dort ansässigen rund 22 000 Teppichweberinnen gilt in Nordafrika als namhafter Ursprungsort für traditionell angefertigte Teppiche, die hier als wertvoller Bestandteil des nationalen Kunst- und Kulturerbes mit einer langen Geschichte angesehen und nicht nur auf dem heimischen Binnenmarkt, sondern auch in der ganzen Welt von Teppichkennern geschätzt werden. Die Teppichweberei ist eine sichere Einnahmequelle für die Familien vor Ort, was sich in der gesamten Gegend positiv auf die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung auswirkt, aber auch auf die soziale Stellung der Teppichweberinnen und auf ihre Teilhabe am nachhaltigen Wachstum.

Umweltfreundliche Teppiche

Die Teppichherstellung in der Gegend um Taznakht kann als umweltfreundliches Kunsthandwerk bezeichnet werden, weil die Weberinnen und die Frauen-Kooperativen Produkte aus natürlichen Rohstoffen anfertigen, darunter auch Taschen aus Wolle, Stoff und Recyclingtextilien, die eine echte Alternative zu Plastiktüten darstellen, ganz im Sinne eines 2015 von der marokkanischen Regierung verabschiedeten Gesetzes, das die Herstellung, die Einfuhr, die Ausfuhr, den Verkauf und die Benutzung von Plastiktüten verbietet. Seither erfreuen sich umweltfreundliche Taschen aus alternativen Rohstoffen wachsender Beliebtheit.

Die Weberinnen verwenden natürliche Rohstoffe aus der Region, zum Beispiel hochwertige Wolle aus den Bergen des Jebel Siroua, wo nomadisierende Hirten Schafzucht betreiben. Auch die Pflanzen, die zum Färben der Wolle verwendet werden, stammen aus dem Hohen Atlas. Beim Färben kommen also keine Chemikalien zum Einsatz, was als Qualitätsmerkmal von den Kunden sehr begrüßt und geschätzt wird.

Teppiche als Einnahmequelle und Beitrag zur Nachhaltigkeit

Beim traditionellen Ouaruzguiti-Festival kann man Teppichweberinnen in ihren typischen Trachten sehen, die amazighische Geschichten, Gedichte und Lieder vortragen. Einige der Frauen führen dabei die einzelnen Schritte der Teppichherstellung vor, indem sie Wolle spinnen, aus der anschließend Teppiche gewebt werden. Auf diese Weise feiern und bewahren sie die kulturelle Identität der Region. 

Die Teppichweberin Yaja ist zwischen 40 und 50 Jahre alt. Sie erzählt, dass die Bräuche und Riten fester Bestandteil der Teppichwebkunst sind und von Generation zu Generation weitervererbt werden. Yaja hat nie eine Schule besucht, sie kann weder lesen noch schreiben. Ihre Mutter hat ihr das Teppichweben beigebracht, seither übt sie dieses Handwerk aus und ist stolz darauf. Auch sie hat nach der Heirat mit ihrem Ehemann ihr Wissen und Können an ihre Töchter weitergegeben. Mit großem Bedauern beobachtet die stolze Weberin, dass die Preise für die Teppiche stetig sinken, während die Herstellungskosten und die Rohstoffpreise immer weiter steigen und der Verkauf der Teppiche bisweilen nur stockend läuft.

Es gibt viele verschiedene Geschichten von Teppichweberinnen, die Pionierarbeit geleistet haben. Die meisten von ihnen haben es geschafft, sich über die beengenden Regeln der traditionellen Gesellschaft hinwegzusetzen, um nicht nur in ihrem Metier, sondern auch auf sozialer und politischer Ebene Außergewöhnliches zu leisten. Ein Name, den man in diesem Zusammenhang oft hört, ist der von Safia Minoutras. Wie die meisten Frauen in der Umgebung von Taznakht hatte sie von klein auf mit der Teppichwebkunst zu tun. Ihr soziales Engagement begann, als sie vor etwa 20 Jahren an der Gründung eines Dar al-Omouma – eines gemeinschaftlich organisierten Mutterschaftshauses – mitwirkte. Dieses Vereinsprojekt setzt sich nicht nur für die Belange der Frauen ein, sondern es versucht auch, insbesondere die Frauen in abgelegenen Dörfern, wo die Analphabetenrate hoch ist und die Mehrzahl der Bewohnerinnen nur Amazighisch spricht, für bestimmte Themen zu sensibilisieren.

Die Kampagnen umfassen vor allem die Themen Gesundheitsvorsorge und Verbesserungen für Schwangere, während und nach der Geburt. Safia Minoutras spricht Amazighisch und kennt die Situation der Frauen in den Dörfern genau. Deshalb kann sie die Anliegen des Vereins optimal kommunizieren und die Dorfbewohnerinnen tatsächlich dazu bringen, sich anders zu verhalten, indem sie beispielsweise öfter zum Arzt gehen und Geburtsvorsorge in Anspruch nehmen. Oft beklagen sich die Frauen über Armut und Perspektivlosigkeit in einer patriarchalisch geprägten Gesellschaft. Safia Minoutras rät ihnen, einen Teil der beim Teppichweben erzielten Einkünfte beiseite zu legen, um den Kindern den regelmäßigen Schulbesuch und eine vernünftige medizinische Versorgung zu ermöglichen. Doch obwohl die Frauen viel Zeit und Arbeit in die Herstellung hochwertiger Teppiche stecken, bekommen sie meistens nicht viel vom Verkaufserlös zu sehen. Es sind die Ehemänner oder die Väter, die den Verkauf der Teppiche übernehmen, zudem haben bei der Vermarktung eigentlich die Zwischenhändler das Sagen, die sich untereinander absprechen, um die Preise so weit drücken zu können, dass der Verkaufspreis in keinem Verhältnis mehr zum Wert der Teppiche und zum Aufwand steht, den die Teppichweberinnen bei der Herstellung betrieben haben. Die Frauen überlegen deshalb immer wieder, wie sich diese unfairen Vermarktungsmechanismen überwinden lassen könnten.

Durch ihr soziales Engagement ist Safia Minoutras inzwischen gut vernetzt. Sie erhält regelmäßig Anfragen von Unternehmen und Organisationen, die zu bestimmten Anlässen individuell angefertigte Teppiche verschenken wollen, zum Beispiel in speziellen Mustern oder Farben oder mit den eingewebten Namenszügen von bestimmten Personen, Firmen oder Institutionen.

Währen der Arbeit für das Dar al-Omouma kam Safia Minoutras auch die Idee, sich aktiv für die Gründung einer Teppichweberinnen-Kooperative im Gemeindebezirk Aznaguen einzusetzen.

Regionale Teppichwebkunst als Nachhaltigkeitsfaktor

Weil die Teppichweberinnen einen maßgeblichen Anteil des Familieneinkommens bestreiten, können sie ihre Ehemänner nicht nur bei den Kosten für den Lebensunterhalt entlasten, sondern auch bei den Kosten, die durch die Beschulung der Kinder und den Schülertransport entstehen.

Die Teppichweberinnen-Kooperative in Aznaguen mit ihrer Vorsitzenden Safia Minoutras hat es geschafft, durch eine neue Vermarktungsstrategie Kontakte zu Handelszentren in Marokko und im Ausland zu knüpfen und einen festen Kundenstamm aufzubauen, um nicht länger den unfairen Praktiken der Zwischenhändler ausgeliefert zu sein. Die Kooperative präsentiert sich zudem regelmäßig bei Messen in der Region, aber auch in anderen Gegenden Marokkos und im Ausland. Zunächst war dieses Projekt ein außergewöhnlicher Einzelfall, der jedoch viele Teppichweberinnen und Kooperativen in der gesamten Region inspiriert hat.

Die Teppichweberinnen und Kooperativen konnten inzwischen aufzeigen, dass sie einen wichtigen Beitrag zum nachhaltigen Wachstum in der Region leisten und eine effiziente Rolle für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung spielen. Safia Minoutras, die auch Mitglied der Handwerkskammer der Region Drâa-Tafilalet ist, betont, dass die regionale Teppichwebkunst mit ihren über 20 000 Teppichweberinnen eine der führenden Adressen der Branche im nordafrikanischen Raum sei.

Für die Teppichherstellung brauch man, ökonomisch gesehen, ein vergleichsweise geringes Startkapital. Es bedarf lediglich des handwerklichen Geschicks der Weberinnen, bei denen es sich meist um Familienmitglieder handelt, sowie einiger regionaler Rohstoffe. Wenn die Frauen aus den einzelnen Familien im Dorf zusammenarbeiten, lassen sich Kooperativen gründen, um moderne Vermarktungs- und Vertriebswege zu erschließen. Das ist wichtig, weil die Einkünfte der Teppichweberinnen in den Familien gebraucht werden, um den Lebensunterhalt, aber auch die medizinische Versorgung und die Schulbildung der Kinder zu bezahlen. Mit Mitteln der Kooperativen können zudem Förderprojekte finanziert werden, die der Dorfgemeinschaft zugute kommen. Somit spielen die Frauen eine effiziente Rolle im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben, aber auch bei der politischen Entscheidungsfindung. Dadurch ist die Teppichherstellung zu einem wichtigen Faktor für die nachhaltige Entwicklung in der Region geworden.

Pionierarbeit im öffentlichen Leben

2009 kandidierten in Marokko erstmals Frauen auf breiter Ebene bei den Kommunalwahlen, nachdem politische Parteien eine Frauenquote eingeführt hatten, damit 12 % der Sitze an weibliche Kandidatinnen gehen. Auf diese Weise trug man staatlichen Ambitionen Rechnung, Frauen verstärkt am politischen Leben zu beteiligen und ihnen mehr Präsenz in volksvertretenden Gremien zu verschaffen.

Infolgedessen suchten alle Parteien nach Frauen, die Pionierarbeit für die Gesellschaft leisten, um sie als Kandidatinnen auf die Wahllisten zu setzen und das Vertrauen der Wählerschaft zu erhalten. Auf diese Weise kam auch Safia Minoutras zur Politik. Wegen ihres sozialen Engagements genoss sie ein hohes Ansehen bei der Bevölkerung und wurde deshalb in den Gemeinderat von Taznakht gewählt. Später kandidierte sie dann unabhängig von einer Liste mit Frauenquote in freier Konkurrenz mit anderen Kandidaten. Sowohl 2015 als auch 2021 wurde sie als Mitglied der Handwerkskammer der Region Drâa-Tafilalet gewählt. 2021 erfolgte dann auch ihre Wahl in den Kommunalrat der Kommune Aznaguen.

Safia Minoutras glaubt zwar, dass sich die Rolle der Frau in der Region gewandelt hat und Frauen nicht mehr im Dunstkreis von Heim und Herd gefangen sind, sondern Kontakte zu anderen Menschen in anderen Umfeldern knüpfen und sich am öffentlichen Leben beteiligen können. Sie unterstreicht jedoch, dass die Region nach wie vor von einer patriarchalischen Kultur geprägt sei. Noch immer könnten viele Frauen keine eigenen Entscheidungen treffen, weil sie von ihren Ehemännern oder ihren Vätern vorgeschrieben bekommen, wem sie bei Wahlen ihre Stimme geben sollen oder wie sie die Einkünfte durch den Verkauf der mühsam hergestellten Teppiche auszugeben haben. Sich dagegen zur Wehr zu setzen sei für die Frauen eine riesige, mit etlichen Schikanen verbundene Herausforderung. Umso stärker müssten sie sich dafür einsetzen, dass ihre Fähigkeiten und Leistungen von der Gesellschaft wahrgenommen und gewürdigt werden.

Safia Minoutras hat bei Kommunal- und Kammerwahlen wiederholt bewiesen, dass nicht nur Frauen für sie stimmen, die frei entscheiden wollen, nachdem sie erkannt haben, wie wichtig die Beteiligung starker weiblicher Vertreterinnen am politischen Prozess ist, sondern auch Männer und junge Leute.

Die Teppichherstellung habe, so Safia Minoutras, positive Effekte für die Wirtschaft in der Region, aber auch für die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Die Teppichwebkunst zeige, zu welchen Leistungen und Pioniertaten die amazighischen Frauen von den Stämmen der Ait Ouaruzguit fähig seien.

Staatliche Initiative zur Förderung der Teppichweberinnen

Auf eine Anfrage des Parlamentsabgeordneten Hussein Bouhasini zur „Strategie der marokkanischen Regierung bei der Unterstützung von Teppichweberinnen und traditionellem Handwerk in der Provinz Ouarzazate“ antwortete die marokkanische Ministerin für Tourismus und Handwerk sowie für soziale und solidarische Wirtschaft, Fatima Zahra Ammor, in einem Schreiben vom 17.2.2023, dass die Provinz explizit im Wachstumsförderungsprogramm ihres Ministeriums berücksichtigt werde. Dieses Programm zielt auf ein Wiedererstarken des traditionellen Handwerks ab, dessen außerordentliche Stellung als Motor für Nachhaltigkeit und Beschäftigung betont werden müsse. Insbesondere sei in diesem Zusammenhang das Teppichweberhandwerk genannt, das ein äußerst wichtiges Betätigungsfeld für Frauen in der Region darstelle. Die Ministerin erklärte ferner, dass ihr Ministerium gemeinsam mit anderen Akteuren mehrere Förderprogramme umsetzen wolle, um beispielsweise Handwerkerinnen und Handwerker in der Region zu ermutigen, sich in gewerbliche Strukturen einzufügen, damit sie von staatlicher Unterstützung profitieren können, insbesondere bei der Gesundheitsfürsorge. Außerdem strebt die Ministerin an, in Taznakht wieder eine Art Handwerkshof mit traditionellen Gewerken aufzubauen, mit 30 Ladenwerkstätten für Teppichweberinnen und andere Handwerksberufe. Ferner will sie zwei Produktionsstätten für Teppichwebkunst in den Gemeinden Asserssa und Siroua einrichten lassen.

Um insbesondere auf dem internationalen Markt konkurrenzfähig zu bleiben und sich gegen Produktpiraterie in der Teppichbranche zur Wehr zu setzen, möchte die Ministerin Produktlabel und Herkunftszertifikate für die Teppiche aus der Gegend um Taznakht einführen, durch die traditionelle Zarabi-Teppiche als Produkte aus dem Hohen Atlas gekennzeichnet werden.

Aufwertung der Teppiche durch Kreativität und Innovation

Dr. Omar Benaini, Professor für Management an der Staatlichen Handels- und Management-Schule in Settat, erklärt, dass die Teppichweberinnen, trotz ihrer hochqualifizierten und anstrengenden Arbeit, nach der Herstellung der Teppiche nicht ausreichend von Verkauf, Marketing und Vertrieb ihrer Produkte profitieren, weil Einzelpersonen und Unternehmen als Zwischenhändler auftreten, die hauptsächlich in die eigene Tasche wirtschaften. Dr. Benaini schlägt vor, dass man die Anstrengungen der Teppichweberinnen durch Partnerschaften, Integration und Aufteilung der Wertschöpfung unter allen Beteiligten in der Branche effizient organisiert und sie gezielt beim Marketing, beim Rohstofferwerb und bei der Entwicklung neuer Produktformen und innovativer Produktdesigns stärkt.

Als Maßnahmen zur Förderung und Entwicklung der Branche fordert Dr. Benaini die Schaffung von Produktions- und Vermarktungsstrukturen im Rahmen einer ganzheitlichen Strategie für Handwerk und Tourismus. Das könnte Kooperativen dazu anregen, ihre Produkte direkt an Touristen aus dem In- und Ausland zu vermarkten.

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