Feminismus in Albanien Wie die feministische Bewegung Vertrauen zurückgewinnen kann

Shota.al: das Vertrauen in den Feminismus wiederherstellen.
Shota.al: das Vertrauen in den Feminismus wiederherstellen. | Foto (Detail): © Shota.al/Gea Madhi

Jahrzehnte unter einer Diktatur haben in der albanischen Gesellschaft einen großen Vertrauensverlust hinterlassen: nicht nur in Institutionen, sondern auch in gesellschaftlichen Fortschritt. Ein feministisches Magazin möchte dies ändern. Mitbegründerin Liri Kuçi erzählt ihre Geschichte.
 

Wie ich zur feministischen „Spielverderberin“ wurde

Wenn ich an mein jüngeres Ich zurückdenke, daran, wie ich oft wochenlang nicht mit meinem Vater sprechen wollte, kommt mir auch immer in den Sinn, dass ich oft als wütendes, bockiges Kind abgetan wurde. Erst mit der Zeit verstand ich, dass mein Zorn nicht nur vorübergehend war. Er hatte mit der verkrusteten Gesellschaft zu tun, in der ich aufgewachsen war, in der junge Frauen wie ich sanftmütig und unterwürfig zu sein hatten. 

Ich war nicht mehr das kleine Mädchen, dessen Emotionen sich mit Leichtigkeit kontrollieren oder unter den Teppich kehren ließen. Durch meine Wut entwickelte ich ein starkes Bewusstsein für Sinn und Identität. Und so wurde ich zur Feministin. Meine Einstellung hatte jetzt eine Stimme – deutlich, pointiert und unapologetisch. Ich nahm meine neu entdeckte Identität als „feministische Spielverderberin“ an, lange bevor ich den von Sara Ahmed geprägten Begriff entdeckte: Sie argumentiert, dass feministische Stimmen oft als „Spielverderberinnen“ abgetan würden – sie stellten den Status quo infrage und störten die bequemen Narrative der Mächtigen. Dies trifft gewiss auf Albanien zu, wo der feministische Diskurs oft auf Feindseligkeit und Widerstand stößt.

Der Weg des Feminismus: Auf Erreichtem aufbauen

Die Geschichte patriarchaler Systeme und unterdrückerischer Regimes hat viele Gesellschaften tief geprägt. Das gilt auch für Albanien, wo feministische Bewegungen seit Jahrzehnten darum kämpfen, an Boden zu gewinnen. Das diktatorische Regime von Enver Hoxha, der Albanien von 1944 bis 1985 regierte, hielt zwar eine Fassade der Emanzipationsförderung aufrecht. Doch ein gutes halbes Jahrhundert staatlicher Propaganda, Überwachung und Paranoia, tief verwurzelter patriarchaler Gepflogenheiten sowie ein Mangel an Vertrauen in der Bevölkerung haben es dem Feminismus schwer gemacht, dauerhaft Fuß zu fassen. Darüber hinaus hat dieser Mangel an gegenseitigem Vertrauen in der Gesellschaft die sozialen Bewegungen verlangsamt und den Feminismus daran gehindert, als unverzichtbares Schlüsselelement des sozialen Zusammenhalts Einfluss auszuüben.

In einer Gesellschaft Vertrauen aufzubauen, die systemische Ungleichheit durch Bildung, Politik, politische Institutionen und gesellschaftliche Gepflogenheiten aufrechterhält, ist eine nie endende Herausforderung. Es ist jedoch zugleich ein entscheidender Schritt hin zu dauerhaftem Wandel. Ein solches Unterfangen verlangt kollektive Anstrengung, Solidarität, Wissen und Engagement. Nur durch diese gemeinsame Anstrengung können wir die Umsetzung feministischer Prinzipien erreichen und eine authentische feministische Bewegung aufbauen. 

„Nein heißt nein.“: Illustration aus einem Shota-Artikel zum Thema einvernehmlicher Sex. „Nein heißt nein.“: Illustration aus einem Shota-Artikel zum Thema einvernehmlicher Sex. | Foto: © Shota.al/Gea Madhi Diese tiefe Erkenntnis hat meine Freundin Gresa Hasa und mich verändert. Durch sie begannen wir, einen tiefen Sinn für feministische Kameradschaft zu entwickeln. Unser gemeinsames Abenteuer begann 2013, als wir uns in Studentenorganisationen engagierten und an Protesten teilnahmen, Treffen organisierten und besuchten, bei Gruppenlesungen mitmachten sowie Graffiti und Kunstwerke produzierten. Damals erwachte die Zivilgesellschaft zum ersten Mal seit der Diktatur. Es gab Massenproteste gegen die Pläne der USA, syrische Chemiewaffen in Albanien zu demontieren – und das war nur der Anfang. Die Studierendenbewegung wurde aktiv, und in den folgenden Jahren demonstrierten wir gegen die Privatisierung von Bildung, die hohen Studiengebühren und die Verdrängung der öffentlichen Hochschulen. Das öffentliche Bewusstsein und die Unterstützung wuchsen. So fingen wir an, gegen sexuelle Belästigung in der Bildung zu protestieren und uns dagegen zu engagieren. Außerdem prangerten wir Sexualverbrechen an und erhoben unsere Stimme gegen die Misshandlung und Ermordung von Frauen. Gleichzeitig wuchs in Tirana der Rückhalt für öffentliche LGBTIQ+-Initiativen.

Gresa Hasa und mir war klar geworden, dass wir ein feministisches Kollektiv brauchten, das sich mit der systemischen und patriarchalischen Gewalt auseinandersetzt, die in unserer Gesellschaft vorherrschte. Von 2016 an trafen wir uns regelmäßig mit feministischen Aktivistinnen in Tirana und starteten immer mehr Kampagnen. „Shota“ war zunächst ein Spitzname zum Signieren radikal-feministischer Graffiti an den Wänden von Tirana. Später wurde daraus eine Medienplattform und schließlich die erste progressive feministische Zeitschrift in Albanien. Wir beide haben sie gegründet.

Vertrauen wiederherstellen: Wie die Entwicklung von Shota Mut macht

Das Magazin Shota will auch eine Stimme für LGBTIQ+ sein: Illustration des Artikels „DUA NJË GRUA“ („Ich will eine Frau“) aus der dritten Ausgabe. Das Magazin Shota will auch eine Stimme für LGBTIQ+ sein: Illustration des Artikels „DUA NJË GRUA“ („Ich will eine Frau“) aus der dritten Ausgabe. | Foto: © Shota.al/Gea Madhi Mit Shota wollten wir den feministischen Diskurs und die feministische Praxis im Land fördern, eine öffentliche Debatte über Geschlechterfragen lostreten und eine Grundlage für radikaleres, kritischeres Denken schaffen. Zugleich wollten wir eine fortschrittlichere Art begründen, unsere gemeinsame Realität theoretisch zu analysieren. Die Plattform sollte die Stimmen verschiedener sozialer Bewegungen und marginalisierter Gruppen stärken: Antikapitalismus, Geschlechtergerechtigkeit, soziale Gerechtigkeit, Ökologie, Antirassismus, Antinationalismus, LGBTIQ+. Auch die radikale Queer-Kultur sollte mit ihrer Ideologie und ihrem Aktivismus Platz haben. Mit anderen Worten: Die Zeitschrift Shota sollte verschiedene soziale Anliegen unter dem Dach des intersektionalen Feminismus verknüpfen und fördern.

Shota sollte aber auch dazu beitragen, dass der Feminismus in Albanien endlich besser verstanden und leichter angenommen wird. Erreicht werden soll dies durch den Verzicht auf entlehnte Konzepte oder Symbole, die sich fremd oder nicht authentisch anfühlen können. Unsere Zeitschrift trägt den Namen der albanischen Freiheitskämpferin und Volksheldin Qerime Radischewa, auch bekannt als Shote Galica. In den 1920er-Jahren kämpfte sie in der Kachak-Bewegung unter dem Kampfnamen „Shota“. Wir möchten die Kämpfe der Vergangenheit mit den heutigen Bemühungen um eine gerechte und ausgewogene Gesellschaft verbinden. Der Name ist eine Aufforderung, das Vertrauen in den Feminismus zu erneuern, indem wir weibliche Vorbilder und ihre Leistungen in unserer Gesellschaft feiern. So ebnen wir den Weg dafür, dass neue Generationen motiviert sind, den kollektiven Kampf fortzusetzen.

Shota spiegelt auch den Mut wider, den es braucht, um unterdrückerische patriarchale Systeme herauszufordern. Shote Galica kämpfte mit der Waffe in der Hand. Wir setzen ihren Kampf mit geschriebenen Worten und authentischem Design fort – immer mit dem Megaphon im Anschlag, damit wir gegen systemische Ungerechtigkeiten protestieren können. In Albanien mangelt es der feministischen Geschichte an Anerkennung und es fehlt an politischer Bildung. Mit unserem Magazin wollen wir dem etwas entgegensetzen.

Atemtechnik: die Einführung von Shota

Erinnerung an die Leistungen von Frauen aus der eigenen Geschichte: Collage mit einem Bild von Shote Galica aus der ersten Ausgabe von Shota.al. Erinnerung an die Leistungen von Frauen aus der eigenen Geschichte: Collage mit einem Bild von Shote Galica aus der ersten Ausgabe von Shota.al. | Foto: © Shota.al/First Edition/Gea Madhi Die erste Ausgabe des digitalen Magazins erschien im Februar 2021, mitten in der Coronapandemie. Die erste Ausgabe hatte den treffenden Namen „Atemtechnik“ (Frymëmarrje). Sie setzte den Ton für die weiteren Ausgaben, die fortan halbjährlich erscheinen sollten. Seitdem sind drei themenzentrierte Ausgaben erschienen, die sich unter dem Dach des intersektionalen Feminismus mit den Überschneidungen sozialer Ursachen befassen.

Inzwischen bereitet Shota seine vierte Ausgabe vor, die Krieg und Konflikte aus kritischer feministischer Perspektive dekonstruiert. Diese neue Ausgabe wird auch ein Meilenstein für das Magazin sein: Sie ist die erste, die gleichzeitig in gedruckter Form erscheint. Je nach finanzieller Unterstützung kann dies hoffentlich fortgesetzt werden. Das gedruckte Format ermöglicht größere Verbreitung und einen besseren Zugang für die Leser*innen.

Es macht Mut, dass Shota Grenzen überschritten hat und die Vision eines intersektionalen und transnationalen Feminismus verfolgt. Mit unserer Kolumne „Beyond Borders“, die Texte von Aktivist*innen in englischer Sprache enthält, fördern wir Solidarität auch über die Region hinaus. Wir sind überwältigt von dem Feedback und Engagement unserer Leser*innen, Student*innen, Journalist*innen, Aktivist*innen und Professor*innen, die Shota als Quelle der Stärke, Zugehörigkeit und Gemeinschaft sehen.