In der Mitte der Siebzigerjahre wurde ich in Jerusalem als Achter in eine bis dahin siebenköpfige Familie geboren. Mein „afrikanischer“ Vater kam aus der Stadt Massenya in Tschad, meine „weiße“ Mutter war Palästinenserin aus Jericho im Jordantal. Ich wuchs im afrikanischen Viertel als muwallad auf. So wurden alle Kinder der ersten Generation afrikanischer Migranten in Jerusalem bezeichnet, die aus einer gemischten, „afrikanisch-palästinensischen“ Ehe hervorgingen.
„Dem Bösen muss sich mit der Kraft des Guten und der Liebe widersetzt werden. Wenn die Liebe das Böse tilgt, tilgt sie es für alle Ewigkeit. Grausamkeit jedoch kann das Böse nur vorübergehend begraben, denn das Böse ist ein hartnäckiger Samen, der im Verborgenen gedeiht, immer wenn man ihn vergräbt. Und wenn es dann zurückkehrt, ist es noch abscheulicher.“
Cerno Bokar, Fula-Gelehrter aus Bandiagara (Mali), Rat an seinen Schüler Amadou Hampâté Bâ

Dieser Artikel beschäftigt sich mit dem soziokulturellen Status der Schwarzafrikaner in Jerusalem, der eng mit ihrer Hautfarbe verbunden ist, sowie die sich aus diesem Status ergebenden Konsequenzen für ihre Wohn- und Arbeitssituation. Gleichzeitig soll dies Aufschluss über das Gefühl der Fremdheit der Afrikaner in ihrem Jerusalemer Umfeld und die Entfremdung der afrikanischen Gemeinde untereinander geben.

Dies führt uns zu der Frage der Beziehung und des Einflusses, den diese geographisch-kulturelle Bestimmung auf den, im palästinensischen Denken, existierenden Unterschied zwischen dem freien Schwarzafrikaner (Takruri) und dem verschleppten „Sklaven“ hatte. Außerdem stellt sich die Frage, inwiefern dieses Konzept von ersterem verinnerlicht worden ist, sodass er ebenfalls eine Unterscheidung zwischen seinem eigenen Status und dem des „anderen“ Afrikaners macht.
Festlegung des soziokulturellen Status der Schwarzafrikaner
Es mag nicht allen bekannt sein, dass Schwarzafrikaner in zahlreichen Siedlungen und Lagern Palästinas leben. Viele palästinensische Forscher und Historiker, darunter die Historikerin Huda Lotfy, der Historiker Aref al-Aref und der Forscher Ali Qleibo, glauben, dass der Kontakt der Afrikaner mit Palästina auf die Zeit der Mamluken und Osmanen zurückgeht.

Die Beziehung zwischen Hautfarbe, Arbeitsbereich und Wohnlage
Mein Onkel Alhajj Jibril Walad Shiné – Gott möge ihn selig haben – hat mir immer wieder eindringlich erklärt: „Wir sind keine Sklaven, wir sind Freie“. Seine Worte waren für mich ein erster Hinweis darauf, wie sehr die Afrikaner selbst diese soziokulturelle Unterscheidung verinnerlicht haben und dass dies zur Formulierung einer neuen Identität geführt hat, die von ihrem afrikanischen Hintergrund entfremdet ist. Hier muss betont werden, dass ihr Ursprung, bzw. ihre Ursprünge, eigentlich auf der arabischen Halbinsel liegen: „Unser Ursprung ist in Jeddah“, wie der Mokhtar [Arabischer Gelehrter] Muhammed Jiddah in einem Interview von 1997 meinte.
Ein Blick auf die Verknüpfung von Arbeitsbereich, Hautfarbe und körperlichen Merkmalen, wie sie der Historiker Aref-al Aref herstellt, gibt einen zweiten Hinweis auf den soziokulturellen Status der Schwarzafrikaner. Indem er sie als „schwarzhäutig, hochgewachsen und stark gebaut“ beschreibt und dies als Grund für ihre besondere Eignung im Gebäude- und Personenschutz nennt, wird deutlich, dass das Verständnis dieser Bevölkerungsgruppe nicht über Stereotypen hinausging: In den Augen ihres Umfelds waren sie für Arbeiten gut, die körperliche Fähigkeiten erfordern, nicht aber intellektuelle.
Als drittes ist die Verbindung zwischen Hautfarbe und Wohnsituation zu thematisieren. Die meisten Jerusalemer Afrikaner leben im sogenannten Afrikanischen Viertel, welches aus zwei historischen Gebäuden besteht, nämlich dem Ribat al-Mansouri (Der Ribat: ein befestigter Komplex, der meist als Pilgerherberge diente, aber verschiedene Funktionen erfüllen konnte) und dem Ribat al-Basiri. Sie wurden im 12. Jahrhundert unter den Mamluken errichtet und befinden sich in der Nähe des Rats-Tors (Bab al-Nazir), einem der Eingänge zum Tempelberg. Diese befestigten Bauten dienten zunächst als Pilgerherbergen, wurden zum Ende der osmanischen Ära, genauer zwischen 1898 und 1914, jedoch als Gefängnisse genutzt. Das erste, Ribat al-Mansouri, wurde auch „Blutgefängnis“ genannt und beherbergte zum Tode verurteilte arabische Gefangene. Ribat al-Basiri nannte man „Ribat-Gefängnis“ und nutzte es für Insassen mit verschiedenen Haftlängen. Nach 1929 wurden die beiden Gebäude in Wohnquartiere für die Jerusalemer Afrikaner umgewandelt. Seitdem verwenden manche Jerusalemer für sie die Bezeichnung „Sklavengefängnis“ (habs al-abid), die die historische Funktion der Gebäude mit der Vorstellung, Menschen schwarzer Hautfarbe seien Sklaven, verbindet.
In der Jerusalemer Gesellschaft versuchen einige, den Rassismus, den derlei Bezeichnungen tragen, herunterzuspielen. Auf YouTube findet man Kommentare über eine ideale palästinensische Gesellschaft: „Wir sind eins, wir sind alle Brüder, wir sind alle gleich“ heißt es da. Die Verwendung der Bezeichnung „Sklavengefängnis“ sei doch nicht viel mehr als Ausdruck der Ignoranz weniger; es stecke dahinter kein kultureller oder sozialer Rassismus gegenüber Schwarzafrikanern. Deshalb gäbe es auch insgesamt in der palästinensischen Gesellschaft keinen Rassismus und wir alle seien nur „Diener Gottes“, in der religiösen Bedeutung des Wortes Sklave, abid li-llah.

Abschließend lässt sich sagen, dass die Problematik unterschiedlicher Definitionen sowie der Stereotyp, der auf der Verbindung zwischen Hautfarbe, Arbeitsbereich und Wohnlage aufbaut, den Grundstein dafür bildet, den soziokulturellen Status der Schwarzafrikaner in der palästinensischen Gesellschaft einzuschätzen und zu verstehen. Einerseits ist die Definition des al-afriqi al-aswad, des Schwarzafrikaners, dem Prozess der kulturellen Assimilation und Substitution ausgesetzt (takruri); andererseits wird er zeitlich auf die Verbreitung des Islams in Afrika beschränkt, wenn zum Beispiel Aref al-Aref schreibt, dass die afrikanischen Völker vorher (das heißt vor der Islamisierung und Arabisierung der afrikanischen Gesellschaft) keine Zivilisation oder Kultur hatten. Obwohl der Unterschied sicherlich groß war, habe ich doch versucht mit vorangegangenen Beispielen zu zeigen, dass die kulturellen Grenzen zwischen der palästinensischen Gesellschaft und dem Takruri-Afrikaner als Teil der islamischen Umma verschwimmen. Die rassistische Differenzierung besteht jedoch weiterhin und so bleibt der Schwarzafrikaner, ob Takruri oder nicht, in der arabischen Vorstellung eben doch al-abd al-aswad – „der schwarze Sklave“.
Dezember 2018