Little America
„I would hang out in ‘Gaststätten,’ and talk to the Swabian, old folks and young folks. And that’s how I got to know Germans and I got to speak the language.“
Die Entscheidung des US-amerikanischen Ex-Präsidenten Donald Trump, in Deutschland stationierte Soldat*innen abzuziehen, nahm sein Nachfolger im Weißen Haus, Joe Biden, kurz nach seinem Amtsantritt zurück. In Deutschland sind rund 35.000 US-Soldat*innen stationiert. Ihre Kasernen sind für sie als „Little Americas“ eingerichtet: Es werden Meilen gezählt und keine Kilometer, die Geschäfte führen amerikanische Waren, und das Essen schmeckt wie zuhause in den USA. Die Autorinnen Sylvia Cunningham and Monika Müller-Kroll sind in die Welt der „Little Americas“ eingetaucht. Sie folgen dem Kabarettisten Ron Williams, der in seiner Zeit als Soldat auf seiner Vespa die Kaserne verließ, um sich in Stuttgart in einem Gasthaus an einem Tisch voller Schwäbinnen und Schwaben wiederzufinden. Und obwohl er kein Wort verstanden hat, ist Ron nicht in die USA zurückgekehrt sondern ist in Deutschland geblieben. Die gleiche Entscheidung wie Ron haben auch Rick, Felicia und EB getroffen. Die Folge „Little America“ erzählt ihre Geschichte – unterlegt von viel Blues.
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Das deutsch-amerikanische Journalistinnen-Duo Sylvia Cunningham und Monika Müller-Kroll hat diese Geschichte aufgezeichnet. Sylvia ist 2017 von New York nach Deutschland gezogen und macht seitdem Radiosendungen und Podcasts in Berlin. Monika ist Weltenbummlerin und produziert Radiosendungen für verschiedene öffentlich-rechtliche Sender in Deutschland. Die beiden haben lange für den Radiosender KCRW Berlin englischsprachiges Radio für die deutsche Hauptstadt gemacht. Die Musik ihrer Folge „Little America“ haben freundlicherweise EB Davis, Ron Williams und Jonathan Kroll beigesteuert. Sylvia und Monika sind nicht nur die Erzählstimmen der englischen Originalfassung, sondern auch die der deutschen Fassung. Außerdem sprechen Thomas Fränzel, Isabelle Redfern und Volker Wackermann. Das Foto zur Folge hat Jonas Höschl in den Rose Barracks in Vilseck nahe Nürnberg aufgenommen. Die englische Originalfassung der Folge kann man hier anhören.
Transkript
[„I STILL NEED SOMEONE“ VON EBSOLUTELY]
EB Davis: Eigentlich wollte ich gar nicht nach Berlin kommen, hinter den Eisernen Vorhang.
Felicia Peters: Ich konnte wählen: Japan oder hier. Ich weiß bis heute nicht, warum ich mich für Deutschland entschieden habe.
Rick Pomerance: Es sollte ein Abenteuer werden. Ich hatte seit der neunten Klasse Deutsch gelernt, jetzt wollte ich es ausprobieren.
Ron Williams: Ich war nicht gerade ein typischer GI.
Sylvia Cunningham: Ron Williams, Rick Pomerance, Felicia Peters und EB Davis sind nur vier von Hunderttausenden amerikanischen GIs, die während des Kalten Krieges in Deutschland stationiert waren.
Monika Müller-Kroll: Drei Jahrzehnte gehörten sie zu Westdeutschland.
John Provan: Wir hatten alles, was das Herz begehrt. Als Amerikaner waren wir privilegiert.
Sylvia Cunningham: Das ist John Provan, Historiker und Sohn eines Hauptfeldwebels in der Air Force. Wenn John spricht, klingt das amerikanisch. Dabei hat er fast sein ganzes Leben außerhalb der USA verbracht.
John Provan: Alles, was ich über die USA gelernt habe, kam aus Little America.
Monika Müller-Kroll: In dieser Folge des BIG PONDER sprechen wir mit Amerikaner*innen, die für das Militär über den Atlantik kamen – und sich entschieden haben, zu bleiben.
Sylvia Cunningham: Wir geben euch Einblicke in ihr Leben, damals und heute. Wir sprechen mit einem Entertainer, einer Musikerin, die zur Pflegerin wurde, dem Besitzer von Deutschlands ersten Autopfandleihshop und einem „Blues Ambassador“, dessen Musik ihr gerade hört. Mein Name ist Sylvia Cunningham.
Monika Müller-Kroll: Und ich bin Monika Müller‑Kroll.
[MUSIK]
Monika Müller-Kroll: Unsere Geschichte beginnt, als Deutschland noch ein geteiltes Land war. Während des Kalten Krieges gab es mehr als 200 US‑Militärstützpunkte in Westdeutschland. Nach dem Fall der Mauer 1989 und der deutschen Wiedervereinigung schlossen die Stützpunkte nach und nach, die Truppenanzahl verringerte sich. Heute gibt es weniger als 36.000 amerikanische Soldat*innen in Deutschland. Aber zu Hochzeiten des Kalten Krieges wohnten hier Hunderttausende GIs mit ihren Familien. Sie lebten in Little Americas – kleinen Enklaven, in denen sich der Alltag genau wie in den USA abspielte.
Sylvia Cunningham: Der Historiker John Provan hat fast seine gesamte Kindheit in so einem „kleinen Amerika“ verbracht.
John Provan: Wir hatten alles, was man sich vorstellen kann: Bowling, Kinos, Werkstätten, Autohändler. Eigentlich musste man nie hier raus.
Sylvia Cunningham: Alles war auf Englisch erhältlich: Filme, Bücher, Zeitungen. Der einzige Grund für John, den Stützpunkt zu verlassen, war, wenn er etwas im PX nicht finden konnte.
John Provan: Im PX konnten wir alle unsere Anziehsachen kaufen. Schuhe, Picknickausrüstung, alles Mögliche. Der Commissary war eine Art Supermarkt. Hier gab es Fleisch, Kartoffeln, Obst, Gemüse. Das Besondere war, dass es ausschließlich amerikanische Produkte gab, mit amerikanischen Mengenangaben und auf Englisch beschriftet. Unser Brot kam aus einer speziellen Bäckerei in Grünstadt, die von GIs betrieben wurde. Diese Bäckerei hat Brötchen für Hamburger und Hotdogs, Brot, Eistorten und Kekse für die GIS in ganz Europa gebacken. Es war eine riesige Bäckerei mit fast 1.000 Angestellten.
Sylvia Cunningham: Die Amerikaner sollten sich ganz zu Hause fühlen. Die Militärstützpunkte waren „bubbles“ – kleine Blasen – unabhängig vom umliegenden deutschen Umfeld und weit weg von den alltäglichen Problemen, die Amerikaner zu Hause hatten.
John Provan: Es war wirklich eine heile Welt. Was hätte auch passieren sollen? Es gab keine Armut, weil alle beim Militär angestellt waren. Jeder hatte eine Wohnung und musste sich keine Gedanken um Wasser oder Elektrizität machen ... Das alles wurde vom Militär bezahlt. Alle Alltagssorgen, die man als Zivilist haben könnte, fielen weg.
Sylvia Cunningham: Aber nicht alle GIs lebten in den Little Americas. Manche entschieden sich bewusst für ein anderes Leben. Manche hatten keine Wahl ...
EB Davis: Ich heiße Ebylee, aber alle nennen mich Eb.
Sylvia Cunningham: Eb kam Anfang der 80er‑Jahre nach Berlin. Er war Teil einer hochgeheimen Einheit mit dem Namen „the U.S. Military Liaison Mission“.
EB Davis: Wir waren eine kleine Einheit und wir hatten unsere eigenen Unterkünfte.
Sylvia Cunningham: Das Leben außerhalb eines Stützpunktes war aber nicht der einzige ungewöhnliche Aspekt in Ebs Zeit als GI ...
[„UH, UH BABY“ VON EB DAVIS & THE SUPERBAND — LIVE AT THE A-TRANE BERLIN]
EB Davis: Tagsüber haben wir für das Militär gearbeitet. Nachts haben wir Musik gemacht.
[MUSIK]
Sylvia Cunningham: Eb war auf der Bühne kein Neuling. Als Bluesmusiker aus Arkansas hatten er und seine Band The Soulgroovers sich in den USA bereits einen Namen gemacht.
EB Davis: Eigentlich wollte ich gar nicht nach Berlin kommen. Hinter den Eisernen Vorhang, umgeben von sowjetischen Truppen ... Warum sollte ich da hinwollen? Aber als Soldat hatte ich keine Wahl.
Sylvia Cunningham: Ich habe Eb gefragt, was er über die Berliner Musikszene wusste, bevor er ankam ...
EB Davis: Ich wusste, dass es eine erfolgreiche Jazzszene gab. Aber Blues wird dort bis heute nicht wirklich gespielt ...
Sylvia Cunningham: Eb hatte also keine großen Hoffnungen, Musik machen zu können. Aber lange hielt er es ohne den Blues nicht aus ...
[„I LOVE TO SING THE BLUES“ VON EBSOLUTELY]
Sylvia Cunningham: Einen großen Teil der 80er‑Jahre spielte Eb auf Westberliner Bühnen. Doch sein Ruf ließ sich vom Eisernen Vorhang nicht aufhalten. Und so wurde er eingeladen, auch in Ostdeutschland Konzerte zu spielen.
EB Davis: Man brauchte eine Sondererlaubnis von beiden Seiten, um über die Grenze zu kommen. Die meisten Musiker haben das nicht bekommen. Sie haben sich Leute ausgesucht, die ihnen passten ...
Sylvia Cunningham: Privat ist Eb eher eine ruhige Person. Jemand, der lieber zuhört als zu sprechen. Aber wenn er auf die Bühne tritt, verwandelt er sich ...
[„I LOVE TO SING THE BLUES“ VON EBSOLUTELY]
Sylvia Cunningham: 2008 wurde Eb als Botschafter in die „Blues Hall of Fame“ seines Heimatstaates Arkansas aufgenommen.
[„I LOVE TO SING THE BLUES“ VON EBSOLUTELY]
EB Davis: Wo auch immer du in dieser Welt hingehst, du musst den Leuten beweisen, dass der Blues ein Stück echte amerikanische Kunst ist. Erdacht, entstanden und entwickelt von Menschen wie mir. Die Musik ist so viel fröhlicher als manche Menschen meinen. Sie verbinden mit Blues Niedergeschlagenheit und Depressionen. Aber das stimmt nicht.
[„I LOVE TO SING THE BLUES“ VON EBSOLUTELY]
Sylvia Cunningham: Berlin war nicht Ebs Traumstadt. Aber sie ist zu dem Ort geworden, den er Zuhause nennt.
[„I LOVE TO SING THE BLUES“ VON EBSOLUTELY ENDET MIT APPLAUS]
Monika Müller-Kroll: Ron Williams ist ein Vollblut‑Entertainer. 1942 in Oakland, Kalifornien, geboren, schloss er sich schon als Teenager dem Militär an. Nach seiner Ausbildung in Georgia und Virginia wurde er Anfang der 60er‑Jahre nach Deutschland geschickt. Ron war gerade mal 19 Jahre alt, als er in Bremerhaven ankam. Nach seiner Zeit beim Militär begann er sich in Deutschland eine Karriere aufzubauen. Als Musiker, Schauspieler, Moderator bei Radio und Fernsehen. Auch als Synchronstimme ist er gefragt.
Aber beginnen wir von vorn ...
Ron Williams: Ich kam in Bremerhaven mit dem Schiff an und bin dann runter nach Stuttgart mit dem Zug gefahren. Damals wurde mir klar, dass dieses Land eine ziemlich hässliche Geschichte hinter sich hat und sich gerade erst davon erholt. Deutschland war dabei, demokratische Strukturen aufzubauen und einen Umgang mit seiner Nazivergangenheit zu finden. Mir war klar, dass ich es hier als Schwarze Person nicht leicht haben würde. Ich war ausgebildeter Feldjäger, habe mich dann aber zum Journalisten und Radiomoderator weiterbilden lassen. Als ich nach Stuttgart kam, habe ich für den amerikanischen Sender AFN Stuttgart gearbeitet und für die Militärzeitung Stars and Stripes geschrieben. Ich war nicht der typische GI, der in der Kaserne bleibt und Billiard spielt oder ins Kino geht. Ich hatte eine kleine Vespa und damit war ich unterwegs. Ich bin zum Beispiel nach Stuttgart gefahren und habe mir alles angeguckt: die Oper, Theater, Schlösser, Burgen ...
Monika Müller-Kroll: Ron hat in dieser Zeit viele Deutsche kennengelernt. Ich habe ihn gefragt, wie er mit den Menschen in Kontakt gekommen ist und wie er sich verständigt hat.
Ron Williams: Ich habe immer Fragen gestellt. Ich habe mich in die Gaststätten gesetzt und mit allen möglichen Schwaben gesprochen. So habe ich Leute getroffen und gleichzeitig die Sprache gelernt. Ich habe nie einen Sprachkurs besucht. Ich habe ein sehr musikalisches Gehör und damit schnell gelernt, auch den schwäbischen Dialekt. Ich habe die Deutschen besser kennengelernt als viele andere GIs zu der Zeit. Ich war einfach neugierig, habe viel gefragt und mich für die Geschichten der Menschen interessiert. Das war mein Glück.
Monika Müller-Kroll: Nach ein paar Jahren beim Militär war Ron bereit für eine Veränderung. Und so wurde er der erste afroamerikanische Kabarettkünstler in Deutschland. Ich habe ihn gefragt, wie es dazu kam und warum er sich dazu entschieden hat, in Deutschland zu bleiben.
Ron Williams: Ich war ein politischer Kabarettist und Teil eines satirischen Ensembles im kleinen Renitenztheater. Wir waren zwei Mal in Berlin bei dem berühmten Ensemble Stachelschweine eingeladen, wo wir sehr erfolgreiche Shows gespielt haben. Ich habe da berühmte deutsche Kabarettkünstler getroffen. Und ich war fasziniert von diesem Land, Deutschland, dass sich trotz seiner furchtbaren Vergangenheit wieder aufraffte und aus dem etwas Neues wurde. Es war aufregend, ein Teil davon zu sein. Vielleicht aufregender, als zurück in die USA zu gehen, wo der Kampf mit dem Rassismus tobte. Das ist bis heute so. Wenn du als Schwarze Person in den USA politisch warst, hattest du wenig Chancen irgend etwas zu erreichen. Es gab so viele Hürden und Benachteiligungen durch den Rassismus. Inzwischen ist es einfacher geworden. Aber damals erschien mir das unmöglich. Das Militär hat uns damals angeboten, noch ein Jahr in Deutschland zu bleiben. Und das habe ich gemacht. Ich hatte Glück. Ich konnte mir ein Leben als Sänger und Performer aufbauen. Es gab keinen anderen Schwarzen politischen Kabarettisten, ich war etwas Besonderes. Mir hat das gefallen und ich habe darin eine Chance gesehen, über Rassismus und Politik zu sprechen. Welche Rolle kann Deutschland in der deutsch‑amerikanischen Freundschaft spielen? Das hat mich interessiert. Und so bin ich geblieben – und sehr glücklich damit geworden.
[BÜHNENATMOPSHÄRE VON EINEM VON RONS AUFTRITTEN]
Monika Müller-Kroll: Ron tritt seit mehr als 50 Jahren vor deutschem Publikum auf. Er liebt es, Menschen zum Lachen zu bringen und über Respekt und Toleranz zu sprechen. 2004 wurde ihm das Bundesverdienstkreuz für seine Arbeit im Kampf gegen Rassismus verliehen.
Ron Williams: Seit ich in Deutschland bin, spreche ich über Rassismus, warum es ihn gibt und wie wir damit umgehen können. Das gilt für mein Privatleben genauso wie für meine Arbeit. Alltagsrassismus ist das hässlichste Gesicht einer Gesellschaft. Ich versuche das immer am Ende einer Show zu thematisieren, egal ob ich im Theater auftrete oder ein Konzert gebe.
[„MOVE YOU TOO“ AUS RON WILLIAMS' MUSICAL MARTIN LUTHER KING - THE KING OF LOVE]
Ron Williams: Ich liebe die Bühne. Ich liebe es, Leute vor mir zu haben und sie zum Lachen oder Weinen zu bringen. Ich brauche das wie das Blut, das durch meine Adern fließt.
[MUSIK]
Monika Müller-Kroll: Das Lied ist aus einem Musical über das Leben von Martin Luther King Junior. Ron hat das Stück geschrieben und darin gespielt. Die Uraufführung fand 2007 in der Kaiser‑Wilhelm‑Gedächtniskirche in Berlin statt. Zu Hause ist Ron seit den späten 60ern in München.
[MUSIK]
Felicia Peters: Ich konnte wählen: Japan oder hier. Ich weiß bis heute nicht, warum ich mich für Deutschland entschieden habe.
Monika Müller-Kroll: Felicia Peters kam 1985 nach Deutschland. Als „motion picture specialist“ begleitete sie Militärübungen und Events mit der Videokamera. Für ihre Arbeit reiste sie zu den verschiedenen Militärstützpunkten in Westdeutschland.
Felicia Peters: Ich war gerade für ein Projekt einige Wochen in Fürth, in der Darby‑Kaserne. Da kam ein Deutscher und sagte zu mir: „Du siehst gut aus.“ Ich sagte: „Du siehst auch gut aus.“ Wir haben uns verabredet und ineinander verliebt. Am Ende habe ich diesen Mann sogar geheiratet.
Monika Müller-Kroll: Felicia ist wegen der Liebe in Deutschland geblieben. Auch wenn ihre Ehe später auseinanderging, ihre Entscheidung für ein neues Leben in Bayern hat sie niemals bereut.
Felicia Peters: Ich bin mit 18 Jahren zur Armee gegangen, ich wurde gerade erwachsen. Bis dahin hatte ich immer mit meiner Mutter und meinen Schwestern zusammengelebt. Wenn ich zurück nach Amerika gegangen wäre, hätte ich so oder so ein neues Leben anfangen müssen. Ich konnte ja nicht zurück zu meiner Familie ziehen. Ich war eine junge Erwachsene und ich hätte mir alles neu aufbauen müssen. Nach vier Jahren beim Militär, zwei davon in Deutschland, wusste ich mehr über das Erwachsensein in Deutschland als in Amerika.
Monika Müller-Kroll: Felicia lebt in einer Gegend, in der früher viele bekannte US‑Kasernen standen. Die meisten von ihnen schlossen im Laufe der 90er‑Jahre. Auch Felicias Little America gibt es mittlerweile nicht mehr.
Felicia Peters: Fast alle meine Freunde sind zurückgegangen. Einer, den ich immer noch oft treffe, arbeitet jetzt für DHL. Er bringt mir immer meine Pakete. Er ist der einzige Amerikaner, den ich noch regelmäßig sehe und mit dem ich über alte Zeiten rede. Davon abgesehen habe ich nicht mehr viele Kontakte, außer über das Internet. Manchmal schreibe ich alten Freunden, aber es ist nicht mehr so wie früher.
Monika Müller-Kroll: Trotzdem bleibt die 56‑Jährige den USA verbunden. 2008 kehrte sie zurück, um als Freiwillige die Präsidentschaftskampagne von Barack Obama zu unterstützen. Sie hat ihn sogar getroffen.
Felicia Peters: Ich war bei einer seiner Reden und am Ende hat er mir sogar die Hand geschüttelt. Ich habe ihm gesagt, dass ich 5.000 Meilen weit zu ihm angereist bin. Damals habe ich schon in einem Restaurant gearbeitet. Und er fragte mich: „Dienst du“? Und ich: „Ich be-diene. Pizza, Hotdogs und so ...“ Also hat er gesagt: „Mach weiterhin so gute Arbeit.“
Monika Müller-Kroll: Felicia hatte viele unterschiedliche Jobs in den vergangenen 22 Jahren. Was ihr wirklich Freude macht, ist die Musik. Sie hat mit Kindern gearbeitet, Live‑Veranstaltungen geleitet ... Aber dann kam die Pandemie und nichts von dem war noch möglich.
Felicia Peters: Ich wollte etwas Nützliches machen und habe mich als Pflegekraft beworben. Ich helfe Leuten, sich zu waschen und sich für das Essen fertig zu machen, ich unterhalte mich mit ihnen oder singe ihnen was vor. Ich habe schon immer gern mit älteren Leuten gearbeitet oder Menschen betreut, die sich nicht selbst helfen konnten. In meiner Nachbarschaft habe ich vier Menschen bis zu ihrem Tod begleitet.
[MUSIK VON JONATHAN KROLL]
Monika Müller-Kroll: Felicia Peters lebt seit mehr als 30 Jahren im nordbayerischen Fürth. Sie hat die Sprache gelernt und ist aktiv in ihrer Gemeinde. Die Wände ihrer Wohnung aber sind mit Fotos von sich und ihren amerikanischen Freunden dekoriert. Hier hält sie die Erinnerung an ihr Little America wach.
Rick Pomerance: Es war eine der ruhigeren Phasen des Kalten Krieges.
Monika Müller-Kroll: Das ist Rick Pomerance. Er kam 1972 nach Deutschland.
Rick Pomerance: Ich habe hier viele Kameraden kennengelernt, die gerade aus Vietnam kamen. Der Krieg dort ging zu Ende, ich musste nicht mehr hin. Die Athmosphäre war ziemlich entspannt, die meisten versuchten einfach runterzukommen.
Monika Müller-Kroll: Bevor Rick nach Deutschland kam, hatte er Geschichte in Miami studiert. Aber ihm war langweilig und Deutschland erschien ihm wie ein willkommenes Abenteuer. Der 69‑Jährige erinnert sich genau an diese Zeit.
Rick Pomerance: Wir hatten die Erlaubnis, hier in Bayern Manöver zu üben. Also sind wir einfach für drei, vier Tage herumgefahren und haben Kartenlesen und solche Dinge geübt. Wir waren überall und konnten machen, was wir wollten. Abends sind wir in die Stadt gegangen und ich habe mein erstes Schnitzel probiert. Wir haben Bier getrunken und ab und zu haben wir uns mit den Leuten angelegt. Irgendeiner hat einen Kommentar losgelassen und so kam eins zum anderen. Damals waren Veteranen aus dem zweiten Weltkrieg in den Gasthäusern untergebracht. Es war toll, ihre Geschichten zu hören. Manche waren in U‑Booten gefangen genommen worden, andere hatten an der Front im Osten gekämpft.
Monika Müller-Kroll: Rick hatte eine Vorliebe für Autos und die waren unter den GIs heiß begehrt. Jeder, der nicht auf dem Stützpunkt lebte, wollte ein Auto, erzählt Rick. Also fing er an, nebenbei gebrauchte Autos zu organisieren.
Rick Pomerance: Zuerst hatte ich nur ein Auto und konnte es für einen guten Preis weiterverkaufen. Dann hatte ich ein zweites und ein drittes und so ging es dann immer weiter. Ständig rief mich einer der Jungs an und fragte, ob ich ihm helfen könne, ein Auto zu finden. Das Geschäft wurde immer größer und zwei Jahre lang habe ich parallel in der Armee und im Autohandel gearbeitet. Irgendwann musste ich mich entscheiden und so bin ich dann nach zehn Jahren aus der Armee ausgetreten und habe hier einen Gebrauchtwagenhandel betrieben.
Monika Müller-Kroll: Das Geschäft hatte gut angefangen. Aber nach dem Fall der Berliner Mauer wurden immer mehr amerikanische Truppen abgezogen. Rick fehlte plötzlich die Kundschaft. Und die Konkurrenz auf dem deutschen Markt war groß.
Rick Pomerance: Irgendwann kam mir die Idee, eine Pfandleihe für Autos aufzubauen. Ich war damals der Einzige in der Gegend und so ist die Presse auf mich aufmerksam geworden. Eine Zeitschrift hat eine Geschichte über mich gemacht und danach kamen Kunden aus ganz Deutschland zu mir.
Monika Müller-Kroll: Rick erinnert sich noch genau an seinen ersten Kunden. Er brauchte Geld für eine Kaution, um seinen Sohn aus dem Gefängnis zu holen. Irgendwas zwischen 2.000 und 3.000 Mark. Heute ist Rick in Fürth angekommen, jeder kennt ihn hier.
Rick Pomerance: Mein Gesicht fährt als Werbung auf den Bussen durch die Stadt. Die Leute sagen: „Geh einfach zu Rick.“ Es ist ein bisschen wie beim Frisör. Die Kunden erzählen mir ihre Geschichte, wie es der Familie geht und den Kindern. Jeden Tag passiert etwas Neues und es wird nie langweilig.
Monika Müller-Kroll: Rick Pomerance hat das Abenteuer gefunden, nach dem er gesucht hatte. Er denkt gern zurück an seine ersten Tage in Deutschland als GI.
Rick Pomerance: [LACHT] Deutsches Bier! Das war das Erste, was wir ausprobieren wollten. Du gehst in die Stadt und trinkst ein Bier und plötzlich ist es halb vier Uhr morgens und du siehst dem Sonnenaufgang zu. [LAUCHT] Das ist ganz schön lange her!
[MUSIK VON JONATHAN KROLL]
Sylvia Cunningham: Schöne Erinnerungen und ein bisschen Nostalgie. So geht es vielen GIs, wenn sie an ihre Zeit in Deutschland denken, sagt der Historiker John Provan.
John Provan: Überall, wo die Leute stationiert waren, ist es dasselbe: Für die alten GIs war die Zeit in Deutschland eine der besten in ihrem Leben.
Sylvia Cunningham: Für John sind die Jahre der Little Americas nie weit weg. Er hat nicht nur selbst auf einem der Stützupunkte gelebt, sondern sich seit Jahrzehnten dem Erhalt ihrer Geschichte gewidmet. Als die ersten Basen schließen mussten, ist er von Stützpunkt zu Stützpunkt gereist, um so viel Material wie möglich zu retten. Seine Sammlung umfasst Tausende Platten und Hunderttausende Fotos. Mit seinem Archiv befüllt er drei Keller und einen ganzen Bunker. Bis heute arbeitet er an der Digitalisierung seiner Sammlung.
John Provan: Mit den Negativen bin ich so gut wie fertig. Das war ein riesiges Projekt. Acht Jahre hat das gedauert, mit zwei Scannern im Dauereinsatz. Das Erste, was ich morgens gemacht habe, und das Letzte am Abend war, die Scanner zu bestücken. Eine Filmrolle hat ungefähr drei Stunden gebraucht.
Sylvia Cunningham: Ungefähr die Hälfte des Materials ist bearbeitet, schätzt John. Das heißt, ihm bleiben noch 20 Jahre Arbeit. Eine einschüchternde Aufgabe, aber es gibt niemand Besseren als John, um sie zu bewältigen. Er kennt sein Material von vorn bis hinten. Und er liebt seine Arbeit.
John Provan: Die meisten Historiker*innen verbringen ihre Zeit damit, alte Bücher und Platten abzustauben, um am Ende etwas zu schreiben, was schon tausend Mal geschrieben worden ist. Bei mir ist das anders. Ich stelle etwas für die nächste Generation bereit, damit sie herausfinden kann, wie das Leben hier war.
[MUSIK VON JONATHAN KROLL]
Sylvia Cunningham: Danke für das Einschalten dieser Folge des BIG PONDER. Sie hörten Interviews mit John Provan, Rick Pomerance, Felicia Peters, Ron Williams and EB Davis. Die Musik kam von Eb Davis & The Superband, Ron Williams und Jonathan Kroll. Es grüßen aus Berlin für den BIG PONDER: Sylvia Cunningham.
Monika Müller-Kroll: Und Monika Müller‑Kroll.