KI und Buchmarkt Maschinen, die Romane schreiben?
Auch in der Buchbranche wird Künstliche Intelligenz (KI) zunehmend wichtiger. Manche Hoffnungen sind realistisch, manche eher Science-Fiction.
In den vergangenen Jahren hat die Weiterentwicklung Künstlicher Intelligenz (KI) auf vielen Gebieten zu Umwälzungen geführt. Vor allem in der Wirtschaft – und da insbesondere im Verkauf und Marketing –, aber auch bei politischen Entscheidungsprozessen, ist KI zu einem machtvollen Instrument geworden, das uns im Alltag überall begegnet, oft unsichtbar eingebettet in Apps oder Websites. Das Thema elektrisiert viele: Alleine der Springer Wissenschaftsverlag verzeichnet über 200 deutschsprachige und über 3.500 englischsprachige Titel zum Thema. Wie steht es aber um die Nutzbarkeit von KI im Verlagswesen selbst – welche Möglichkeiten gibt es, welche Visionen für die Zukunft?
Künstliche Intelligenz als Trend-Trüffelschwein?
Wie so oft stehen sich in dieser eher traditionell eingestellten Branche Zukunftsskeptiker*innen und Fortschrittsenthusiast*innen gegenüber: Die einen fürchten Manipulationen der Buchkäufer*innen und Leser*innen, die anderen glauben fest daran, dass mit Hilfe von KI künftig sehr viel besser deren Bedürfnisse ermittelt und schließlich auch befriedigt werden können. Wie in allen anderen Bereichen, versucht man auch in der Buchbranche, mittels KI menschliches Denken und Handeln nachzubilden. Mit Hilfe von KI sollen komplexe Aufgaben gelöst und vor allem Verhalten vorhergesagt werden, genauer: das Kaufverhalten der Buchkäufer*innen. Dabei geht es zunächst einmal um den Verkauf bereits gedruckter Bücher, für die mit Hilfe von Algorithmen sehr genau potenzielle Käufer*innen ermittelt werden können. Wer Webseiten wie Amazon benutzt, kennt das: Hat man einen Kauf getätigt, werden einem bei allen weiteren Besuchen der Seite Bücher mit ähnlichen Inhalten angeboten. Darüber hinaus können auch Newsletter oder Messenger-Dienste exakt auf die Käuferbedürfnisse reagieren. Für Amazon, Google oder Facebook sind alle ihre Kunden gigantische Datenhaufen, transparent und offen für alle möglichen Einflüsse.
Doch sind diese Verfahren ja mittlerweile nichts Neues mehr, und es bedarf keiner Künstlichen Intelligenz, sondern lediglich längst erprobte algorithmische Verfahren, um Bücher auf diese Weise zu verkaufen oder zu verbreiten. Die Visionen von der Nutzbarmachung Künstlicher Intelligenz setzen einen Schritt früher ein. Welche Bücher, fragt man sich weltweit in den Publikumsverlagen, sollen wir im nächsten und übernächsten Jahr verlegen? Der Bereich der Literatur ist dabei natürlich außen vor, denn hier folgen die Leser*innen ihre Lieblingsautor*innen. Sie freuen sich über die neuen Bücher ihrer Lieblingsschriftsteller*innen, deren Sprache sie lieben, fast unabhängig davon, über welches Thema sie schreiben.
Doch unterhalb der literarischen Gipfel liegt der große graue Bereich von Genres – historische Romane und Krimis, Sachbücher und Ratgeber. Hier wird seit einigen Jahren versucht, möglichst schnell und treffsicher die Trend-Themen der nächsten Jahre vorauszusagen. Per Meta-Daten-Suche können Schlagworte Hinweise darauf geben, was im Netz häufig gesucht wird, welche Verschiebungen es gibt, wie viele Millionen Menschen sich auf bestimmten Seiten bewegen. Rückschlüsse daraus ermöglichen es den Verlagen, für bestimmte Themen geeignete Autor*innen zu finden und zu beauftragen. All diese Dinge stecken freilich noch in den Kinderschuhen, und in der Branche wird auch nicht allzu offen darüber gesprochen, widerspricht es doch dem Ideal, dass die Auswahl allein von der originellen Buchidee abhängt.
Bücher schreiben Menschen
Obwohl in den kommenden Jahren gewiss keine Revolutionen zu erwarten sind, und die Kulturpessimisten noch nicht befürchten müssen, dass KI die Buchproduktion prägen oder gar übernehmen wird, kommen seriöse Studien zu dem Ergebnis, dass der Einfluss der KI in den kommenden Jahren wachsen wird. Bereits 2019 hat die Frankfurter Buchmesse zusammen mit Gould Finch ein White Paper veröffentlicht, das auf der Befragung von 233 Teilnehmer*innen aus dem Verlagswesen aus 17 Ländern basiert. Eine große Mehrheit der Befragten geht davon aus, dass die Bedeutung von KI im Verlagswesen weiter zunehmen wird. 25 Prozent der befragten Verlage haben auch bereits in KI investiert. Große Sprünge erwarten sie trotzdem nicht: Niemand wolle bisher mit großen Investitionen vorpreschen, da keineswegs sicher ist, ob am Ende wirklich Umsatzsteigerungen zu realisieren sind. Holger Volland, Vice President der Frankfurter Buchmesse, ist überzeugt, dass sich die Verlage von KI vor allem Effizienzsteigerungen, aber auch Chancen in neuen Geschäftsfeldern erwarten, doch er gibt zu bedenken: „Es wird allerdings eine Herausforderung, neue Technologien so zu integrieren, dass dabei die kulturellen Besonderheiten des Verlagsmarktes berücksichtigt werden.“
Die Besonderheit dieses Marktes ist nun einmal die menschliche Kreativität. Auf der Aktionärsversammlung eines an der Börse notierten Verlags fragte ein Aktionär, weshalb denn der Verlag nicht auch „so etwas wie Harry Potter“ im Angebot habe, damit lasse sich doch Geld verdienen. Doch keine KI der Welt kommt auf die Idee, einen Jungen auf ein Zauber-Internat zu schicken und ihn dort einen Kampf um Gut und Böse und sein eigenes Leben führen zu lassen. Die Maschine kann bis dato nur erkennen, was bereits da ist oder in der Luft liegt. Sie kann Trends ermitteln oder beliebte Farben für Buchumschläge. Die Bücher aber schreiben Menschen für Menschen.
Aufwendig und kostenintensiv
Möglicherweise ist die Entwicklung aber in ein paar Jahren auch soweit, dass KI die Arbeit von Lektor*innen zwar nicht ersetzen, aber unterstützen kann. Mit Hilfe von KI ist es theoretisch möglich, große Textmengen in kürzester Zeit zu scannen und zu prüfen, ob die Manuskripte grundsätzlich ins Verlagsprogramm passen. Eine neue Software, LiSA (Literaturscreening und Analyse), von der Hamburger Firma QualiFiction, bietet die Analyse belletristischer Manuskripte anhand von Thema, Sentiment und Stil und ermittelt darüber hinaus sogar, ob die Texte eher heiter oder düster, komplex oder einfach geschrieben sind. Software wie jene von QualiFiction, das 2019 von der Börsenvereinsgruppe des deutschen Buchhandels zum Start-up des Jahres gekürt wurde, wird sich vermutlich über lang oder kurz im Verlagswesen etablieren. In den USA werden auch bereits Computerprogramme zur Beurteilung von Manuskripten eingesetzt, wie der freie Lektor Walter Greulich von dem Kongress future!publish 2019 berichtete. Die Grundvoraussetzung für die Umsetzung von KI im Verlagswesen ist allerdings die Verfügbarkeit der Daten. Es ist jedoch ein ungeheuer aufwendiger und kostenintensiver Prozess, aus den vielen heterogenen Systemen – Rezensionen, Abozahlen, Kündigungen, Amazon-Leserempfehlungen et cetera – die relevanten Informationen herauszufiltern. Für kleinere Verlage ist das ein nicht realisierbarerer Aufwand.
Immerhin ist es in den letzten Jahren gelungen, das Verzeichnis sämtlicher lieferbarer Bücher (VLB), in dem rund 2,5 Millionen Titel verzeichnet sind, mithilfe von KI zu modernisieren, ja zu revolutionieren. Auch hier steht am Anfang allerdings die Arbeit von Branchenmitarbeitenden, die das lernende System füttern und prüfen. Dabei hielt ein neues Klassifikationsmerkmal Einzug, die sogenannten Lesemotive. In Ergänzung zu Warengruppen und Themen-Klassifikation eröffnen sie neue Möglichkeiten bei der Vermarktung von Büchern, indem sie auf unbewusste Lese-Bedürfnisse wie etwa „Aufregung“, „Lust zu lachen“ oder „Überrascht werden“ abzielen. Mit diesem neuen Hilfsmittel sollen Buchhändler*innen künftig für Kund*innen besser die zu ihnen passenden Bücher finden.
Die Einsatzmöglichkeiten von KI sind also vielfältig, vieles steckt noch in den Kinderschuhen, manches wird sich als praktikabel erweisen, vieles auch als für die Branche mit ihren vielen kleinen und mittleren Marktteilnehmern zu kostspielig. Die Algorithmen können die Arbeit in den Verlagen, in den Buchhandlungen unterstützen, sie werden die Menschen aber nicht überflüssig machen. Der Erfolg eines Buches hängt von so vielen schwer kalkulierbaren Faktoren ab, dass eine Produktion von „todsicheren Bestsellern“, wie sich das einige in ihren Träumen vorstellen mögen, bis auf weiteres dies bleiben wird: Science-Fiction.