Vergessene Stimmen Sieben Feministinnen, die Sie kennen sollten
Judith Butler und Beyoncé kennen wir alle. Aber von vielen Frauen, die sich im Laufe der Geschichte für Gleichberechtigung eingesetzt haben, haben die meisten von uns nie gehört. Sieben Frauen, die Sie kennen sollten.
Kyniska (circa 442 vor unserer Zeitrechnung – unbekannt)
Darstellung Kynisca aus dem Jahr 1825 | Foto (Detail): © gemeinfrei Zugegeben: Wir wissen nicht, ob Kyniska (oder auch Cynisca) sich als Feministin, Frauenrechtlerin oder Kämpferin für Gleichberechtigung verstanden hat. Vermutlich nicht, denn weder diese Begriffe noch die Konzepte existierten im antiken Griechenland – auch wenn Kyniskas Zeitgenosse Platon mit seinen Überlegungen zum Geschlechterverhältnis in seiner Politeia-Schrift heute so manchen als Proto-Feminist gilt. Doch was wir wissen, ist, dass die reiche Prinzessin aus Sparta für die Sportart des Wagenrennens brannte: So sehr, dass sie die erste weibliche Gewinnerin bei den Olympischen Spielen (396 vor unserer Zeitrechnung) wurde. Da sie als Frau von der Teilnahme offiziell ausgeschlossen war, setzte sie Männer für ihr Vierergespann ein. Und konnte so den Kotinos, also den Siegeskranz aus Olivenzweigen, mit den von ihr trainierten Pferden abräumen, da dieser nach den damaligen Bestimmungen an die Besitzer*innen der Tiere ging. Den gleichen Kniff wiederholte sie vier Jahre später, gewann nochmals – und durfte wieder nicht im Stadion anwesend sein. Die versklavten Helot*innen mussten bekanntlich alle Alltagstätigkeiten für die spartanische Elite, zu der Kyniska gehörte, verrichten. Ihr Privileg, sich im Gegensatz zu anderen Griechinnen sportlich zu ertüchtigen, hatte also einen hohen Preis. An Selbstbewusstsein mangelte es ihr nicht, ließ sie doch bronzene Statuen von sich und ihren Pferdewagen im Zeustempel von Olympia errichten. Deren Inschrift tat kund, dass sie die einzige Frau in ganz Hellas sei, die diese Krone gewonnen habe. Kyniskas Sieg hatte einen großen Einfluss auf ihre Landsfrauen, von denen nach ihrem Vorbild nicht wenige – wie zum Beispiel die siegreiche Euryleonis, Zeuxo, Timareta, Cassia and Belistiche – ebenfalls mit Wagenrennen begannen. Aber es sollte dennoch bis zum Jahr 1900 dauern, bis Frauen offiziell an den Olympischen Spielen der Neuzeit teilnehmen durften – und das zu Beginn auch nur in wenigen Disziplinen.
Juana Inés de la Cruz (1648–1695)
Porträt von Juana Inés de la Cruz von Miguel Cabrera um 1750 | Foto (Detail): © gemeinfrei Mit drei Jahren hatte sie sich Latein beigebracht, mit fünf konnte sie rechnen und als Jugendliche beherrschte sie die Prinzipien der griechischen Logik – Juana Inés de la Cruz, 1648 geboren bei Mexiko-Stadt als uneheliche Tochter eines spanischen Kapitäns und einer Criolla (eine Nachfahrin der Spanier*innen in Lateinamerika) war definitiv ein Wunderkind. Früh bemerkte sie, wie Frauen durch Misogynie eingeschränkt wurden: Ihre Versuche, sich als 16-Jährige als Mann zu verkleiden und so die Universität von Mexiko-Stadt besuchen zu dürfen, blieben erfolglos. Sie lehnte mehrere Heiratsangebote ab und entschied sich stattdessen für ein Leben als Nonne, um genug Zeit für ihre Studien zu haben – und ihr Klosterquartier in einen intellektuellen Salon zu verwandeln. In ihren Schriften, die sie auch in der indigenen Sprache Nahuatl verfasste, setzte sich die Gelehrte und Poetin furchtlos für das weibliche Recht auf Intellektualität ein, obwohl ihr von den Oberen immer wieder befohlen wurde, sich nur noch religiösen Schriften zu widmen. Ihre Kritik an der damaligen Frauenfeindlichkeit brachte ihr letztlich eine Verdammung durch den Bischof von Puebla ein. Sie musste ihre Büchersammlung verkaufen und sich auf die Pflege der Armen beschränken, was zu einer Pesterkrankung führte, der sie bald darauf, mit nur 46 Jahren, erlag. Jahrhundertelang war sie in Vergessenheit geraten, bis ihr der Nobelpreisgewinner Octavio Paz 1989 ein Buch widmete und damit ihre Neuentdeckung als eine der frühesten Protofeministinnen einleitete.
Dolores Cacuango (1881–1971)
Holzstatue von Dolores Cacuango in Olmedo, Ecuador | Foto (Detail): © Montserrat Boix/CC BY-SA 4.0 Scheinbar nichts prädestinierte Dolores Cacuango dafür, eine der wichtigsten indigenen und feministischen Politaktivistinnen Ecuadors zu werden. Sie wuchs in bitterarmen Verhältnissen bei ihren indigenen Eltern auf, die wie Leibeigene ohne Lohn auf einer Hazienda schuften mussten. Von ihren eigenen neun Kindern starben acht aufgrund mangelnder Hygiene noch im Kindesalter. Lesen und Schreiben lernte sie nie, doch als Cacuango sich selbst als Dienstmädchen bei einer wohlhabenden Familie verdingen musste, fiel ihr die Diskrepanz zwischen deren Kindern und denen indigener Eltern auf: Während die Sprösslinge der Reichen selbstverständlich zur Schule gingen, war Bildung für ihre eigene Gemeinschaft nicht vorgesehen. Daher gründete sie später die ersten bilingualen Schulen, in denen indigene Kinder sowohl auf Kichwa wie auf Spanisch unterrichtet wurden – und die 1963 von der Junta geschlossen wurden, da sie als Brutstätten des Kommunismus diffamiert wurden. Dolores selbst war tatsächlich eine stolze Kommunistin, die im hohen Alter noch für ihre Überzeugungen ins Gefängnis gesperrt wurde. 1930 war sie eine der Anführer*innen des drei Monate dauernden Arbeitsstreiks in Cayambé gewesen und gemeinsam mit der Aktivistin Tránsito Amaguaña hatte sie 1944 mit der FEI die erste Föderation indigener Ecuadorianer*innen ins Leben gerufen, um für deren Rechte zu kämpfen. Heute wird die auch als Mama Dulu bekannte Aktivistin von jungen Indigenen und Feminist*innen in ihrem Heimatland als Ikone verehrt.
Rokeya Sakhawat Hossain (1880–1932)
Rokeya Sakhawat Hossain | Foto (Detail): © gemeinfrei Rokeya Sakhawat Hossain, besser bekannt als Begum Rokeya, war eine Pionierin des bengalischen Feminismus. 1909 gründete sie die erste Schule für islamische Mädchen in Bhagalpur, die sie zwei Jahre später nach Kalkutta umzog; 1916 folgte die Gründung von Anjuman-e-Khawateen-e-Islam, der Islamic Women’s Association. Zusätzlich zu ihrem Einsatz für weibliche Bildung, für den sie mitunter von Tür zu Tür zog, um muslimische Familien vom Schulbesuch ihrer Töchter zu überzeugen, schrieb sie einige der frühesten feministischen Science-Fiction-Geschichten. Zehn Jahre, bevor in den USA Charlotte Perkins Gilman ihre feministische Utopie Herland veröffentlichte, verfasste Rokeya, die außerdem Essays zu Gleichberechtigung publizierte, Sultana’s Dream. Hier werden die klassischen Geschlechterrollen umgedreht – Frauen dominieren mithilfe von Technologien wie fliegenden Fahrzeugen, Solarenergie und Wetterkontrolle. Und auch an Humor fehlt es der visionären Story nicht: Die tägliche Arbeitszeit konnte auf zwei Stunden begrenzt werden, da Männer früher sowieso sechs Stunden mit Rauchen zugebracht hätten. Jedes Jahr an ihrem Geburtstag, dem 9. Dezember, feiert Bangladesh heute den „Begum Rokaya Day“.
Inji Aflatoun (1924–1989)
Inji Aflatoun | Foto (Detail): © Fair Use / Wikipedia Was kann ein Mädchen aus einer reichen Familie nur so quälen? Das sollen sich zeitgenössische Betrachter*innen von Inji Aflatouns frühen surrealistischen Gemälden verwundert gefragt haben. Es war ihre eigene Klasse, gegen die die ägyptische Malerin und Frauenrechtlerin, die 1924 in Kairo in eine wohlhabende, traditionell muslimische Familie geboren wurde, rebellierte. Im Lycée Français ihrer Heimatstadt entdeckte sie den Marxismus für sich und trat später einer kommunistischen Jugendorganisation bei. Mit Mitte 20 schrieb sie bereits populäre Pamphlete wie Thamanun milyun imraa ma’ana (80 Millionen Frauen mit uns) oder Nahnu al-nisa al-misriyyat (Wir ägyptischen Frauen), in denen sie ihre Analyse von Sexismus mit der von Klassismus verknüpfte und beides in den Kontext imperialistischer Unterdrückung stellte. Unter Präsident Gamal Abdel Nassers Verfolgung von Kommunist*innen musste sie von 1959 bis 1963 sogar ins Gefängnis. Während sie früher hauptsächlich Porträts in einem von Kubismus und Surrealismus beeinflussten Stil gemalt hatte, wandte sie sich im Gefängnis der Landschaftsmalerei zu. Diese Sujets behielt sie auch nach ihrer Entlassung bei – um, wie Kunsthistoriker*innen vermuten, der Enge der Haft und der politischen Verhältnisse Licht und Weite entgegenzusetzen. Heute sind ihre Werke in Museen und privaten Kollektionen weltweit zu sehen.
Ruth Bleier (1923–1988)
Ruth Bleier | Foto (Detail): © gemeinfrei / NIH National Library of Medicine Ist Wissenschaft immer objektiv? Die US-amerikanische Neurophysiologin Ruth Bleier glaubte nicht daran – und bewies in ihrer Arbeit eindrucksvoll, dass die Grundlagen der Biologie von Geschlechterklischees durchzogen waren. Die Tochter russischer Migrant*innen arbeitete als Ärztin in der armen Innenstadt von Baltimore, bis sie aufgrund ihrer Unterstützung des Civil Rights Movement von der Regierung als „unamerikanisch“ eingestuft wurde und ihren Beruf nicht mehr ausüben durfte. Stattdessen begann sie, sich im Bereich Neurophysiologie weiterzubilden und setzte sich an ihrer neuen Arbeitsstelle, der University of Wisconsin-Madison, unter anderem für die Etablierung von Women’s Studies ein. Mitte der 1980er-Jahre veröffentlichte sie ihre zwei Werke zu stereotypen Gender-Annahmen in der Biologie, Science and Gender: A Critique of Biology and Its Theories on Women (1984) und Feminist Approaches to Science (1986). Nach dem Ende ihrer Ehe hatte sie ihr lesbisches Coming-out und unterstützte in Madison das lesbenfreundliche Restaurant Lysistrata wie auch den Buchladen A Room of One’s Own. Gemeinsam mit ihrer Partnerin Elizabeth Karlin kämpfte sie für das Recht auf Abtreibung, bevor sie im Alter von 64 Jahren einem Krebsleiden erlag.
Maaliaaraq Vebæk (1917–2012)
Maaliaaraq Vebæk, 1982 | Foto (Detail): © Hans-Erik Rasmussen / Fair Use Bis 1981 dauerte es, dass der erste Roman einer grönländischen Frau erschien. Der Inhalt von Búsime nâpíneĸ (Katrines Geschichte) gibt Aufschluss, wieso wir so lange darauf warten mussten: Das Debüt von Maaliaaraq Vebæk, Tochter des grönländischen Dichters und Katecheten Josva Kleist, die einen Großteil ihrer Bildung in Dänemark erhielt, thematisiert das Machtverhältnis zwischen Dänemark und seiner Kolonie anhand eines Frauenschicksals. Louise, eine junge Grönländerin, lernt in ihrer Heimat einen dänischen Handwerker auf Montage kennen und folgt ihm nach Dänemark. Bald muss sie feststellen, dass sie aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Herkunft dort niemals als gleichwertig anerkannt werden wird. Sie lernt eine Landsfrau, Katrine, kennen, die sich aufgrund dieser Ausgrenzung schließlich das Leben nimmt. 1992 erschien die Fortsetzung, die das Leben von Katrines Tochter und den von ihr erfahrenen Rassismus behandelt. Der geplante dritte Band kam nie zustande. Vebæk, die nach ihrer Ausbildung nach Grönland zurückgekehrt war, später jedoch mit ihrem dänischen Ehemann viel Zeit in Dänemark verbrachte und ihm auch bei seinen ethnologischen Studien assistierte, war neben ihrer regen literarischen Tätigkeit auch als Übersetzerin und Literaturkritikerin aktiv. 1990 veröffentlichte sie Navaranaaq og andre – eine Geschichte der grönländischen Frauen.
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