Grüne Finanzierung Divestment funktioniert – nicht nur in Harvard
Angesichts einer eskalierenden Klimakrise haben sich viele institutionelle Anleger von ihren Kapitalanlagen in fossile Brennstoffe getrennt. Im Herbst 2021 hat sich auch Harvard dieser Bewegung angeschlossen und alle Investments des Stiftungsvermögens aus der Öl- und Gaswirtschaft zurückgezogen – was unter anderem dem unermüdlichen Einsatz der Divestment‑Aktivist*innen zu verdanken war.
Am 9. September 2021 fanden Mitarbeiter*innen und (ehemalige) Studierende der Harvard Universität eine überraschende E‑Mail von Präsident Larry Bacow in ihrem Posteingang. Nach fast zehn Jahren des eisernen Widerstands hatte die Universität endlich beschlossen, ihr mehrere Milliarden Dollar umfassendes Stiftungsvermögen nicht länger in die fossile Wirtschaft zu investieren.„Es war ein Schock“, so Phoebe Barr, eine der Organisator*innen der von Studierenden organisierten Kampagne Fossil Fuel Divest Harvard. „Uns war klar, dass dies ein ganz entscheidender Schritt war.“
Die E‑Mail, die an einem Donnerstagnachmittag an die Harvard‑Gemeinde von Studierenden, Lehrenden und Alumni versandt wurde, enthielt eine Liste jüngster Maßnahmen der Verwaltung, um die Kapitalanlage der Stiftung in fossilen Energieträgern zu reduzieren. Vieles davon war der Öffentlichkeit bereits bekannt – beispielsweise die Tatsache, dass das Investitionsvolumen des Stiftungsvermögens in die fossile Energieindustrie innerhalb eines Zeitraums von zwölf Jahren bis zum Frühjahr 2020 von etwa elf Prozent auf zwei Prozent und damit auf schätzungsweise 838 Millionen Dollar gesunken war.
Eine Statue von Harvards Gründer, John Harvard. | Foto: © Caleb Schwartz Doch das Schreiben enthielt noch einen weiteren Lichtblick: Alle übrigen indirekten fossilen Investments der Universität über Private‑Equity‑Funds mit Branchenbeteiligungen sollten „abgewickelt“ und nach Ende der Laufzeit nicht erneuert werden. Kurzum: Harvard verpflichtete sich zu einem Fossilausstieg und damit zu einem Schritt, der nach Ansicht der Aktivist*innen Schockwellen durch die Welt der Hochschulen und der institutionellen Investoren senden und der fossilen Industrie ihr soziales und finanzielles Kapital entziehen würde.
Was ist „Divestment“?
Divestment, oder Desinvestition, ist im Grunde das Gegenteil von Investieren: Beim Divestment geht es darum, Anteile oder Vermögenswerte eines bestimmten Unternehmens oder einer bestimmten Branche nicht zu erwerben, sondern zu veräußern. Eine solche Entscheidung kann allein finanziell begründet sein, beispielsweise wenn ein Aktienportfolio schlicht und einfach nicht mehr profitabel ist. Doch mit dem Abzug von Kapital kann auch eine unmissverständliche soziale und politische Botschaft mit Blick auf den moralischen Anspruch von Anlageentscheidungen verbunden sein.Dies ist ein wesentlicher Punkt der von Divestment‑Anhänger*innen unterstützten Theorie des Wandels: Investments in die fossile Energieindustrie verleihen Unternehmen Legitimität, die seit Jahrzehnten die Augen vor dem Klimawandel verschließen, so ihre Meinung. Divestment sei dagegen ein wirksames Instrument, um sich von der Branche und ihrer bisherigen und aktuellen Blockadestrategie im Klimaschutz zu distanzieren.
„Desinformation aus der fossilen Wirtschaft hat eine lange Tradition“, berichtet Ortal Ullman, zuständig für Öffentlichkeitsarbeit beim Klima- und Energieprogramm der Union of Concerned Scientists. Und es ist noch kein Ende in Sicht, wie Ullman weiter ausführt: Die Unternehmen hätten ihre Desinformationskampagnen in jüngster Zeit „verfeinert“, indem sie in der Werbung neuerdings auf „Greenwashing“ setzten und in einigen Fällen externe Dienstleister für den Boykott von Klimaschutzmaßnahmen beauftragten – um „die Drecksarbeit für sie zu machen“, wie Ullman es formuliert. Tatsächlich sind die meisten großen Ölkonzerne Mitglieder in Handels- und Lobbyverbänden, die in den USA wichtige klimapolitische Instrumente wie den „Build Back Better Act“ der Demokratischen Partei blockiert haben.
Studierende aus Harvard und Yale sitzen während des gemeinsamen Footballspiels 2019 auf dem Spielfeld. Mehr als 500 Studierende nahmen an dieser Aktion teil und erregten mit der Störung der jährlichen Tradition internationales Medieninteresse. | Foto: Campbell Erickson © Fossil Fuel Divest Harvard Außerdem, so führt Ullman weiter aus, ließen die Expansionspläne von Ölkonzernen nicht darauf schließen, dass diese bereit seien, den Übergang von fossilen Brennstoffen zu alternativen Energieträgern als verlässliche Partner zu unterstützen. Ungeachtet zahlreicher Klimaschutzzusagen und Pläne zur Reduzierung der Kohlenstoffintensität investieren zahlreiche Unternehmen weiterhin nur geringe Summen in erneuerbare Energien. Einer Studie der Transition Pathway Initiative aus dem Jahre 2020 zufolge hat keiner der 59 größten Öl- und Gaskonzerne Klimazusagen gemacht, die den Zielvorgaben des Pariser Klimaabkommens zur Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius gerecht werden.
Nach Meinung von Jade Woods, Harvard‑Studentin im Abschlussjahr und Organisatorin von Fossil Fuel Divest Harvard, muss dieses fortdauernde Leugnen des Klimawandels und Behindern von Maßnahmen aufs Schärfste verurteilt werden. Mit dem Abzug von Investitionen sei in ihren Augen eine Form der Stigmatisierung verbunden, mit der die Branche die „gesellschaftliche Akzeptanz für ihr operatives Geschäft“ verlieren könnte und damit ihren stillschweigenden Vertrag mit der Gesellschaft, der ihr weiterhin einen ungehinderten Betrieb nach Plan ermöglichen würde. Das Hauptziel der Divestment‑Kampagne bestehe nach ihren Worten darin, „die fossilen Energieunternehmen ihres sozialen Kapitals zu berauben.“
Diese Idee ist nicht neu. Divestment kam schon lange vor der globalen Kampagne für einen Ausstieg der Universitäten aus Öl- und Gasinvestments als taktisches Mittel zum Einsatz. In der Vergangenheit wurde es genutzt, um große Tabakkonzerne für ihr Geschäftsgebaren abzustrafen und eine Kampagne gegen das Apartheid‑Regime in Südafrika zu führen. In beiden Fällen zielten die Aktivist*innen darauf ab, Kapitalanlagen als moralisch derart verwerflich anzuprangern, dass sie in der Öffentlichkeit schließlich auf Ablehnung stießen.
Warum Divestment?
Es herrscht Uneinigkeit darüber, ob ein Rückzug aus Investitionen in fossile Brennstoffe das beste Instrument zur Bewältigung der Klimakrise ist. Kritiker*innen des Divestment führen an, dass die Strategie besser darauf abzielen sollte, die Geschäftspraxis von Konzernen von innen heraus zu ändern. Anstatt die Verbindung zu einem starrköpfigen Unternehmen zu kappen, könnten Investor*innen nach Ansicht der Fürsprecher*innen einer solchen Strategie durch ein „Engagement“ ihren Einfluss als Anteilseigner*innen eines Unternehmens geltend machen und einen grundlegenden Wandel einfordern – möglicherweise indem sie fossile Großkonzerne dazu bringen, ihre umfangreichen Kenntnisse und Ressourcen zugunsten einer weltweiten Dekarbonisierung einzusetzen. Genau diese Strategie wurde von Harvard‑Präsident*innen – von Derek Bok über Drew Faust bis hin zu Larry Bacow – immer wieder als bevorzugte Alternative zum Divestment propagiert.Aktivist*innen betrachten einen solchen Ansatz hingegen mit großer Skepsis. In ihren Augen gibt es nur wenige Belege dafür, dass ein Engagement von Aktionär*innen ausreiche, um im Klimaschutz ein unternehmensinternes Umdenken zu bewirken.
Widener-Bibliothek: Die größte Bibliothek auf dem Harvard-Campus, die auch Schauplatz zahlreicher FFDH-Proteste war. | Foto: © Caleb Schwartz Sie verwiesen auf die Investoren‑Initiative Climate Action 100+, an der auch Harvard beteiligt ist, als Beispiel für den Misserfolg dieser Strategie. Die Gruppe Climate Action 100+ kam in ihrem jüngsten Fortschrittsbericht mit Analysen aller Öl- und Gasunternehmen, auf die ihre Maßnahmen abzielen, zu dem Ergebnis, dass mehr als drei Viertel dieser Konzerne noch immer Projekte zur Erschließung fossiler Brennstoffe fördern, die nicht dem Szenario der Internationalen Energieagentur zur Begrenzung der Erderwärmung auf 1,75 Grad Celsius bis zum Jahr 2100 entsprechen. Darüber hinaus wird im Bericht festgestellt, dass mehr als 80 Prozent der Unternehmen nach wie vor Mitglied in Branchenverbänden sind, die Lobbyarbeit gegen eine Klimapolitik im Sinne des Pariser Abkommens betreiben.
Das Divestment-Kapital
Seit Beginn der Bewegung Fossil Fuel Divestment 2012 haben sich mehr als 15.000 Institutionen mit einem Gesamtvermögen von 39,2 Billiarden US‑Dollar dazu verpflichtet, ihre Investitionen aus der Öl- und Gasindustrie abzuziehen. Dazu gehören die New Yorker Pensionskasse New York City Employees Retirement System, die fünf Milliarden US‑Dollar schwere Rockefeller Foundation, der Storebrand Hedgefonds mit einem Vermögen von 90 Milliarden US‑Dollar und Dutzende von Bildungseinrichtungen wie Cornell, Brown, die Universitäten Oxford und Cambridge sowie das Universitätensystem von Kalifornien mit einem Vermögen von 126 Milliarden US‑Dollar.Viele dieser Institutionen haben finanzielle Gründe für ihre Divestment‑Entscheidungen angeführt. So berichtete der Vermögensverwalter der University of California beispielsweise in der L.A. Times, dass man sich von den Investments in fossile Energien getrennt habe, weil sie „in der Portfoliostreuung der Universität ein langfristiges Risiko für die Erzielung hoher Renditen dargestellt“ hätten. Tatsächlich sind die Ergebnisse der fossilen Brennstoffindustrie schon lange Zeit rückläufig. Angesichts der Tatsache, dass immer mehr Staatschefs in aller Welt den Übergang zu klimafreundlichen Energieträgern für unumgänglich halten, geht die Internationale Energieagentur davon aus, dass die Nachfrage nach Öl und Gas vermutlich nie wieder das Niveau aus der Zeit vor der Coronakrise erreichen wird.
Darüber hinaus gibt es immer mehr Hinweise aus der Branche selbst, dass die Divestment‑Strategie deutliche Spuren hinterlässt. Bereits im Jahre 2017, als die Divestment‑Kampagne noch nicht einmal die Hälfte ihres aktuellen Erfolgs verbuchen konnte, verwies Shell ausdrücklich darauf, dass das Divestment aus fossiler Energie die Handlungsfähigkeit des Unternehmens „erheblich beeinträchtigen“ könnte.
Wie geht es weiter?
Mit Präsident Bacows E‑Mail vom September war möglicherweise eine neue Zeitrechnung für die Divestment‑Bewegung verbunden. Als sich in den folgenden Tagen und Wochen die Nachricht verbreitete, dass die reichste Universität der Welt fortan auf Öl- und Gasinvestments verzichten wolle, beobachteten Aktivist*innen einen sprunghaften Anstieg der Divestment-Zusagen weiterer Institutionen, darunter die Boston University, Dartmouth, Vassar College oder die 8,2 Milliarden US-Dollar schwere MacArthur Foundation. „Harvards Einknicken löste einen Dammbruch aus“, schrieb Politico.Studenten besetzen im Februar 2020 die Universitätsaula aus Protest gegen die Investitionen der Universität in fossile Brennstoffe. | Foto: © Caleb Schwartz Die Befürworter*innen eines Ausstiegs aus Investitionen in fossile Brennstoffe verbinden mit den Ereignissen einen grundlegenden Fortschritt, wenn es darum geht, die gesellschaftliche Akzeptanz der fossilen Industrien zu brechen. Harvards Divestment‑Entscheidung „hat deutlich gemacht, dass eine andere Strategie möglich ist, die auf eine nachhaltigere Wirtschaft setzt“, bemerkt Adrian Pforzheimer, Mitglied in der Alumnigruppe der Kampagne Fossil Fuel Divest Harvard.
Allerdings, so fügt die Organisatorin von Fossil Fuel Divest Harvard, Woods, hinzu, gebe es nach wie vor viel zu tun – an anderen Universitäten, im Kongress und in allen anderen Bereichen, die mit der fossilen Brennstoffindustrie verflochten sind. Nach dem Jahr 2021 mit seinen rekordverdächtigen Flächenbränden und Überschwemmungen und dem heißesten Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnungen sei entschlossenes Handeln dringlicher denn je.
Wie kommen wir weg von fossiler Energie?
Ungefähr 90 Prozent aller Treibhausgasemissionen sind auf die Verbrennung fossiler Brennstoffe zurückzuführen. Die Nutzung fossiler Energie ermöglichte seit der Industrialisierung das kontinuierliche Wirtschaftswachstum im globalen Norden – der damit den Klimawandel hauptsächlich verursacht hat. Von den Folgen sind aber vor allem Länder aus dem globalen Süden betroffen. Dabei sind Wind und Sonne mittlerweile in 85 Prozent der nationalen Märkte die preiswertesten Formen der Stromerzeugung, wenn es um den Bau neuer Kraftwerke geht. Noch sieht die Energiewelt allerdings insgesamt nicht sehr erneuerbar aus. Der Internationalen Energieagentur zufolge hatten fossile Energieträger 2019 noch immer einen Anteil von vier Fünfteln am Primärenergieverbrauch weltweit. Das muss sich ändern. In unseren drei Reportagen zum Thema „Fossile Energie“ schauen sich die Autor*innen drei Lösungsansätze zur Energiewende an und fragen, wie wir unsere Wirtschaftsweise ändern können.
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