Wenn ich erzähle, dass ich über skandinavische Kolonialgeschichte forsche, ist die erste Reaktion oft: „Gibt es die denn?”. In Norwegen bekomme ich auch als Antwort, das sei die Verantwortung Dänemarks, schließlich sei in der betreffenden Periode Norwegen von Kopenhagen aus verwaltet worden.
Norweger hätten sozusagen gegen ihren Willen am überseeischen Handel und an dessen wohl grausamstem Kapitel teilgenommen: dem transatlantischen Sklavenhandel und der Institution der Sklaverei in den skandinavischen Besitzungen in der Karibik.
Aber was ist nun dran an der Kolonialgeschichte der skandinavischen Länder und an der norwegischen Beteiligung? Und wie können wir neu darüber nachdenken?
Inspiriert von den Expansionsbestrebungen im restlichen Europa und den aus aller Welt ankommenden Luxusgütern drängten im 17. Jahrhundert auch Schweden (das in der Zeit große Gebiete im Ostseeraum und bis 1809 Finnland umfasste) und Dänemark (bis 1814 einschließlich Norwegens) auf den ostasiatischen, den afrikanischen und den amerikanisch-karibischen Markt. Typisch waren es zunächst private Handelskompanien wie die Vestindisk-Guinesisk Kompagni, die Schiffe für den außereuropäischen Handel ausstatteten und mit lokalen Machthabern die Errichtung von Handelsstützpunkten aushandelten; erst später wurden Besitz- und Verwaltungsansprüche der schwedischen und dänischen Krone ausgeweitet. Besitzungen in Afrika und in der Karibik ermöglichten eine skandinavische Beteiligung am äußerst lukrativen sogenannten „Dreieckshandel“.
Sterben binnen kurzer Zeit
Norweger waren als Finanziers, Kaufleute, Kolonialbeamte, Seeleute und als – mehr oder minder freiwillige – Siedler an der Kolonisierung der Karibikinseln, am Menschenhandel und an der Aufrechterhaltung der Sklaverei beteiligt. Das erste Schiff der Vestindisk-Guineisk Kompagni, das 1674 versklavte Afrikaner in die neu etablierte Kolonie St. Thomas transportierte, trug den Namen „Cornelia“ und gehörte dem Bergener Kaufmann Jørgen Thor Møhlen „Cornelia“ hatte auch viele Strafgefangene an Bord, unter anderem aus Bergen, die als erste Kolonisten vorgesehen waren. Fast alle starben binnen kurzer Zeit.
Einer der Norweger, der als Beamter im Dienst der dänischen Krone in St. Croix tätig war, war der Jurist Engebret Hesselberg (1728–1788). „Berühmt“ wurde Hesselberg durch die äußerst grausame Bestrafung versklavter Männer, die verdächtigt wurden, einen Aufruhr geplant zu haben. Beweise wurden nie gefunden. In der Nasjonalbiblioteket (Nationalbibliothek Norwegen) findet man eine Kopie von Hesselbergs Rapport, die neben einer genauen Auflistung der Verdächtigen und der jeweiligen Straf-, Folter- und Hinrichtungsmethoden, vor allem über eines Auskunft gibt: dass nämlich Norweger, oder Skandinavier generell, sich kein bisschen „besser“ oder „humaner“ verhalten haben als andere, wenn sie in koloniale Machtpositionen gelangten. Dies widerspricht natürlich dem Selbstbild vieler Skandinavier*innen.
Tatsächlich kann man über die gemeinsame Kolonialgeschichte auch das Verhältnis von Norwegen und Dänemark neu erzählen. Als in Dänemark 2017 mit vielen Ausstellungen und Diskussionsveranstaltungen an die 100-jährige Abtretung der Dänisch-Westindischen Inseln an die USA erinnert wurde, wurde Norwegen kaum erwähnt – einfach weil oft vergessen wird, dass mit „Danmark“ oder „Det danske rige“ auch Norweger, Deutsche oder Isländer gemeint sein können, jedenfalls nicht Dänemark in seinen heutigen Grenzen.
Für Norwegen war besonders ein Ereignis der vergangenen Jahrzehnte bedeutsam, um die norwegische Beteiligung am Sklavenhandel in Erinnerung zu rufen: die Entdeckung des 1768 vor der Küste vor Arendal gesunkenen Schiffs „Fredensborg“ im Jahr 1974. Das Schiff hatte bei seiner letzten Fahrt auf der Dreiecksroute 256 versklavte Afrikaner von der „Goldküste“ über den Atlantik nach St. Croix transportiert.
Erzwungene Schiffspassagen
In den vergangenen Jahren ist das Interesse an diesem unerfreulichen Kapitel der Geschichte gestiegen. Beispiele dafür sind Fartein Horgars fünf Romane über die dänisch-norwegische Kolonialgeschichte in der Karibik, Anders Totlands Kinder- und Jugendsachbuch Den norske slavehandelen (2018) oder das Artistic-Research-Projekt an der Akademi for scenekunst, Høgskolen i Østfold, „Spectral collaborations: performative entanglement in the archives of Nordic participation in Trans-Atlantic slavery“.
Warum aber ist diese Geschichte überhaupt wichtig? Für mich geht es dabei nicht um Schuld und Scham, sondern um die Anerkennung, Teil einer gemeinsamen Geschichte und damit auch einer geteilten Gegenwart und gemeinsamen Zukunft zu sein, über das eigene Land, die eigene Region, den eigenen Kontinent hinaus. Vielleicht kann man auch ein Verständnis dafür entwickeln, dass die Erinnerung an die „seilskutetiden“ (Segelschiffe) bei den meisten Norweger*innen eine positive, von Stolz erfüllte ist, für Afrokaribier*innen aber entsetzlich klingen kann: nach erzwungenen und todbringenden Schiffspassagen. Genau diese Verbindung zu schaffen war der Anlass auch für die Ausstellung Listening to the echoes of the South Atlantic (Oslo Kunstforening, 6. Februar bis 2. April 2020).
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