The Diner
„It’s an omelet with ham, tomato, onions, bacon, home fries, and cheese folded right inside of it. And on top, the whole thing gets drowned in sausage gravy.“
Ein Diner ist ein kleines, informelles, günstiges Restaurant, das aussieht wie ein Zugwaggon; – so weit, so gut. Aber warum sind Diner so beliebt? Wie haben sie sich über die Jahrzehnte gewandelt? Und was passiert, wenn man den tief in der amerikanischen Kultur verwurzelten Diner nach Deutschland bringt – besser gesagt nach Nauen? Die Autoren Florenz Gilly und Leon Ginzel sind diesen Fragen auf den Grund gegangen. Und die Hörer*innen der Folge „The Diner“ werden erfahren, warum in deutschen Dinern Burger serviert werden und in den USA aber Avocado-Toasts. Außerdem werden Edward Hopper enttarnt und die Rezepte für einen „Siffy“, „Slinger“ und „John Wayne Burger“ geteilt – eine Folge wie ein gutes Diner‑Gericht: reichhaltig und in 30 Minuten verzehrt.
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Das Berliner Journalisten-Tandem Florenz Gilly und Leon Ginzel hat die „Diner“-Folge produziert. Florenz ist freier Journalist in Berlin und Produzent des Podcasts Microform der Humboldt-Universität Berlin. Während seines Auslandsaufenthaltes an der Cornell University in Ithaca, New York arbeitete er als Lokaljournalist beim örtlichen Radiosender WVBR. Leon arbeitet als freier Journalist für verschiedene deutsche Radiosender und ist einer der Moderatoren des Podcasts Doppelspitze. 2019 volontierte Leon beim Radiosender KUOW in Seattle, dank eines Stipendiums der RIAS Berlin Kommission. Die Musik der Folge wurde über Blue Dot Sessions lizenziert. Die Soundeffekte kommen von Joedeshon, OGsoundFX, lonemonk und n2p5 (alle cc-lizenziert über Freesound). Leon und Florenz haben in den Studios des rbb in Berlin die deutsche Fassung selbst eingesprochen. Außerdem sprechen Peggy Bachmann, Thomas Fränzel, Isabelle Redfern und Volker Wackermann. Das Foto zur Folge stammt von Jonas Höschl. Auf Englisch kann man die Folge hier anhören.
Transkript
[MUSIK]
Christopher O’Brien: American Diner sind entspannte Orte. Hier gibt es keine feinen Soßen und auch keine Petersilie über dem Essen.
Joly Wait: Alle möglichen Leute kommen vorbei: Leute aus der Nachbarschaft, Bauarbeiter oder Angestellte.
[UMGEBUNGSGERÄUSCHE]
Richard Gutman: Sie sind schwer zu übersehen mit ihren riesigen Neon-Schildern.
[UMGEBUNGSGERÄUSCHE]
Male Customer: Two eggs, two strips of bacon, one sausage patty, two pancakes, hashbrowns for 7.95.
[UMGEBUNGSGERÄUSCHE]
Christina Teal: Wenn du was Gesundes willst, musst du zu Starbucks gehen. [LACHT]
[MUSIK]
Leon Ginzel: Laut dem Merriam-Webster Lexikon ist ein Diner ein „kleines, billiges und informelles Restaurant, das wie ein Eisenbahnwaggon aussieht“. So weit, so gut. Aber warum sind Diner so beliebt? Wie haben sie sich mit den Jahren verändert? Und was passiert, wenn so ein typisch amerikanischer Laden plötzlich in Deutschland aufmacht?
Florenz Gilly: Wir nehmen euch mit auf eine Reise durch Raum und Zeit. Zu alten und neuen Dinern in St. Louis, Upstate New York, Berlin und an eine Autobahnkreuzung bei Nauen, 40 Kilometer von Berlin entfernt.
Leon Ginzel: Wir treffen Menschen, die Diner lieben und diesen ganz besonderen Teil amerikanischer Kultur auf beiden Seiten des Atlantiks feiern. Und wir erzählen euch die Wahrheit über das wahrscheinlich berühmteste Bild eines Diner – Nachtschwärmer von Edward Hopper.
[MUSIK]
Leon Ginzel: Mein Name ist Leon Ginzel.
Florenz Gilly: Und ich bin Florenz Gilly.
Leon Ginzel: Ihr hört den BIG PONDER. Ein Podcast des Goethe-Instituts in Zusammenarbeit mit dem rbb.
[MUSIK]
[KÜCHENGERÄUSCHE]
Andreas Falkenhain: Bestseller sind natürlich halt die Burger, gar keine Frage, dit bleibt so dabei. Da würd ick halt sagen wollen, ist der Klassiker der Bacon-Cheese. Bleibt einfach so, da gibt es nüscht. Dis krosse mit dem Bacon und mit Zwiebel, mit BBQ-Soße mit drauf, Rindfleisch, Käse überbacken. Käse kann immer viel Käse sein, gar keine Frage, wa, dit nimmt ja jeder. Am besten immer doppelt Käse, damit dit auch immer schön schmilzt und denn rennt dit.
Florenz Gilly: Das ist Andreas Falkenheim, der Besitzer von Berlins ältestem Diner. Seit mehr als 15 Jahren betreibt der kräftige Mann mit den kurzen Haaren und einem schwarz‑blau karierten Holzfällerhemd den Cruise‑In Diner in Spandau.
Leon Ginzel: Das Diner steht zwischen einem Parkplatz und ein paar Läden und sieht aus wie eine Miniaturversion von Mels Diner aus George Lucas Film American Graffiti von 1973. Ein runder Glaspavillon, dessen Dach wie ein großer Sonnenschirm aussieht, und rote Lichter, die nachts blinken. Früher war der Laden hier Ausstellungsfläche für Fliesen und Sanitärteile.
[KOCHGERÄUSCHE]
Leon Ginzel: Heute dreht sich alles um die Küche. Aber frisch gefliest sieht es hier nicht aus. Der Cruise‑In Diner hat einen, sagen wir mal, deftigeren Style.
Andreas Falkenhain: „John Wayne Burger“ is’ immer so dann dit overtop nochmal. Dit sind zwei Scheiben Fleisch, 180 Gramm, Chili con Carne mit drauf. Da haste so gute 400, 500 Gramm Fleisch haste schon mal nur da. Dann ist dit so’n Trümmer, der so 20 Zentimeter hoch ist. Da haste reichlich zu essen. Dit reicht für einen Bauarbeiter oder für fünf kleine Mädels ...
[KÜCHENGERÄUSCHE]
Florenz Gilly: Was sich wie ein verrücktes Super‑Size‑Gericht anhört, ist nichts Außergewöhnliches. Tatsächlich hat jeder Diner sowas wie einen John‑Wayne‑Burger auf der Karte.
Leon Ginzel: Beim Essen im Diner geht es um Gemütlichkeit, man könnte sagen, dass es hier „Soulfood“ gibt. Vielleicht nicht gerade das gesündeste der Welt, aber immerhin ist es frisch. Und es gibt immer etwas Besonderes auf der Karte. Im 24/7 Courtesy Diner in St. Louis, Missouri, ist das der „Slinger“.
Christina Teal: Das sind circa zwei Kilo Hamburgerfleisch, darüber zwei Eier und Toast. Wenn du willst, bekommst du Zwiebeln und Käse dazu. Manche Leute legen sich auch noch einen Burrito drauf.
[DINER‑GERÄUSCHE]
Leon Ginzel: Christina Teal hat in den vergangenen zehn Jahren schon so einige „Slinger“ serviert. Von der langen Theke im Courtesy Diner aus kann man den Eiern in der Küche beim Brutzeln zuschauen.
Fast so bekannt wie der „Slinger“ ist auch das Gericht „Hangover“: gebratenes Hühnerfleisch, Bratkartoffeln, zwei Eier, Soße. Und es gibt natürlich auch alles für ein herzhaftes Frühstück – French Toast oder Eier in jeglicher Form: gebraten, gerührt oder als Omelett.
Florenz Gilly: Überhaupt sind Omeletts ganz typisch für Diner ...
Joly Wait: Omelett mit Huhn, mit Cheeseburger, Chili oder Käse.
Florenz Gilly: Das ist Joly Wait. Sie arbeitet im Lincoln Street Diner in Ithaca, New York. Das war mein Lieblingsdiner, in meiner Zeit als Austauschstudent hier. Die Spezialität hier ist ein Gericht mit dem Namen „Siffy“: ein Omelett gefüllt mit Schinken, Tomate, Zwiebeln, Bacon, Home Fries und Käse. Das Ganze wird mit einer Ladung Gravy übergossen. Joly nennt es „heart attack on a plate“ – Herzinfarkt auf dem Teller.
Leon Ginzel: Das klingt gefährlich. Aber es gibt auch etwas gesündere Alternativen.
[MUSIK]
Leon Ginzel: Fisch- und Salatgerichte stehen schon seit Langem auf den Speisekarten der Diner. Die Esskultur verändert sich ständig. Sowohl in den USA als auch in Deutschland kommen gerade immer mehr vegetarische und vegane Gerichte auf die Karten.
[MUSIK]
Florenz Gilly: Was Leon und ich bei unseren Gesprächen mit Besitzer*innen der Diner in Deutschland festgestellt haben: Es gibt eine Art Purismus. Nach dem Motto: Ein echter Diner darf nur Burger servieren. Höchstens noch ein paar Eier und Milchshakes dazu. Aber mehr nicht.
In den USA wiederum ist alles Mögliche auf den Karten zu finden. Von Quesadillas über Hummersuppe bis hin zum Ceasar Salad. The sky is really the limit here.
Richard Gutman: In manchen Dinern sind die Karten so groß, dass sie nicht auf einen Tisch für vier Gäste passen.
Florenz Gilly: Das ist Richard Gutman – Amerikas wichtigster Diner‑Experte. Seit den 70ern beschäftigt er sich mit dem Thema, hat Bücher dazu veröffentlicht und eine riesige Diner‑Sammlung. Von alten Speisekarten über Postkarten bis hin zu Zahnstochern ist alles dabei. Und natürlich hat Gutman schon so einige Diner in den Staaten ausprobiert.
Leon Ginzel: Ganz ehrlich, Florenz, ich hatte ihn mir ein bisschen, sagen wir mal, „kräftiger“ vorgestellt. Tatsächlich ist er eher schlank, trägt eine Brille und graues Haar. Als Architekturstudent war er zuerst von dem Design der Diner fasziniert. So hat seine Leidenschaft angefangen.
Florenz Gilly: Richard hat uns viel über die Geschichte der Diner erzählt.
[SCHALLPLATTENSOUND, PFERDEWIEHERN]
Leon Ginzel: Genau. Diner haben sich nämlich aus Speisewagen entwickelt, die damals noch von Pferden gezogen wurden. Diese Wagen fuhren nachts durch die Stadt und versorgten die Arbeiter mit günstigen Hotdogs oder Würstchen.
[LAUTSPRECHERWERBUNG UND HUPEN]
Leon Ginzel: Die Pferdewagen wurden nach und nach an die Straßenränder verdrängt, weil auf den Straßen immer mehr Autos fuhren. Seit den 20ern gab es dann sogar fest installierte Hütten, die etwas größer und auch sauberer waren. Die Leute nannten sie „Diner“, nach den Speisewagen in Zügen. Richard Gutman:
Richard Gutman: Die ersten Diner stammen aus dem Osten der Vereinigten Staaten. Aber sie wurden schon bald überallhin exportiert.
Leon Ginzel: Die Erfolgsgeschichte der Diner hätte nicht ohne die rasante Entwicklung auf dem Automarkt passieren können. In den 50ern wurden Highways gebaut und Massenproduktion machte es möglich, dass immer mehr Menschen ein Auto kaufen konnten. Unterwegs mit dem Auto und an einem Diner stoppen war die perfekte Kombination.
Richard Gutman: Wenn du vom Highway aus ein Diner gesehen hast, wusstest du: Da gibt es guten Kaffee und Kuchen und es wird dich nicht viel Zeit kosten.
Leon Ginzel: In den 50ern begann auch der Siegeszug von Fast‑Food‑Ketten wie McDonald’s. Überall eröffneten neue Läden – eine riesige Konkurrenz für die Diner. In den großen Ketten kosteten die Hamburger gerade mal 15 Cents. Und sie wurden innerhalb von 20 Sekunden serviert. Aber die Diner schlugen zurück: mit ihrem freundlichen Service und ihrer besonderen, persönlichen Atmosphäre. Ein Kontrast zu den überall gleich aussehenden Fast‑Food‑Ketten.
Richard Gutman: In den 70ern und 80ern merkten die Leute, wie besonders die Diner waren. Sie fingen an, sie zu renovieren und zu pflegen. Plötzlich waren die Diner in Filmen und der Werbung zu sehen. So sind sie nach und nach zum Kult geworden.
Leon Ginzel: Und wir reden bis heute darüber.
[MUSIK]
Joly Wait: Leute aus der Nachbarschaft, Bauarbeiter oder Angestellte – alle kommen hier vorbei.
Florenz Gilly: In einem Diner kommen seit jeher Menschen zusammen, unabhängig davon, wo sie herkommen oder wie viel Geld sie haben. Das ist ein wichtiger Grund für den Erfolg der Diner und sagt viel über die Rolle dieser Restaurants für die Gesellschaft aus.
Leon Ginzel: Aus der gesellschaftlichen Bedeutung hat sich auch eine politische entwickelt. Fast jeder Präsidentschaftskandidat baut während seiner Kampagne einen Stopp in einem Diner ein, um sich unter die Wählenden zu mischen.
Richard Gutman: Polizisten sitzen neben Bauarbeitern oder College‑Professor*innen. Und das war in der Geschichte der Diner schon immer so.
Florenz Gilly: Diner als Melting Pot der amerikanischen Gesellschaft? Ein Ort für alle, unabhängig von Geld, Herkunft oder Klasse? Ehrlich gesagt bin ich mir da nicht so sicher. Mein Eindruck von den Dinern an der Ostküste ist, dass es überwiegend weiße Orte sind.
Leon Ginzel: In einem Diner in Deutschland herrscht eine lockere Stimmung. Andreas Falkenhain vom Cruise‑In Diner sagt, er behandelt alle Gäste gleich.
Andreas Falkenhain: Für mich is’ et so: Alle, die hier reinkommen, ob Stammkunde oder normaler Kunde, werden behandelt als wenn de hier auf Klassenfahrt bist. Der wird geduzt. Soll immer lieb, nett und freundlich sein, ja keene Frage. Und im Diner, hier werden wir nie ’ne weiße Tischdecke haben, hier werden wir auch nie ’nen Kellner erwarten können, der ’ne weiße Serviette um den Arm hat. Ne Weinkarte gibt es auch nicht. Aber der Service muss sauber und ehrlich sein. Und dann kommen auch so die Gäste rüber.
Florenz Gilly: Ob in Deutschland oder den USA – Diner haben ein ganz besonders Publikum.
Leon Ginzel: Ich glaube es ist an der Zeit, Birgit vorzustellen.
Birgit Majewski: Mein Name ist Birgit Majewski und mit meinem Lebenspartner zusammen und meinem Sohn betreiben wir den Big’s Diner in Nauen.
Leon Ginzel: Die 60-jährige Frau im blau weißen Ringelpulli trägt ihr dunkelblondes Haar zu einem Zopf geflochten. Wir sitzen mit ihr in einer der Ecken des Diner. Big’s Diner liegt in einem Industriegebiet, umgeben von Autohändlern. Aber Dinerfans kommen seit 15 Jahren von überall her, um bei ihr zu essen. Mit vielen von ihnen hat Birgit ein enges Verhältnis.
Birgit Majewski: Ich liebe und leide mit meinen Gästen. Also, ich kenne Geschichten, Familiengeschichten, Betriebsgeschichten, sonst was, wie auch immer. Aber wir sind teilweise Teil der Familien, beziehungsweise die Familien sind Teil von uns. Über 15 Jahre ist das schon gewaltig, was da zusammengewachsen ist.
Florenz Gilly: Im Big’s Diner arbeitet Birgit nicht nur im Service. Sie ist auch Freundin und sogar Therapeutin ihrer Gäste. Sie kennt ihre Geschichten, manche von ihnen gehören beinahe zur Familie. Genau diese Verbundenheit zu den Gästen ist etwas, was die Diner hier und in den USA ausmacht.
[MUSIK]
Florenz Gilly: Diner leben von und für ihre Stammkund*innen – ganz im Gegensatz zu den großen Fast‑Food‑Ketten. Wer regelmäßig in einen Diner geht, wird schon bald vom Personal erkannt. Christopher O’Brien, Besitzer des Lincoln Street Diner in Ithaca:
Christopher O’Brien: Wenn Joly manche Gäste reinkommen sieht, bereitet sie ihre Getränke vor, ohne dass sie etwas sagen müssen. Sie können einfach ankommen und entspannen.
Jolly Wait: Die Leute nennen uns „Cheers of Ithaca“, wie die Fernsehserie.
Leon Ginzel: Eine ähnliche Stimmung herrscht im Courtesy Diner in St. Louis. Das Team arbeitet hier schon seit Jahrzehnten zusammen und die Kund*innen lieben diese Stabilität. Phil Catanzaro ist 67 Jahre und seit Jahren Stammkunde:
Phil Catanzaro: Ich komme hier seit 18 Jahren jeden Tag hin. Die Leute hier sind für mich Familie.
Leon Ginzel: Diner gehören also bis heute in den USA zum Alltag. Sie sind ein ganz normaler Teil der Kultur.
[MUSIK, DINER‑GERÄUSCHE]
Florenz Gilly: Die Theke ist in den USA der Mittelpunkt der Diner. Hier trinken die Gäste ihren Kaffee und plaudern mit dem Service. Keiner fühlt sich alleine, selbst wenn man ohne Begleitung kommt.
Birgit Majewski: In den USA ist das gang und gäbe. Man kommt rein und setzt sich erstmal an die Bar ...
Florenz Gilly: In den USA lotst die Bedienung die Gäste erst mal an die Theke, wo man etwas trinken und darauf warten kann, dass ein Tisch frei wird. In Birgits Restaurant ist das anders. Wenn die Gäste hier hereinkommen, steuern sie direkt auf eine der Sitzecken zu. Und wenn ein Tisch bereits besetzt ist, setzen sich neue Gäste automatisch so weit wie möglich davon weg.
Birgit Majewski: ... is ’n Deutschland ganz anders. Wenn wir jetzt in Deutschland so ’n leeren Laden haben, dann setzt sich ein Pärchen hier hin und ein Pärchen da hinten hin. Und das ist Deutschland. Nicht alles lässt sich projizieren ...
[MUSIK]
Leon Ginzel: Also nicht alles funktioniert in deutschen Dinern wie in amerikanischen. Die unterschiedlichen Mentalitäten führen dazu, dass die Menschen die Diner anders nutzen.
Florenz Gilly: In den USA ist ein Dinerbesuch etwas absolut Alltägliches. Wer in Deutschland in einen Diner geht, kommt entweder aus Amerika oder ist jemand mit einer besonderen Verbindung dorthin: Biker, Autoliebhaber*innen oder Studierende, die ein Auslandsjahr in den USA verbracht haben. Ein Dinerbesuch ist etwas Besonderes, kein tägliches Ritual.
[MOTORRAD‑SOUND, AUTO‑SOUND]
Florenz Gilly: Eine Gelegenheit, seine Harley oder den 1960er‑Chevy auszuführen. Manche Leute ziehen sich sogar extra schick dafür an.
Leon Ginzel: Die spezielle Einrichtung ist Teil des Ganzen. Wie zum Beispiel in Andreas Cruise-In Diner.
[PARKPLATZGERÄUSCHE, EINTRETEN]
Leon Ginzel: Der Glaspavillon am Eingang ist eine kleine Replik von George Lucas Mels Diner. Beim Reinkommen hat man sofort das Gefühl, an das Set dieses alten Films zu kommen: grelle Farben, rote Ledersitze und Oldies im Hintergrund. Von der Decke hängen Football‑Trikots. In einer Ecke steht ein alter Coca‑Cola‑Automat, der von einem ehemaligen amerikanischen Stützpunkt in Zehlendorf stammt.
Andreas Falkenhain: Na, wie zeitversetzt. Wie ’ne Zeitmaschine. Ick würde sagen einfach: 60er-Jahre. Is allet so stehengeblieben. Bleibt auch allet so. Der Laden lebt ja davon. Dit müssen überall Pastellfarben drin sein. Dit muss aussehen wie ’ne Bonbonfabrik. Und dann passt dit auch, ja.
Leon Ginzel: Ganz ähnlich sieht es in Nauen aus, 30 Minuten westlich von Spandau. An das weiße, lange Gebäude schließt sich ein Tanzsaal an, über dem Eingang prangt ein Pin‑up‑Girl.
[INNENRAUM-ATMOSPHÄRE]
Leon Ginzel: Der Innenraum ist mit den typischen roten Ledersitzen ausgestattet. Auf dem Boden sind Fliesen im Schachbrettmuster verlegt. Und die Wände sind mit amerikanischen Autokennzeichen dekoriert – von Utah bis Delaware. Es gibt ein altes Münztelefon und Poster von Marylin Monroe und Elvis Presley.
Florenz Gilly: Birgit und ihr Lebenspartner haben ihre ganze Energie, ihr Geld und ihre Leidenschaft in den Diner gesteckt.
Birgit Majewski: Dis is Herzblut. Dieser ganze Laden ist Herzblut. Ganz viel.
[MUSIK]
Florenz Gilly: Wie Leon schon erzählt hat, hing der Erfolg der Diner eng mit dem Bau der Highways in den 50ern zusammen.
Leon Ginzel: Genau. Und interessanterweise sind auch die deutschen Diner meistens am Rand von Autobahnen zu finden.
Florenz Gilly: Stell dir vor, du braust mit 200 Sachen über die Autobahn, siehst die Bäume und Häuser an dir vorbeirauschen und merkst plötzlich, dass du Hunger kriegst. Du nimmst die nächste Ausfahrt mit dem vielversprechenden Namen „Am Fichteplan“ – und wo landest du? An einem dieser typisch amerikanischen Diner, mit diesen grellen Neonleuchten.
[AUTOBAHNGERÄUSCHE]
Florenz Gilly: Cindy’s Diner ist anders als die Diner in Nauen, Ithaca und Spandau. Er gehört zu einer Kette. Nicht so groß wie Burger King oder Wendy’s. Auch das Sam Kullman’s gehört zu dieser Sorte. Sie sehen genauso aus wie die alten, verchromten Wagen und es gibt Zweigstellen in Ludwigsburg, Regensburg, Würzburg ...
[TROMPETEN-FANFARE]
Leon Ginzel [STIMMEFFEKT]: Ach Deutschland, Land der Burgen ...
Florenz Gilly: ... in Kaiserslautern und in Linthe, südlich von Berlin.
[AUTO-GERÄUSCHE]
Florenz Gilly: Wir sind hier an einem kühlen, sonnigen Nachmittag.
Leon Ginzel: Die Leute essen Burger in ihren Autos oder Campern. Wir haben mit einigen von ihnen gesprochen und sie gefragt, warum sie lieber hierhin, als zu den großen Fast‑Food‑Ketten auf der anderen Straßenseite gehen.
[PARKPLATZ-ATMOSPHÄRE]
Kundin: Na dieses Flair von diesem Alten, also das fanden wir eigentlich immer toll.
Kunde: Fuffziger-, Sechzigerjahre. Passt halt eben. Und nicht wie McDonald’s. Alles neu. Alles schick, alles clean. So is’ herrlich. Sitzt man auch mal ein Stückchen länger. Bestellt halt eben mal noch was.
Florenz Gilly: Die Einrichtung für das Kullman’s Stammt übrigens aus Newark, New Jersey. Dieser besondere Stil macht für einige Gäste den entscheidenden Unterschied. Und noch etwas ...
Kunde: Es ist halt einfach frisch, man merkt das auch. Also auch die Qualität und der Geschmack ist ganz anders. Also es schmeckt wie wenn man ’s selber grillt.
Florenz Gilly: Dass Kullman’s Diner direkt an der Autobahn liegt, scheint niemanden zu stören.
Kunde: Gar net. Also mich stört das gar net ...
Florenz Gilly: Entlang der Autobahnen, in engen Seitenstraßen oder Industriegebieten angesiedelt, sind Diner Orte des schnellen Übergangs. Du kommst, sitzt, isst …
[MUSIK]
Florenz Gilly: … und dann fährst du wieder.
Leon Ginzel: Das Konzept der Diner wurde nach Deutschland importiert, weil es eine Nachfrage gab. Ansonsten könnten Restaurants wie Sam Kullman’s oder der Cruise‑In Diner nicht überleben. Trotzdem bleiben sie eine Besonderheit in der kulinarischen Landschaft. Etwas, dass man nicht alle Tage zwischen den vielen internationalen Restaurants in Deutschland findet. Manchmal führt das bei den Gästen allerdings auch zu Enttäuschungen …
Birgit Majewski: Teilweise haben sie verkehrte Vorstellungen, weil viele uns dann sagen: „Ja und Rollschuhe müsst ihr euch noch umschnallen!“ Und und und ... Das sind über Filme projizierte Wunschträume.
Leon Ginzel: Birgit hat Recht: Unsere Vorstellung von amerikanischen Dinern setzt sich vor allen Dingen aus berühmten Referenzen zur amerikanischen Popkultur zusammen. Wie zum Beispiel dem Film American Graffiti oder der Coming‑of‑Age‑Story Diner aus dem Jahr 1982 – oder natürlich Tarantinos Pulp Fiction. Kein Wunder, dass die Realität diesen Bildern nicht ganz genau entspricht.
[MUSIK]
Florenz Gilly: Ein anderer Mythos rankt sich um das berühmte Bild Nachtschwärmer von Edward Hopper, das er 1942 unmittelbar nach der japanischen Attacke auf Pearl Harbor gemalt hat. Es gibt kaum einen Artikel oder eine Doku über Diner, in der dieses Bild nicht erwähnt wird.
Richard Gutman: Tatsächlich zeigt das Bild alles andere als einen klassischen Diner. Die riesigen Fenster waren 1940 unüblich und auch die Einrichtung ist viel zu einfach gehalten.
Florenz Gilly: Die beiden einsamen Gestalten, die Hopper an die Theke gesetzt hat, trinken Kaffee aus zwei weißen Bechern. Aber es sind weit und breit keine Ketchup-Flaschen zu sehen. Ein echter Diner wäre niemals so leer und aufgeräumt.
Leon Ginzel: Im Gegensatz zu den meisten deutschen Dinern sind viele amerikanische 24/7 geöffnet. Wie zum Beispiel der Courtesy Diner in St. Louis.
Christina Teal: Bei uns gibt es Frühstück, Mittag und Abendessen. Nachts kommen die Betrunkenen. [LACHT]
Florenz Gilly: Ich habe sogar gehört, dass manche Diner gar keine Schlüssel haben, weil sie seit ihrer Eröffnung niemals geschlossen waren.
Leon Ginzel: Der perfekte Anlaufpunkt für Leute auf dem Weg von und zu ihrer Arbeit und für Nachtschwärmer.
Florenz Gilly: Polizist*innen, Leute von der Regierung, Ärzt*innen im Bereitschaftsdienst, Nachtwächter, Architekturstudierende, die bis in die Nacht hinein an ihren Projekten arbeiten und plötzlich Hunger kriegen. Wo gehen die hin, wenn alles andere zu hat?
Leon Ginzel: In einen Diner!
[MUSIK]
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Florenz Gilly: Leon, wir kommen ans Ende unserer Geschichte. Was nimmst du aus unserer Recherche mit?
Leon Ginzel: Ich finde es faszinierend, mit wie viel Leidenschaft die Leute bei der Sache waren. Die stecken wirklich viel Liebe und Herzblut in ihre Jobs. Wie sie ihre Diner einrichten, welches Essen auf der Karte steht und was für ein Verhältnis sie zu ihren Gästen haben. Ich war auch erstaunt darüber, wie ausgefallen einige Gerichte waren. Zum Beispiel der „Slinger“ oder die Auswahl an Omeletts in Ithaca. Ich bin ein Foodie, ich liebe es, hausgemachte und besondere Sachen zu probieren. Und ich mag die Atmosphäre der Diner. Sie sind ein Wohlfühlort, abseits vom stressigen Alltag. Wie ist das bei dir?
Florenz Gilly: Ich fand die kleinen Unterschiede zwischen deutschen und amerikanischen Dinern lustig. Zum Beispiel die deutsche Verbohrtheit, wenn es um die Karte geht. Oder dass sich hier niemand an die Theke setzt. Ich mag, wie opulent das Essen und die Einrichtung sind. Und obwohl der Big’s Diner und der Cruise‑In Diner in Deutschland mit ihrem expliziten 60er‑Jahre‑Style anders sind als die amerikanischen Diner, würde ich sie trotzdem zur internationalen Dinerkultur zählen. Denn, wie Richard Gutman es gesagt hat: Es gibt nicht den einen, echten Diner.
Richard Gutman: Das Tolle an dieser ganzen Dinerkultur ist, dass du daraus mitnehmen kannst, was du willst. Du kannst sogar bis zur Erschöpfung in einem Podcast darüber reden.
Florenz Gilly: So habe ich das auch wahrgenommen. Jeder hat seine eigenen Ideen, Vorstellungen und Fantasien von einem Diner.
Leon Ginzel: Was alle vereint, ist: Jeder Diner ist ein Ort mit Seele. Etwas Besonderes und Einzigartiges.
[MUSIK]
Florenz Gilly: Und wie geht es jetzt weiter mit den Dinern?
Leon Ginzel: In den USA geht der Trend definitiv zu gesünderem Essen. Bowls mit Seegras und Vollkornreis zum Beispiel. Das Essen lässt sich immer besser für Instagram fotografieren.
Florenz Gilly: Ha!
Leon Ginzel: Die New York Times beschreibt Diner mit solchen Gerichten als „verhipstert“. Sie sehen so aus wie das Original, aber das Menü passt sich dem aktuellen Geschmack an.
Florenz Gilly: Richard Gutman sagt den Dinern eine gute Zukunft voraus. Er glaubt, dass sie ihre Besonderheit in der amerikanischen Landschaft behalten werden. Unaufdringlich und immer gut für ein herzhaftes Essen.
Leon Ginzel: Aus Berlin für den BIG POUNDER, äh, BIG PONDER – mein Name ist Leon Ginzel.
Florenz Gilly: Und ich bin Florenz Gilly. Wir hoffen, ihr hattet Spaß. Und solltet ihr mal in Ithaca, St. Louis, Spandau oder Nauen sein – checkt unbedingt die Diner. Vielleicht treffen wir uns dann an einer der Theken auf einen Chili‑Cheeseburger.
Leon Ginzel: Oder einen „Slinger“.
Florenz Gilly: Na dann – guten Appetit!