Woran denken Sie, wenn Sie Aids hören?
Vermutlich an Stichwörter wie HIV, Tod, sexuelle Übertragung um nur einige zu nennen. Aber wie lange werden auch Wörter wie Schande, Diskriminierung, Stigma noch mit Aids assoziiert werden?
Eine Tragödie aus den ägyptischen Nachrichten
Anfang Dezember letzten Jahres ereignete sich in einer Nachbarschaft in Boulaq Eldakror, Giza, die folgende Szene: Eine junge Anwohnerin und ihr drogensüchtiger Ehemann waren an Aids erkrankt. Als ihre Vermieter davon erfuhren, verlangten diese von dem Paar mit zwei Kleinkindern, unverzüglich die Gegend zu verlassen, woraufhin sich die junge Frau in ihrer Verzweiflung am 11. Dezember um 1:05 Uhr aus dem Fenster ihrer Wohnung stürzte. Als sich Leute der Leiche näherten schrie eine der Nachbarinnen warnend: „Berührt sie nicht! Sie hat Aids!“Das Fazit dieser Geschichte? In Ägypten ist Aids mehr als das „acquired immune deficiency syndrome“. Es ist zusätzlich zum Kampf mit den heftigen Symptomen der Krankheit auch ein Kampf gegen das gnadenlose Auge der Gesellschaft.
Was ist überhaupt Aids?
Im Gegensatz zu der verbreiteten Annahme ist Aids nicht gleichbedeutend mit der Infektion mit dem HI-Virus. Wenn das Humane Immundefizienz-Virus in den Körper gelangt, greift es die sogenannten T-Helferzellen des Immunsystems an, dringt in sie ein und vermehrt sich dort solange, bis diese Zellen irgendwann zerstört werden.Die Infektion mit dem HI-Virus verläuft in drei Phasen. Die erste Phase ist die akute Infektion. Die Symptome dieser Phase, die rund 2-4 Wochen nach dem Eindringen des Virus auftreten, sind meistens identisch mit denen einer starken Grippe. Zu diesem Zeitpunkt ist auch das Risiko einer HIV-Übertragung besonders groß. Darauf folgt die chronische Infektion. Diese Phase wird auch asymptomatische Infektion genannt und kann 10-15 Jahre andauern. Die dritte Phase schließlich ist Aids. In diesem Stadium hat das HI-Virus so viele T-Helferzellen zerstört, dass das Immunsystem zusammenbricht. Der Patient ist nun anfällig für eine Vielzahl opportunistischer Infektionen wie beispielsweise Tuberkulose, die ohne medikamentöse Behandlung innerhalb von rund drei Jahren zum Tode führt.
Irrtümer kurz erklärt
Viele Irrglauben drehen sich um Aids, welche für die Stigmatisierung verantwortlich zeichnen. Im Folgenden werden einige weit verbreitete, jedoch falsche, Auffassungen korrigiert:
Irrtum 1: „An Aids erkranken nur Prostituierte, Homosexuelle und Süchtige. Es ist quasi deren Bestrafung.“
Fakt: Der HI-Virus wird durch Körperflüssigkeiten übertragen. Dazu gehören Blut, Samenflüssigkeit, vaginale und anale Sekrete sowie Brustmilch. In der Regel gilt: je mehr Sexualpartner jemand hat, desto höher ist die Übertragungsgefahr. Doch ob der Geschlechtsverkehr innerhalb oder außerhalb der Ehe geschieht, ist für die Infektion mit dem Virus irrelevant! Homosexuelle Männer gehören in der Tat zu den HIV-Risikogruppen, denn meistens haben sie Analverkehr, bei welchem die höchste Übertragungsgefahr besteht. Hinzu kommt, dass die Samenflüssigkeit mehr HI-Viren beinhalten kann als die vaginale Flüssigkeit. Korrekt ist ebenfalls, dass die Übertragungsgefahr unter Drogensüchtigen hoch ist. Jedoch sind kontaminierte Spritzen keineswegs nur in der Drogenszene problematisch.
Irrtum 2: „Wegen der Übertragungsgefahr sollte man keinen Kontakt zu Aidskranken pflegen.“
Fakt: Abgesehen von den obengenannten Körperflüssigkeiten gibt es keine Möglichkeit sich mit HI-Viren zu infizieren. Das bedeutet, dass der HI-Virus durch Berührung, Teilen von Essen und Getränken, Husten, Niesen, gemeinsame Nutzung von Schwimmbädern, Türklinken, Toilettensitzen usw. nicht übertragen werden kann. Für die Ausgrenzung von an HIV erkrankten Menschen gibt es also keine medizinische oder wissenschaftliche Grundlage.
Irrtum 3: „Jede HIV-Infektion ist Aids und jede Aids-Erkrankung ist tödlich.“
Fakt: Der erste Teil wurde oben bereits erklärt. Zum zweiten Irrglauben gibt es folgendes zu sagen:
Es gibt bis zum heutigen Tag kein Heilmittel für HIV. Wer daran erkrankt, der muss den Rest seines Lebens mit dem Virus verbringen. Mit Hilfe der sogenannten antiretroviralen Therapie, kurz ART, ist es den Medizinern jedoch gelungen, an Aids Erkrankten zu einer fast normalen Lebenserwartung zu verhelfen. Diese Medikamente werden seit Mitte der 90er Jahre in Kombination mit der sogenannten hochaktiven antiretroviralen Therapie, oder HAART, eingesetzt. Seitdem sind Todesrate und Übertragungsgefahr dramatisch gesunken.
Auswirkungen der Stigmatisierung
Entsprechend der Daten von UNAIDS aus dem Jahr 2016 leben weltweit 36,7 Millionen Menschen mit dem HI-Virus. Ost- und Südafrika haben mit 19,4 Millionen Erkrankten die höchsten HIV-Raten. Der Mittlere Osten und Nordafrika weisen mit 230.000 Erkrankten, davon rund 11.000 in Ägypten, die niedrigsten Zahlen auf. West- und Zentraleuropa sowie Nordamerika liegen mit 2.1 Millionen in der Mitte. Neuerkrankungen sanken seit 1996 von 3.47 auf 1,8 Millionen, wobei aidsbezogene Sterbefälle seit 2004 auf die Hälfte (1 Million) reduziert werden konnten. 2016 hatten 53% der Erkrankten Zugang zu effizienter Therapie, im Vergleich zu lediglich 2,6% im Jahr 2000.Doch gleichzeitig wurde im Jahr 2016 einer von acht Patienten allein aufgrund einer HIV-Infektion oder Aidserkrankung der Zugang zu Gesundheitspflege verwehrt. Hinzu kommt die gesellschaftliche Ausgrenzung sowie die Vertreibung aus Arbeits- und Wohnverhältnissen. Auf staatlicher Ebene manifestiert sich das Stigma in fehlenden Gesetzen, die HIV-Infizierte vor Diskriminierung schützen. Viele Staaten verbieten ihnen gar Einreise und Aufenthalt.
Nicht die Infektion mit HIV, sondern diese Diskriminierung ist die wahre Schande. Eine HIV-Infektion kann Jeden treffen und ist keine Bestrafung für Leute, die „es verdient haben“. Die junge Frau aus Boulaq Eldakror könnte heute noch am Leben sein. Sie hätte medizinische Behandlung erhalten und auch in zwanzig Jahren noch für ihre Kinder da sein können. Jedoch wollten einige ignorante Menschen sie aus ihrer Nachbarschaft vertreiben in dem Glauben, etwas Besseres zu sein als jene Frau und ihr Mann. Doch waren sie wirklich besser als das an Aids erkrankte Paar?
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März 2018