Unsere Facebook Newsfeeds sind zwar mittlerweile nicht mehr mit #metoo Hashtags überfüllt, so wie noch vor zwei Wochen, doch das Thema ist noch lange nicht abgeschlossen. Denn wir sprechen hier nicht über den Skandal eines berühmten Schauspielers, oder die Propaganda eines Politikers. Dies ist keine Geschichte, die kurz Aufmerksamkeit erhält, um gleich darauf wieder vergessen zu werden. Wir sprechen hier über das Leben von 49,5% der Weltbevölkerung. Über Frauen.
Keine ist gefeit!
Jede Frau, überall auf der Welt, lebt mit dem Risiko, sexuell belästigt zu werden. Unabhängig von ihrem sozioökonomischen Hintergrund, ihrem Alter und, auch wenn dies manchmal bestritten wird, ihrer Kleidung. Auf der Straße und in öffentlichen Verkehrsmitteln wird man täglich Zeuge sexueller Belästigung von Frauen. Töchter und Mütter, am Tag oder bei Nacht. Meistens sind sie alleine unterwegs, manchmal haben sie ihre Kinder dabei. Sie tragen Hosen, Kopftuch, selbst den Niqab. Doch dies spielt keine Rolle: Weibliche Geschlechtsorgane zu besitzen ist das einzige Kriterium.Erziehung
Von Kindesbeinen an müssen Mädchen den natürlichen Instinkt, ihren Körper zu schützen, auf die Belästigungen ausrichten, denen sie später ausgesetzt sein werden. In einem Land wie Ägypten wird die Mehrheit der Mädchen dazu erzogen, sich für ihr Geschlecht zu schämen und ihnen wird beigebracht, gegen ihren Instinkt zu handeln. Jeder Mensch, selbst jedes Tier, besitzt von Natur aus den Trieb, sein Leben und seinen Körper zu schützen. Doch stattdessen empfiehlt uns die Gesellschaft, Belästigungen einfach zu ignorieren und weiterzugehen. Am Anfang tut es weh, wenn die Würde verletzt wird. Danach gewöhnt man sich langsam daran. Jedenfalls sollte man das.„Kampf oder Flucht“?
Natürlich gibt es noch die andere Alternative: „Kampf“. Was sich zunächst mutig und stark anhört, ist in der Realität nur schwierig umzusetzen. Denn was passiert, wenn die verbale Beleidigung in körperliche Gewalt umschlägt? Was passiert, wenn scharfe Gegenstände oder Säuren zum Einsatz kommen? Es ist für die Frau kaum einschätzbar, welche Reaktion auf ihre Selbstverteidigung folgen wird, und immer wieder eskalieren solche Situationen. Einige Frauen haben ihr Leben verloren, andere müssen den Rest ihres Lebens mit Narben verbringen, so wie Somaya Ebied.Vor zwei Jahren wurde sie in einem Einkaufszentrum von einem Mann verbal und körperlich belästigt. Sie weigerte sich den Vorfall einfach hinzunehmen und brachte ihren Peiniger zur Polizei. Weil seine Strafe, zwei Wochen Haft und 100 EGP, völlig unangemessen war, wendete sie sich mit ihrer Geschichte an die Medien, um die Ungerechtigkeit publik zu machen. Ende letzten Monats tauchte der Mann plötzlich wieder auf und griff Somaya Ebied mit einem Messer an. Sie erlitt eine 20 cm lange Wunde im Gesicht, die mit 50 Stichen genäht werden musste. Mindestens sechs plastische Operationen waren notwendig, damit Somaya ihre alltäglichen Aktivitäten wieder aufnehmen konnte. Die 20cm lange Narbe bleibt.
Facebook - die Plattform des Protests
Das Hashtag #metoo existiert bereits seit 2006. Initiiert wurde es von der US-amerikanischen Sozialaktivistin Tarana Burke auf MySpace, um auf die sexuelle Belästigung unter jungen, dunkelhäutigen Frauen aufmerksam zu machen.US-amerikanischen Sozialaktivistin Tarana Burke | © Facebook Post MIC (Screenshot) Am 15. Oktober 2017 benutzte Schauspielerin Alyssa Milano dasselbe Hashtag, um jene Frauen zu unterstützen, die den Hollywood Filmproduzenten Harvey Weinstein sexueller Belästigung beziehungsweise der Vergewaltigung beschuldigten. Sie erklärte: „Wenn alle Frauen, die jemals sexuell belästigt wurden „#metoo“ als Status setzen, dann werden alle das Ausmaß des Problems begreifen.“
Die Reaktion war gewaltig: mehr als 4.7 Millionen Menschen benutzten das Hashtag innerhalb der ersten 24 Stunden in insgesamt 12 Millionen Posts. Überall haben Frauen ihre erschütternden Geschichten geteilt und auch Männer erinnerten sich an ähnliche Szenen, deren Zeuge sie geworden waren.
„#metoo Because once at night I had to choose between stepping over garbage or walking past a group of men and I chose to step over garbage.”
“#MeToo Today, Yesterday and Tomorrow”
“#MeToo "3,168,049 People are talking about this now" should mean something”
Hashtag-Maßnahmen
Es kursierte der Vorschlag, dass ehemalige Täter sexueller Belästigungen die Hashtags #itwasme und #howiwillchange teilen, als Zeichen des Schuldgefühls und des guten Willens sich zu bessern. Andere sahen die Lösung in einem #notmeanymore Hashtag, unter dem Frauen sich trauen, aus der Opferrolle herauszukommen und sich zu verteidigen.Was kommt nach #metoo?
Natürlich braucht die Lösung des Problems viel mehr als ein Hashtag, aber mit dessen Hilfe konnte sehr viel Aufmerksamkeit erzeugt werden. Wir wissen jetzt, dass jeder von uns eine Frau kennt, die sexuell belästigt wurde, wenn man dies nicht sogar am eigenen Leibe erfahren hat. Wir können jetzt sicher sagen, dass Belästigung und Vergewaltigung nicht mit der Kleidung oder dem Aussehen gerechtfertigt werden dürfen.#MeToo | © Goethe-Istitut Kairo/ Marjam El-Hamzawy Nun warten wir auf eine wirksame Lösung, denn die Statistiken in Ägypten sehen ziemlich schlecht aus: „95,3% der Frauen werden belästigt. 46,6% der Täter haben einen Abschluß hoher Bildung erworben. Nur 17,7% der Fußgänger stehen dem Opfer bei, wenn sie eine Belästigungsszene erleben“, so HarassMapEgypt. Eine effektive Lösung muss einerseits die Gesetzgebung, andererseits eine angemessene Erziehung der Jungen umfassen, damit sie zu Männern heranwachsen, die Frauen mit Respekt begegnen.
Es ist noch ein sehr langer Weg, aber die Anerkennung des Problems ist bereits ein großer Schritt in die richtige Richtung. Denn letzten Endes ist nichts gefährlicher als Ignoranz.
November 2017