Abseits des stereotypen Bildes des Gazastreifens, das wir aus den Medien kennen und das vom Krieg und vom Widerstand gegen die israelische Besatzung lebt, präsentiert der deutsche Dokumentarfilm „Gaza Surf Club“ der Regisseure Philip Gnadt und Mickey Yamine eine erfrischend andere Sichtweise: Im Fokus steht die Freude am Leben mit all seinen kleinen Details während Krieg und Leid der Bevölkerung zwar nicht ausgeblendet werden, aber in den Hintergrund rücken. Durch ihre Träume schaffen es die Jungen und Mädchen ihr Leben inmitten der unwirtlichen Situation ihrer Heimat neu auszurichten.
Der Film handelt von einer Gruppe Jugendlicher die in dem Hafen, in dem wegen der Blockade keine Schiffe fahren dürfen, das Surfen für sich entdeckt haben. Die erstaunliche Geschichte vermittelt viele Details über das Leben in Gaza, insbesondere im rund um den Hafen, wo das Meer die letzte Zuflucht vor dem Geruch des Todes und der Kälte des Krieges ist. Der Film zeigt zudem die Herausforderungen vor denen die Surfer stehen: die Schwierigkeit, Surfbretter durch die israelische Blockade hindurch zu importieren, sie aber auch nicht lokal produzieren zu können. Und die Einschränkungen, Bräuche und Traditionen, die das Surfen, vor allem für Frauen und Mädchen, verbieten.Bei seiner Ägypten-Premiere im Rahmen der ersten “Cairo Cinema Days” zog der Film ein großes Publikum an und erntete begeisterten Applaus seitens des Publikums, das den Filmemachern und den Surfern in Gaza gratulierte. Wir sprachen mit den Regisseuren Philip Gnadt und Mickey Yamine über ihre Filmreise durch Gaza, die besonderen Herausforderungen und wie sie diese gemeistert haben.
Wie entstand die Idee zu dem Film, was waren die größten Herausforderungen auf eurer Reise in den Gazastreifen und wie habt ihr sie gelöst?
Durch Zufall habe ich einen Artikel über Surfer in Gaza gelesen, eine verblüffend andere Geschichte, als die Bilder von Krieg, Zerstörung und Bomben, die wir immer im Fernsehen sehen. Ich hatte einen Freund aus Gaza der gerade in Deutschland war, er erzählte mir immer, dass das Leben in Gaza sehr reich sei und die Medien kein wahrheitsgetreues Bild des Alltags der Menschen vor Ort zeigen würden. Ich rief ihn also an um mehr über diese jugendlichen Surfer zu erfahren, doch überraschenderweise hatte er noch nie von ihnen gehört! In diesem Moment verstand ich den Reichtum dieser kleinen Stadt, ihre Tiefe und Vielfalt des Lebens und ich begann mit den Vorbereitungen des Films.
Die Regisseure Philip Gnadt und Mickey Yamine bei der Diskussionsrunde bei den “Cairo Cinema Days”. | ©Goethe-Institut Kairo/Islam Anwar In den Gazastreifen zu reisen erfordert eine große Menge bürokratischer Arbeit bis man die Erlaubnis der israelischen Regierung erhält. Bei unserer Einreise gab es heftige israelische Sicherheitsvorkehrungen und die Reisenden wurden sehr schlecht behandelt. Schließlich kamen wir dort an und es bot sich uns tatsächlich ein Bild, ganz und gar nicht so, wie im Fernsehen. Der Alltag ist hart, immer wieder Stromausfall und kein Zugang zu ausreichend sauberem Wasser, aber trotz allem herrscht eine Atmosphäre der Solidarität, Nächstenliebe und Lebensfreude.
Indem er die Geschichten der Surfer erzählt, ihnen in ihre Häuser folgt und sie im Alltag begleitet, zeigt der Film ein ganz besonderes Bild von Gaza. Wie haben Sie diese Reise aus filmischer und aus menschlicher Sicht erlebt?
Die Menschen in Gaza sind an ausländische Filmteams und Journalisten gewöhnt, aber sie empfinden diese stets als Fremde. Auch eine freundliche Begrüßung führt nicht unbedingt dazu, dass die Menschen Dir Einblicke in ihren Alltag gewähren oder Dich in ihre Häuser einladen. Darum war es notwendig lange vor Ort zu bleiben um eine Beziehung zu den Menschen aufzubauen. Nach sechs Monaten hatten wir einige Leute kennengelernt und Freundschaften geschlossen und konnten mit den Dreharbeiten beginnen. Wir haben während unserer Reise über einhundert Stunden Film aufgenommen aus denen wir schließlich den Film zusammenstellten.
Filmisch wollten wir nicht bloß den Teil über die Surfer zeigen. Wir wollten durch die Augen der Surfer das Leben in Gaza mit all seinen Facetten präsentieren: Dem Tod, der Zerstörung, der Hoffnung und dem Streben ein neues Leben aufzubauen, diese Blockade zu durchbrechen. Das Meer, so wird es auch im Film deutlich, ist für die Jugendlichen ein wichtiger Ort. Ein Ort, an dem sie ihre Freiheit leben und dem Lärm der Bomben, der Atmosphäre des Krieges und allem was er bedeutet entfliehen können.
Wie war es für Sie diese großen Menge, diese vielen Stunden an Material zu editieren?
Das war auch eine schwierige Zeit, es hat ein ganzes Jahr gedauert und es gab viele Momente, die uns Kopfzerbrechen bereitet haben. Insbesondere der Teil mit Sabah. Sie surft, doch als sie 15 Jahre alt wird und etwas Reife zeigt, darf sie den Sport wegen der gesellschaftlichen Restriktionen nicht mehr weiterverfolgen. Bei ihr zu Hause trafen wir ihren Vater, ein gütiger, liebevoller Mann, der seine Kinder zwar zum Sport ermutigt aber dem auch im gesellschaftlichen Kontext die Hände gebunden sind. Und dann eines Tages, während unserer Dreharbeiten, entschloss er sich seine Tochter zu ihrem Hobby zurückkehren zu lassen und lud uns sogar ein, sie dabei zu filmen.
Als wir am Strand ankamen war es zunächst etwas verwirrend für Sabah und das Filmteam. Zuvor hatte sie einen Hijab getragen, aber an dem Tag trug sie einen Hut um ihre Haare zu bedecken. Sie merkte schnell, dass sie mit dem Hut nicht würde surfen können, also nahm sie ihn ab, setzte sich aufs Brett und ging ins Wasser. Wir waren nicht sicher, ob wir diese Szenen zeigen durften, doch nachdem er sie gesehen hatte, war ihr Vater einverstanden, Sabah war wirklich aufgeregt Teil des Films zu sein.
An jenem Tag wurde das Filmteam von Sabahs Klassenkameradinnen überrascht: Als sich die Nachricht verbreitet hatte, dass sie surfen würde, kamen Dutzende Mädchen in Schuluniform mit ihren Schulranzen an den Strand, stellten sich in einer Reihe auf und feuerten Sabah an. Das war wirklich eine unglaubliche Szene.
September 2017