In der Mitte der Siebzigerjahre wurde ich in Jerusalem als Achter in eine bis dahin siebenköpfige Familie geboren. Mein „afrikanischer“ Vater kam aus der Stadt Massenya in Tschad, meine „weiße“ Mutter war Palästinenserin aus Jericho im Jordantal. Ich wuchs im afrikanischen Viertel als muwallad auf. So wurden alle Kinder der ersten Generation afrikanischer Migranten in Jerusalem bezeichnet, die aus einer gemischten, „afrikanisch-palästinensischen“ Ehe hervorgingen.
„Dem Bösen muss sich mit der Kraft des Guten und der Liebe widersetzt werden. Wenn die Liebe das Böse tilgt, tilgt sie es für alle Ewigkeit. Grausamkeit jedoch kann das Böse nur vorübergehend begraben, denn das Böse ist ein hartnäckiger Samen, der im Verborgenen gedeiht, immer wenn man ihn vergräbt. Und wenn es dann zurückkehrt, ist es noch abscheulicher.“
Cerno Bokar, Fula-Gelehrter aus Bandiagara (Mali), Rat an seinen Schüler Amadou Hampâté Bâ
Wächter am Auguste-Viktoria-Hospital, Palästina 1928 | ©Library of Congress Jerusalemer Afrikaner (al-afariqa al-maqdisin) oder takarina (im Singular takruri) nach der Definition des palästinensischen Historikers Aref al-Aref (1892–1973) aus seinem Buch Detaillierte Geschichte Jerusalems (1961), bezeichnet „eine der großen Familien in Bayt al-Maqdis [Jerusalem], die aus Darfour und Umgebung stammen. Sie werden als Klan mit Ursprung in Tikrit genannt, zugehörig zu den ‚Zoba‘, einem Klan des Volksstammes der ‚Shammar‘. Von der Regierung wurden sie für Bewachungsarbeiten eingesetzt und im Gegenzug wurde ihnen die Sicherheit ihrer Schulen zugesichert, die sie in ihren Häusern, Wohnungen und Hallen um den Tempelberg abhielten. [...] Sie sind schwarzer Farbe, hochgewachsen und stark gebaut.“ Hosni Shahin, ein palästinensischer Forscher afrikanischen Hintergrunds, wiederum definiert sie in seinem Werk Afrikanische Muslime in Bayt al-Maqdis, herausgegeben von der Waqf-Behörde Jerusalem (1984), als „afrikanische Muslime, die aus mehreren afrikanischen Ländern stammen, darunter: Nigeria, Tschad, Französisch-Sudan – jetzt Mali – und Senegal. Daher setzt sich diese Gruppe aus verschiedenen afrikanisch-arabischen Stämmen wie folgt zusammen: Die Stämme der Hausa, Salamat, Bargu, Zaghawa, Barno, Kaném-Bornou und Bilalah.“
Dieser Artikel beschäftigt sich mit dem soziokulturellen Status der Schwarzafrikaner in Jerusalem, der eng mit ihrer Hautfarbe verbunden ist, sowie die sich aus diesem Status ergebenden Konsequenzen für ihre Wohn- und Arbeitssituation. Gleichzeitig soll dies Aufschluss über das Gefühl der Fremdheit der Afrikaner in ihrem Jerusalemer Umfeld und die Entfremdung der afrikanischen Gemeinde untereinander geben.
Das Gemeindezentrum, Jerusalem 2013. | ©Privat Zu Beginn soll ein Blick auf die Definition des Wortes „schwarz“ (aswad) im Wörterbuch geworfen werden: Zum einen wird hier auf die Hautfarbe hingewiesen; zum anderen beziehe sich das Wort auch auf den Ort, aus dem „Afrikaner schwarzer Hautfarbe“ kommen. Der zweite Punkt überschneidet sich mit der Definition Aref al-Arefs, der den Ursprung der Jerusalemer Afrikaner in „Darfour und Umgebung“ sieht. In beiden Fällen wird das Wort also in Bezug mit einem geographischen Raum mit spezifischen kulturellen und religiösen Charakteristiken gesetzt.
Dies führt uns zu der Frage der Beziehung und des Einflusses, den diese geographisch-kulturelle Bestimmung auf den, im palästinensischen Denken, existierenden Unterschied zwischen dem freien Schwarzafrikaner (Takruri) und dem verschleppten „Sklaven“ hatte. Außerdem stellt sich die Frage, inwiefern dieses Konzept von ersterem verinnerlicht worden ist, sodass er ebenfalls eine Unterscheidung zwischen seinem eigenen Status und dem des „anderen“ Afrikaners macht.
Festlegung des soziokulturellen Status der Schwarzafrikaner
Es mag nicht allen bekannt sein, dass Schwarzafrikaner in zahlreichen Siedlungen und Lagern Palästinas leben. Viele palästinensische Forscher und Historiker, darunter die Historikerin Huda Lotfy, der Historiker Aref al-Aref und der Forscher Ali Qleibo, glauben, dass der Kontakt der Afrikaner mit Palästina auf die Zeit der Mamluken und Osmanen zurückgeht.
Gefängniseingang mit türkischen Soldaten, Foto aufgenommen zwischen 1889 und 1914, Palästina. | ©Library of Congress In einer Studie untersuchte Huda Lotfy Aufzeichnungen und Dokumente aus der Zeit der Mamluken, die auf dem Tempelberg gefunden wurden. In ihnen fällt die Unterscheidung zwischen dem Tekruri-Schwarzafrikaner, der ein Teil der islamischen Gemeinde ist, und dem nicht-muslimischen Schwarzafrikaner auf, der als „Sklave“ angesehen wurde. Aref al-Aref und Ali Qleibo meinen, dass die Tekruri-Schwarzafrikaner unter den Mamluken und Osmanen für den Schutz von Personen und Gebäuden angestellt wurden, speziell auch als khadim (dt. Diener) an heiligen Orten in Jerusalem und Mekka. Kurz soll auf die Bezeichnung khadim eingegangen werden, die problematisch ist. Der ägyptische Rechtsgelehrte al-Qalqaschandi (14./15. Jahrhundert) interpretiert khadim als einen Titel vom Hofe des Sultans, während das arabische Wörterbuch Lisan al-Arab das Wort lediglich im Sinne einer Stellung versteht: Ein khadim sei „jeder, der im Dienst eines anderen Mannes oder einer Frau steht, ob leibeigener Junge oder Mädchen.“ Es stellt sich die Frage, wie diese Differenzierung zwischen den Schwarzafrikanern sich auf die Identitätsbildung der Takruri-Afrikaner ausgewirkt hat.
Die Beziehung zwischen Hautfarbe, Arbeitsbereich und Wohnlage
Mein Onkel Alhajj Jibril Walad Shiné – Gott möge ihn selig haben – hat mir immer wieder eindringlich erklärt: „Wir sind keine Sklaven, wir sind Freie“. Seine Worte waren für mich ein erster Hinweis darauf, wie sehr die Afrikaner selbst diese soziokulturelle Unterscheidung verinnerlicht haben und dass dies zur Formulierung einer neuen Identität geführt hat, die von ihrem afrikanischen Hintergrund entfremdet ist. Hier muss betont werden, dass ihr Ursprung, bzw. ihre Ursprünge, eigentlich auf der arabischen Halbinsel liegen: „Unser Ursprung ist in Jeddah“, wie der Mokhtar [Arabischer Gelehrter] Muhammed Jiddah in einem Interview von 1997 meinte.
Ein Blick auf die Verknüpfung von Arbeitsbereich, Hautfarbe und körperlichen Merkmalen, wie sie der Historiker Aref-al Aref herstellt, gibt einen zweiten Hinweis auf den soziokulturellen Status der Schwarzafrikaner. Indem er sie als „schwarzhäutig, hochgewachsen und stark gebaut“ beschreibt und dies als Grund für ihre besondere Eignung im Gebäude- und Personenschutz nennt, wird deutlich, dass das Verständnis dieser Bevölkerungsgruppe nicht über Stereotypen hinausging: In den Augen ihres Umfelds waren sie für Arbeiten gut, die körperliche Fähigkeiten erfordern, nicht aber intellektuelle.
Als drittes ist die Verbindung zwischen Hautfarbe und Wohnsituation zu thematisieren. Die meisten Jerusalemer Afrikaner leben im sogenannten Afrikanischen Viertel, welches aus zwei historischen Gebäuden besteht, nämlich dem Ribat al-Mansouri (Der Ribat: ein befestigter Komplex, der meist als Pilgerherberge diente, aber verschiedene Funktionen erfüllen konnte) und dem Ribat al-Basiri. Sie wurden im 12. Jahrhundert unter den Mamluken errichtet und befinden sich in der Nähe des Rats-Tors (Bab al-Nazir), einem der Eingänge zum Tempelberg. Diese befestigten Bauten dienten zunächst als Pilgerherbergen, wurden zum Ende der osmanischen Ära, genauer zwischen 1898 und 1914, jedoch als Gefängnisse genutzt. Das erste, Ribat al-Mansouri, wurde auch „Blutgefängnis“ genannt und beherbergte zum Tode verurteilte arabische Gefangene. Ribat al-Basiri nannte man „Ribat-Gefängnis“ und nutzte es für Insassen mit verschiedenen Haftlängen. Nach 1929 wurden die beiden Gebäude in Wohnquartiere für die Jerusalemer Afrikaner umgewandelt. Seitdem verwenden manche Jerusalemer für sie die Bezeichnung „Sklavengefängnis“ (habs al-abid), die die historische Funktion der Gebäude mit der Vorstellung, Menschen schwarzer Hautfarbe seien Sklaven, verbindet.
In der Jerusalemer Gesellschaft versuchen einige, den Rassismus, den derlei Bezeichnungen tragen, herunterzuspielen. Auf YouTube findet man Kommentare über eine ideale palästinensische Gesellschaft: „Wir sind eins, wir sind alle Brüder, wir sind alle gleich“ heißt es da. Die Verwendung der Bezeichnung „Sklavengefängnis“ sei doch nicht viel mehr als Ausdruck der Ignoranz weniger; es stecke dahinter kein kultureller oder sozialer Rassismus gegenüber Schwarzafrikanern. Deshalb gäbe es auch insgesamt in der palästinensischen Gesellschaft keinen Rassismus und wir alle seien nur „Diener Gottes“, in der religiösen Bedeutung des Wortes Sklave, abid li-llah.
Yasser Qous (links) und Faisal al-Husseini, ehemaliger PLO-Vertreter in Jerusalem, bei der Eröffnung des Gemeindezentrums, Jerusalem 1996. | ©Privat Ich halte diese Einschätzung jedoch für fragwürdig und unrealistisch. Wie können uns diese YouTube-Stimmen erklären oder rechtfertigen, dass weiterhin die Bezeichnung abid al-duyuk („Sklaven von Duyuk“) für jene Bewohner schwarzer Hautfarbe verwendet wird, die in der Nähe des Dorfs Ein al-Duyuk nördlich von Jericho leben? Oder der Name hara al-abid („Sklavenviertel“) für Stadtviertel in verschiedenen Städten, Kleinstädten und Lagern im besetzten Palästina und Westjordanland, in denen vor allem Menschen schwarzer Hautfarbe leben?
Abschließend lässt sich sagen, dass die Problematik unterschiedlicher Definitionen sowie der Stereotyp, der auf der Verbindung zwischen Hautfarbe, Arbeitsbereich und Wohnlage aufbaut, den Grundstein dafür bildet, den soziokulturellen Status der Schwarzafrikaner in der palästinensischen Gesellschaft einzuschätzen und zu verstehen. Einerseits ist die Definition des al-afriqi al-aswad, des Schwarzafrikaners, dem Prozess der kulturellen Assimilation und Substitution ausgesetzt (takruri); andererseits wird er zeitlich auf die Verbreitung des Islams in Afrika beschränkt, wenn zum Beispiel Aref al-Aref schreibt, dass die afrikanischen Völker vorher (das heißt vor der Islamisierung und Arabisierung der afrikanischen Gesellschaft) keine Zivilisation oder Kultur hatten. Obwohl der Unterschied sicherlich groß war, habe ich doch versucht mit vorangegangenen Beispielen zu zeigen, dass die kulturellen Grenzen zwischen der palästinensischen Gesellschaft und dem Takruri-Afrikaner als Teil der islamischen Umma verschwimmen. Die rassistische Differenzierung besteht jedoch weiterhin und so bleibt der Schwarzafrikaner, ob Takruri oder nicht, in der arabischen Vorstellung eben doch al-abd al-aswad – „der schwarze Sklave“.
Dezember 2018