Feb. 2018

Generationskonflikt  4 min Die tatenlose Generation

Musab Hassouna, Gründer einer Initiative, die Kindern das Filmemachen beibringt, meint, dass die vorige Generation bessere Möglichkeiten und Rahmenbedingungen hatte.  @C. Mossab Hassona

Hitze verbrennt ihre Gesichter, endlos die ständige Kritik. Sie haben alle denkbaren Krisen erlebt: Kriege und Kämpfe in der Heimat bis hin zu deren Spaltung, Wirtschaftskrisen, Probleme in den Bereichen Gesundheit und Bildung. Diese Generation hat das Gefühl, dass alles, was schlecht ist, passieren kann. Nur Stille kennt sie nicht. Die junge sudanesische Generation hat ihre ganz eigene Art mit all dem umzugehen. Doch welche Antwort findet sie auf die Anschuldigungen der älteren Generation, die ihr Tatenlosigkeit vorwirft?

Beobachter der gegenwärtigen sudanesischen Gesellschaft werden wissen, dass die ältere und die junge Generation sehr unterschiedlich sind. Diese Unterschiede manifestieren sich in mehreren Dimensionen: der intellektuellen, kulturellen, sozialen und politischen. Während die ältere Generation ein stabiles Leben genossen hat, mit festen Arbeitsplätzen, in einer Zeit, in welcher öffentlicher Dienst und öffentlicher Sektor florierten, erlebt die neue Generation alles, was schlecht ist: den Verfall der Wirtschaft und einen Anstieg der Arbeitslosenquote auf 19,6 % in 2017. Die Militärputsche im Sudan waren die Folge einer Verdichtung aller genannten Dimensionen in Richtung eines Aufstands. Man kann dies nun entweder als Versuch gewaltsamer Verdrängung oder doch mindestens als Ablehnung interpretieren.

„Vor sechs Jahren hatte ich ganz einfache, normale Ansprüche. Doch seit ich als ehrenamtlicher Helfer tätig bin, haben sich meine Ansichten sehr stark verändert“, mit diesem Satz und mit viel Vertrauen in der Stimme, beschreibt Khaled Siraj, ein junger Mann, den Beginn seines freiwilligen Engagements.
Khaled Siraj beginnt seine Arbeit als ehrenamtlicher Helfer bei der Organisation „Bildung ohne Grenzen“.
 
In letzter Zeit ist es unter den Jugendlichen im Sudan sehr populär geworden, sich ehrenamtlich zu engagieren. Mittlerweile sind über 4000 Organisationen und Freiwilligenverbände im „Land der zwei Nile“ aktiv. Sie arbeiten in verschiedenen Bereichen, vor allem aber in der Bildung, dem Gesundheitswesen, in Kultur und Kunst, in der Not- bzw. Soforthilfe und der Krisenprävention. Außerdem setzen sich zahlreiche Organisationen, Gruppierungen und Zentren für Aufbau und Stärkung der Fähigkeiten der Jugendlichen ein. Dazu gehören die Zentren „Jisr lil-Tanmiya“, „Muntada as-Shabab“ und „Yalla Nbadir“.

Im Jahr 1957 trat das Gesetz zur Regulierung und Registrierung der wohltätigen und freiwilligen Organisationen in Kraft. Mit der fortschreitenden Entwicklung des sozialen Lebens gedieh auch das Konzept der ehrenamtlichen Arbeit. Viele Verbände, Organisationen und Initiativen wurden gegründet. Doch dies alles änderte sich im Jahr 1989, als mit einem Militärputsch die Islamisten an die Macht kamen. Die Arbeit wurde eingeschränkt und einige Organisationen, die in der sudanesischen Zivilgesellschaft tätig waren, wurden von der Regierung geschlossen.

Für Khaled erlebt der Sektor der ehrenamtlichen Arbeit gerade eine „goldene Zeit“. Er genießt breite Unterstützung seitens der Gesellschaft und zieht große Teile der sudanesischen Jugend an, denn die aktuelle Situation im Sudan ist so schlimm wie nie zuvor. Die institutionelle und politische Lage wird von Jahr zu Jahr schlechter und zwingt die Jugendlichen dazu, alternative Wege und Lösungen zu finden, beispielsweise freiwilliges Engagement. Zusätzlich dazu haben die Sozialen Medien dazu beigetragen ohne großen finanziellen Aufwand die Idee ehrenamtlicher Mitarbeit zu verbreiten.

 
Wohlstand und Wachstum


Einige Forscher, die die zivilgesellschaftliche Arbeit untersuchen, sehen im ehrenamtlichen Engagement ein Charakteristikum für den Wohlstand einer Nation. Einer dieser Forscher ist Dr. Abdelrahim Belal, der erläutert: „Sudan hat eine sehr große Vielfalt an Freiwilligenverbänden und die Atmosphäre ist gut für ehrenamtliche Arbeit bzw. für Sozialkapital, wie es in der Fachliteratur heißt. Die Herausforderung besteht nun darin, dieses soziale Kapital für eine wissenschaftliche Revolution zu nutzen, eine Revolution der technischen und persönlichen Qualifikationen. Ohne diese können politische Entscheidungen nicht implementiert werden, die auf Wissenschaft aufbauen und auf Projekten, die dem Allgemeinwohl der Bevölkerung dienen.“

In dieser Zeit der Blüte und aufgrund des nur schwach ausgeprägten staatlichen Bildungsangebots im Sudan entstand 2011 die Organisation „Bildung ohne Grenzen“. Sie gehört zu den wichtigsten auf freiwilliger Mitarbeit basierenden Organisationen im Bildungssektor. Sie folgt der Philosophie von Bewegungen für sozialen Wandel: Wenn man daran arbeitet, eine Gesellschaft an Bildung und die Auseinandersetzung mit dieser heranzuführen, wächst die soziale Bewegung und breitet sich aus, bis sie die gesamte Gesellschaft einnimmt. Dann schmilzt sie dahin bis zur kompletten Selbstauflösung und zurück bleibt eine Gesellschaft, der Bildung immer und jederzeit ein dringliches und wichtiges Anliegen ist.

„Bildung ohne Grenzen“ betreut über zehn verschiedene Projekte. Ruh Nasser erklärt: „Wir organisieren freiwillige Jugendaktivitäten. Wir möchten ein Modell für die Gesellschaft sein und sie auch wirklich mit einbeziehen. Das heißt, wir müssen auf einfache, unkomplizierte Art und Weise und nah an der Gesellschaft dran arbeiten.“
 
Wir unterhalten uns weiter über freiwilliges Engagement im Sudan. Bei dem Thema kommt man nicht umhin die Initiative „Sharia al-Hawadith“ zu erwähnen, die sich für die Behandlung und Pflege kranker Kinder einsetzt. Im Kinderkrankenhaus Mohammad al-Amin Hamad in Omdurman konnte die Initiative im Jahr 2005 eine Intensivstation aufbauen, mit einem Budget von über einer Milliarde Sudanesische Pfund. Die Aktivitäten der freiwilligen Helfer erstrecken sich über zwanzig Städte im ganzen Land.

Youssef Handoussi, Mitglied bei „Sharia al-Hawadith“, erklärt: „Die Gesundheit der Kinder ist außerordentlich wichtig und angesichts der Lebensrealität hier sind alle hochmotiviert, jede freie Minute dazu zu nutzen, kranken Kindern zu helfen. Sie sind schließlich die Zukunft dieses Landes.“ Über die Organisation der Initiative erzählt er: „Die Freiwilligen werden entsprechend ihrer freien Zeit eingeteilt, der Plan deckt alle Tage und Zeiten ab, 24/7. Dadurch wird sichergestellt, dass im Notfall immer mindestens ein Freiwilliger zur Stelle ist.“ Und bezüglich der finanziellen Unterstützung führt Youssef aus: „Alle notwendigen Ausgaben werden durch Sponsoren gedeckt, welche die Aktivitäten der Initiative über unsere Facebook-Seite verfolgen.“
 

Machtkämpfe


Manche meinen, dass sich der Generationenkonflikt im Sudan um Macht und Kontrolle dreht. Dass die Alten die Zügel der Macht nicht aus der Hand gegeben und damit die Mehrheit der jungen Generation außen vor gelassen haben, habe den Konflikt verschärft. Seit den 1960er Jahren werden die wichtigsten Parteien von denselben Personen geführt. Wechsel gibt es nur dann, wenn jemand stirbt. Wer noch am Leben ist, der ist bis heute an der Macht.

Der Fotograf Khaled Bahr glaubt, das in weiten Teilen der Gesellschaft der Glaube an eine „Überlegenheit des Alters“ vorherrscht, der dazu führt, dass die Sudanesen der jungen Generation mit Arroganz begegnen. Bahr erklärt: „Die Mehrheit derer, die das goldene Zeitalter des Sudans miterlebt haben, die in jener Zeit aufgewachsen sind, sehen die Gegenwart als eine Art ‚temporäres Ghetto‘. Sie denken, dass es eher früher als später zusammenbrechen wird und bemitleiden die heutige Jugend.“
 

Unterschiedliche Denkweisen


Im Sudan ist die Beziehung der Generationen zueinander manchmal durch so etwas wie Opposition gekennzeichnet. Denn auf der einen Seite stehen recht strenge soziale und kulturelle Vorschriften, die auch in die Religion hineinreichen und damit die Grenzen von Halal und Haram betreffen. Und auf der anderen Seite stehen die Alten, die eine direkte Macht über die Jüngeren ausüben. Das Ausmaß der unterschiedlichen Denkweisen wird besonders bei sozialen Themen und Werten deutlich sowie bei der Auslegung der vorherrschenden Traditionen und Bräuche, welche die Jugend mit ihren Mitteln zu überwinden sucht. Mit der Entwicklung neuer Kommunikationstechnologien, welche die Grenzen des Wissens erweitert, Zugang zu neuen Kulturen eröffnet aber auch Reibungspunkte vervielfacht haben, haben sich die Gräben zwischen den beiden Generationen weiter vertieft.
 

Maladh Abdulqader fasst den Generationenkonflikt als unterschiedliche Wahrnehmung zusammen. Normalerweise stempele die junge Generation die Ideen und Wahrnehmungen der Älteren als alt und nicht mehr zeitgemäß ab. Es werde angenommen, dass sie nicht mit den Veränderungen und Neuerungen kompatibel sind, die das moderne Leben von Individuen oder Gruppen mit sich bringt.

Khaled Siraj findet in der freiwilligen Arbeit Produktivität und aktive Zusammenarbeit.
 

Musab Hassouna, Gründer einer Initiative, die Kindern das Filmemachen beibringt, meint, dass die vorige Generation bessere Möglichkeiten und Rahmenbedingungen hatte. 
Musab hofft, dass die jetzige Generation in der Lage sein wird, im Bereich des Films Spuren in der sudanesischen Gesellschaft zu hinterlassen. Er fügt hinzu: „Im Rahmen der Initiative, mit der wir Kindern zeigen, wie man Filme macht, haben wir in den vergangenen drei Jahren über 40 Kurzfilme gedreht. Diese Arbeit zeigt, dass die heutige Generation der sudanesischen Gesellschaft sehr viel geben kann.“
 




Khalid Siraj glaubt, solange er das Leben nicht verkompliziere, sei der Generationenkonflikt kein großes Problem.

Hassouna ist der Meinung, dass die Schaffung gemeinsamer Standpunkte dabei helfen könnte, die beiden Generation im Sudan wieder einander näher zu bringen.

„Das freiwillige Engagement im Sudan hat Bewusstsein geschaffen und die junge Generation dazu gebracht, aktiv zu werden. Dies ist nur einer von vielen möglichen Wegen, die sudanesische Gesellschaft umzustrukturieren“, so Khaled Siraj. Dagegen sieht Musab Hassouna auch die ältere Generation in der Pflicht: „Sie müssen ihre Autorität reduzieren und der jungen Generation Verständnis entgegenbringen. Diese muss im Gegenzug die ältere Generation auffangen, damit ein Dialog zwischen den beiden Seiten entsteht, der den Weg für eine konstruktive und fruchtbare Beziehung ebnet.“

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