Marsmission Migration in eine neue Heimat: Die erste Mars-Siedlung
Raumfahrer*in per Anhalter zum Mars | © picture alliance / Westend61| Vasily Pindyurin
Was früher als Science-Fiction galt, wird in einigen Jahrzehnten vielleicht schon Realität: Leben auf dem Mars. Welche Lehren können wir aus der Vergangenheit ziehen, um Fehler bei der Besiedlung des Planeten zu verhindern?
Als die dreizehnjährige Ellen über Felsen und Geröll steigt, beschlägt die Innenseite ihres Helms, der die Luftzufuhr sichert. Der Himmel über ihr ist gelb von Staubstürmen, die in höheren Schichten der Atmosphäre über sie hinwegfegen. Ellen ist eines der ersten vier Kinder, die auf dem Mars geboren wurden – in der fünfteilige Romanserie Das Marsprojekt von Andreas Eschbach. Seine Science-Fiction-Bücher spielen im Jahr 2086, 30 Jahre nachdem die erste Siedlung auf dem Mars entstanden ist. „Damals war ich noch jung und optimistisch“, schmunzelt Eschbach. Eine Verwirklichung seiner Utopie kann er sich in diesem Jahrhundert nicht mehr vorstellen.Robert Zubrin, Raumfahrtingenieur und Gründer der NGO Mars Society, die sich für eine bemannte Marsmission einsetzt, ist sich da nicht so sicher. Er glaubt, die ersten Menschen könnten ihre Reise auf den Mars bereits 2030 antreten – wenn SpaceX-Gründer Elon Musk mit seinen Missionen Erfolg hat. Die Vision des Tech-Giganten Musk ist eine Besiedlung unseres Nachbarplaneten bis 2050. Von da an sollen rund eine Million Menschen die Möglichkeit bekommen, sich in der ersten Kolonie auf dem Mars anzusiedeln.
Der Einfluss privater Unternehmen auf die Raumfahrt
Doch wie realistisch ist dieser Wunsch? „Musk hat bewiesen, dass es für eine gut geführte unternehmerische Organisation möglich ist, Dinge zu tun, von denen man früher dachte, dass sie die Anstrengungen von Supermächten erfordern“, sagt Zubrin, dessen Abhandlungen über Mars-Missionen sich auch in Musks Siedlungsplänen niederschlugen.
Mit SpaceX greift Musk nach den Sterne. 2002 gründete er das Unternehmen, seit 2008 organisiert SpaceX die Versorgungsflüge zur Internationalen Raumstation ISS. 2020 starteten die ersten bemannten Raumflüge, ein Jahr später sogar für Privatpersonen. Michaela Musilova sieht diese Entwicklung kritisch. Die Astrobiologin hat 40 simulierte Mond- und Marsmissionen organisiert, 30 leitete sie als Commander. In den eigenmächtigen Missionen von Privatpersonen sieht sie die Gefahr, Fehler der Vergangenheit zu wiederholen.
SpaceX Starship steht auf der Startrampe vor einem Testflug von der Starbase in Boca Chica, Texas, USA | © picture alliance / abaca | ABACA „Umso mehr Macht diese reichen Menschen haben, umso stärker beleben sie das koloniale Gedankengut der Vergangenheit. Sie fangen an ihre Regeln zu diktieren und setzen unbarmherzig ihre eigenen Vorstellungen durch“, sagt Musilova. Ihre persönlichen Interessen stünden dabei an vorderster Stelle, erst danach die Frage, welche Interessen die Menschheit mit der Weltraumforschung eigentlich verfolgt, meint die slowakische Wissenschaftlerin. Als Beispiel nennt sie eine von SpaceX durchgeführte PR-Aktion: 2018 schoss das Unternehmen einen roten Tesla Roadster ins All – und das ohne Genehmigung. Das Auto wurde auch nicht sterilisiert, ein Tabu in der Raumfahrt. „Wir hoffen immer noch darauf, dass wir Leben auf anderen Planeten finden können und wir dürfen nicht riskieren, dass wir Lebensräume kontaminieren, die anders funktionieren, als unsere Erde“, erklärt Musilova ihren Ärger. Die dafür aufgestellten Regeln zum planetaren Schutz verhindern, dass Keime, Bakterien oder Mikroorganismen von der Erde mit Raumfahrtmissionen andere Planeten, Monde, Asteroiden und Kometen erreichen und verseuchen.
Die aktuelle Entwicklung erinnern die Expertin an das Space-Race in den 1950er und 1960er Jahren zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion. Nur findet es mittlerweile zwischen reichen Privatpersonen statt. Sicherheit spielt deshalb oftmals eine untergeordnete Rolle. „Um an der Spitze zu bleiben, gehen diese Menschen schneller Risiken ein. Das kann Menschenleben kosten“, warnt Musilova. Deshalb fordert sie ein striktes Durchgreifen der internationalen Gemeinschaft, wenn Privatpersonen eigene Raumfahrtvisionen umsetzen möchten und dabei Regeln missachten. „Wir brauchen internationale Standards und müssen dafür sorgen, dass die Unternehmen diese auch respektieren – sowohl in der Raumfahrt, aber auch innerhalb ihrer Firmen“, folgert Musilova.
Leben auf dem Mars gestalten
Noch ist die erste Marssiedlung eine Vision, die aber noch in diesem Jahrhundert Realität werden könnte. Wie würde eine solche Siedlung aussehen? Welche Menschen würden in ihr leben und welche politischen Folgen wären denkbar, wenn als erstes ein Konzern den Mars besiedelt?
In Andreas Eschbachs Romanen wird die erste Marsgemeinschaft von der Erde regiert. Dafür wurde ein Statthalter auf den Mars entsandt. Als Lehre aus seinen Büchern empfiehlt der deutsche Autor jedoch: „Idealerweise verwaltet sich jede Gemeinschaft selbst, demokratischen Regeln folgend.“ Dennoch gibt er zu bedenken, dass Gründer der Siedlung auch Ansprüche erheben könnten. Dem möchte Musilova entgegenwirken. „In einer idealen Welt wären die ersten Mars-Missionen und -Siedlungen Kooperationen zwischen mehreren Staaten unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen“, sagt die Astrobiologin. Unternehmen spielten bei dem Aufbau einer ersten Siedlung zwar eine wichtige Rolle: als Lieferanten und Entwickler von Weltraumtechnologie. Doch eine Regierung dürften sie laut Musilova nicht ersetzen.
Als politisches System einer Marssiedlung kommt auch für Zubrin nur ein System der Freiheit infrage. Nur so könne eine Siedlung wachsen und gedeihen. „Menschen werden nur dann auf den Mars emigrieren, wenn dort ein freies System herrscht, dass Kreativität und Innovation fördert. Denn Innovationen werden das wichtigste Exportgut sein“, sagt der Experte.
Der rote Planet Mars am Sternenhimmel | © picture alliance / Zoonar | Stanislav Rishnyak Die ersten Siedler müssten vor allem einen Sinn für Gemeinschaft mitbringen, meint Zubrin. „Es gibt Dinge, die alle Gesellschaften gemeinsam haben, um das notwendige Maß an Solidarität zu schaffen, ganz gleich, ob es sich um technologisch fortgeschrittene oder ursprüngliche Gesellschaften handelt“, erklärt der Amerikaner. Auch die Geophysikerin Christiane Heinicke glaubt, dass eine Mischung unterschiedlicher Charaktere zentral sei für das Überleben einer Marssiedlung. „Wir gehen davon aus, dass die ersten Menschen auf dem Mars vor allem wissenschaftliche Ziele verfolgen werden und den Mars erkunden“, erklärt die Forscherin, die gerade an der Universität Bremen einen Prototypen für eine Mond- und Marsbasis baut. Seien die ersten Erkundungs- und Aufbauphasen abgeschlossen, würden immer mehr Menschen kommen, die nicht Wissenschaftler oder Ingenieure seien. Schließlich werde eine funktionsfähige Marssiedlung auch Künstler oder Touristen und natürlich Familienangehörige anziehen. „Das erste auf dem Mars geborene Kind dürfte ein wichtiger Meilenstein in der Besiedlung sein“, sagt die deutsche Forscherin.
Rahmenbedingungen für die Besiedlung des Mars aufstellen
Einen Blick auf die Vergangenheit, um für die Zukunft zu lernen, ist bei diesem Thema kaum möglich. „Es gibt keine wirklichen Parallelen in der Geschichte. Die erste menschliche Ansiedlung auf einem fremden Planeten wird ein absolutes Novum sein“, sagt der Autor Eschbach. Vergleiche etwa mit der kolonialen Vergangenheit auf der Erde hält auch Zubrin für schwierig. „Der Vergleich zwischen der Besiedlung des Mars mit der Kolonialisierung eines bewohnten Landes auf der Erde ist völlig unzutreffend“, sagt der Vordenker. Auf dem Mars könne die Menschheit einen Neustart wagen.
Um Rahmenbedingungen für diesen Neustart zu gestalten, lohnt sich dennoch der Blick zurück: Die Explorationsexpertin Musilova ist nicht bereit eine Marssiedlung um jedem Preis zu akzeptieren. „In der Vergangenheit wurden außergewöhnliche Geschichten geschrieben, imposante Bauwerke errichtet und erstaunliche Dinge erfunden. Die Frage ist nur: Zu welchem Preis? Wie viele Menschen mussten ihr Leben für den Bau der Pyramiden opfern? Und wollen wir wirklich Menschen feiern, die solche Meilensteine der Geschichte auf Kosten anderer erreichen?“ Deshalb fordert sie internationale Standards und eine Staatengemeinschaft, die dafür sorgt, dass Unternehmen diese auch respektieren. Nur so, sagt sie, kann in Zukunft eine neue Heimat für Menschen auf dem Mars entstehen, die auf den Grundsätzen von Freiheit und Gleichheit fußt.