Vertrauen und Werbung Tote Winkel der Aufmerksamkeit

Fotoshooting für eine Werbeanzeige mit Fußballstar Cristiano Ronaldo
Fotoshooting für eine Werbeanzeige mit Fußballstar Cristiano Ronaldo | © picture alliance / Photoshot

Die Mittel, mit denen die Werbung sich Zugang zur menschlichen Psyche verschafft, sind über die Jahre weitgehend gleich geblieben. Schon früh war klar: Vertrauen kommt von Vertrautheit.

In Deutschland hießen sie Klementine, Antje, Tilly, Karin, Dr. Best oder Herr Kaiser und waren wie Familienmitglieder im Range von Tanten und Onkeln. Schließlich sah man sie im heimischen Wohnzimmer fast öfter als die nächsten Angehörigen. Immer abends zur besten Werbefernsehzeit empfahlen sie einem Waschpulver, Käse aus Holland, Kaffee oder eine Versicherung und nebenbei auch noch ein Weltbild. Unschwer daran zu erkennen, dass die weiblichen Werbe-Ikonen mit freundlich-zupackender Hausfrauenoptik in dem damals „natürlichen“ Umfeld der Frau und mit ihren Vornamen Nähe suchten. Die Männer dagegen muss man heute erst googeln, um zu erfahren, dass Dr. Best – der, der die Zahnbürste in die Tomate drückte, um zu zeigen, wie hart oder zart sie mit Zahnfleisch umgehen würde – tatsächlich ein US-amerikanischer Zahnarzt war und mit Vornamen Earl James hieß. So sah der frühe Nahkontakt mit den vertrauensbildenden Maßnahmen der Werbung für die meisten Babyboomer aus – und das Kalkül ging auf.

Statt Tilly warb in den USA Madge fürs Spülmittel

Auch wegen der leichten Anpassung an kulturelle Unterschiede. So war die deutsche Tilly („Sie baden gerade Ihre Hände in Geschirrspülmittel?“ – „Nein, in Palmolive!“) in den USA und Kanada als Madge bekannt, in Dänemark als Marisa und in Frankreich als Françoise. Vertrauen, das wusste man in der Werbung schon früh, kommt eben von Vertrautheit. Hat man die erstmal geschaffen, ist die „Monopolstellung in der Psyche der Verbraucher“ so gut wie gesichert. So beschrieb der deutsche Grafiker und Psychologe Hans Domizlaff schon in den 1930er-Jahren das Ziel der „Markentechnik“.

Und auch wenn Werber*innen heute eher von „branding“ und „brand trust“ statt von Markenvertrauen sprechen, hat sich wenig an den Werkzeugen geändert, mit denen man sich in der Werbung Zugang zur menschlichen Psyche verschaffen will. Im Grunde handelt es sich um die toten Winkel unserer Aufmerksamkeit – nur dass sie sich mittlerweile „bias“ nennen, was in etwa mit „kognitiver Verzerrung“ zu übertragen ist. Da wäre zum Beispiel der „Illusory Truth Effect“. Was man häufig hört oder sieht, fühlt sich schon deshalb vertraut und damit richtig und wahrhaftig an, weil man es häufig gehört oder gesehen hat. Das trifft auf Autowerbung ebenso zu wie auf Donald Trump und auf Multiple-Choice-Tests. Die falsche Antwort, die man da vor einiger Zeit gab, kreuzt man häufig allein deshalb wieder an, weil sie einem so verdammt bekannt vorkommt.

Weiße Kittel verleihen Autorität

Dann gibt es den „Authority Bias“: Wir tendieren dazu, Autoritätspersonen zu glauben – respektive denen, die wir für Autoritätspersonen halten. Und dazu sind wir umso mehr geneigt, je überzeugender sie mit den Insignien der Expert*in ausgestattet sind. Deshalb werden in der Zahnpflegewerbung so oft Menschen in weißen Kitteln gezeigt und wenn es um das Wohl von Hausgeräten oder Autos geht, solche in Handwerker-Overalls.

Eine Rolle spielt auch der „In-Group-Bias“. Dabei handelt es sich um das Bedürfnis, zu einer bestimmten exklusiven Gruppe zu gehören. Da lockt das Gefühl, mit George Clooney Kaffee zu trinken, wenn man die von ihm beworbenen Kapseln nutzt. Oder man spürt eine innige „Wir-tragen-die-gleiche-Unterwäsche-Seelenverwandtschaft“ mit Cristiano Ronaldo, wenn man die von ihm präsentierten Slips kauft. Auf der In-Group-Welle reiten natürlich längst auch ganze Influencer-Heerscharen. Dazu gehört Safiya Nygaard, einer der bestbezahlten Social-Media-Stars weltweit.
 

Hoffen auf den Zauberstaub der Coolness

Allein die YouTube-Serie Bad Beauty Science der US-Amerikanerin mit indisch-dänischen Wurzeln hat knapp zehn Millionen Abonnent*innen. Pro Beitrag soll sie um die 200.000 Euro verdienen. Befördert wird der Umsatz von dem Kalkül, dass beim Kauf der beworbenen Produkte auch etwas vom Zauberstaub ihrer Coolness auf ihre Follower abfärbt. Doch gerade in den sozialen Medien zeigt sich, dass die Werbung bisweilen Opfer ihrer eigenen Waffen wird. Denn offenbar hat die Konsument*in die Werbung dort am liebsten, wo sie sie schon am längsten begleitet und also der Bekanntheitsgrad am höchsten ist. Laut einer aktuellen globalen Umfrage, für die das Marktforschungsunternehmen Nielsen in 56 Ländern mehr als 43.000 Menschen befragte, empfindet die überwiegende Mehrheit Werbung in Zeitungen, im Fernsehen und im Radio als deutlich vertrauenswürdiger als Anzeigen von Influencer*innen.

Potemkinsche Vertrauensdörfer

Am meisten jedoch – und zwar zu 89 Prozent – vertrauen Konsument*innen persönlichen Empfehlungen von Bekannten, Familie und Freund*innen. Wohl auch ein Reflex darauf, dass gerade dort, wo wir so viel und vor allem auf Versprechen vertrauen sollen, die Enttäuschung oft besonders heftig ausfallen kann. So nach dem VW-Abgas-Skandal oder der Bankenpleite. Erfahrungen, die ähnliche Gefühle hinterlassen, als wäre man einem Love-Scammer aufgesessen, dessen Kaltschnäuzigkeit umso mehr schockiert, je größer die potemkinschen Vertrauensdörfer ausfielen, die er vorher aufgebaut hatte. Sind die Fassaden erstmal gefallen, ist die Stabilität der Vertrauenswährung im freien Fall, wird es teuer. Es kostet ungleich viel Zeit, Energie, Geld und andere Überzeugungskräfte, neues Vertrauen aufzubauen. Die Konsument*in sehnt sich dann immer ein wenig nach Tilly-Madge-Marisa-Françoise-Zeiten, in denen alles besser war. Sogar die Werbung. Nur um am Ende einer weiteren kognitiven Verzerrung auf dem Leim zu gehen: der Rosige-Vergangenheits-Verklärung.