Prismer Taxx, Shreya Josh „Genießen ist eine Form der Widerstandskraft“

DJ Prismer Taxx und Tätowiererin und Künstlerin Shreya Josh
DJ Prismer Taxx und Tätowiererin und Künstlerin Shreya Josh | Foto (Detail): Amelie Kahn-Ackermann

Wie erschafft man in New Delhi einen Safe Space zum Feiern und Wohlfühlen? Der DJ Prismer Traxx und die Tätowiererin und Künstlerin Shreya Josh sprechen im Interview über ihren Beitrag zum Nachtleben der Metropole.

Seit dem Ende der Pandemie gibt es eine Partyreihe in Delhi, die dem schnöden Raven eine vielschichtigere Ebene hinzufügt: „Mixed Feelings“ schafft einen Safe-Space. Der DJ Prismer Taxx, der Mixed Feelings gegründet hat, und seine Frau, die Tätowiererin und Künstlerin Shreya Josh, kreieren ein Umfeld, in dem möglich ist, was in einer Stadt, die als eine der unsichersten Städte für Frauen weltweit gilt, und in einem Land, in dem seit zehn Jahren eine rechtsnationale Partei an der Macht ist und zwar das (von der englischen Kolonialmacht eingeführte) Gesetz, Article 377, das Homosexualität unter Strafe stellt, 2018 abgeschafft wurde, aber in dem queere Menschen weiterhin unter verschiedensten Opressionen zu leiden haben, nicht unbedingt gegeben ist. Etwas, das uns in unserer Berliner Bubble manchmal schon so selbstverständlich scheint: einfach feiern zu gehen und sich dabei wohl zu fühlen, ohne Angst um die eigene Unversehrtheit, psychisch oder physisch. Und auch Shreyas Studio „Paradise Tender“, in dem sie Stick and Poke-Tattoos und Tooth Gems anbietet, ist in diesem Kontext irgendwie mehr als ein weiteres cooles Szene-Beauty-Ding – ihre Kunst hilft Menschen, sich in ihrer Individualität zu entfalten und auszudrücken. Die beiden wollen wir unbedingt kennenlernen, deswegen setzen wir uns trotz Jetlag-schlafloser-Nächte ins Taxi und fahren ins „Summer House“, einer der wenigen eigenständigen und ältesten Clubs in Delhi (die meisten gehören zu größeren Hotels), und werden prompt auf Shreyas in zwei Wochen stattfindende Geburtstagsparty und zu den beiden nach Hause eingeladen. Wir trinken also Whiskey auf Eis auf der Dachterrasse, Shreyas Studio befindet sich im Keller des Hauses.


S: Shreya Josh
P: Prismer Taxx
K: Katharina Holzmann

K: Wann habt ihr euch kennengelernt?

S: Ich denke, 2017, 2018. Wir waren nur Bekannte. Wir haben uns beim Clubbing im Summer House kennengelernt.

K: Das Summer House ist also einer der wenigen Clubs in Delhi, in denen man richtig raven kann?

P: Vor dem Summer House gab es nur ein oder zwei Clubs, in denen Techno gespielt wurde, aber es war sehr lowkey und man konnte nicht wirklich tanzen. Ich denke, das ist eine gesellschaftliche Sache. Die Leute sind heute viel offener. Es gab früher Clubs, aber die Szene war eine andere. Es gab einen Club, der von dem DJ Rami Sharma geleitet wurde, der jetzt in Berlin lebt. Er hat diesen Club betrieben und er hat uns einfach zum klatschen gebracht. Ich war 14, 15. So fing ich an, in die Clubs zu gehen. Als ich nach London ging, um Gitarre zu studieren, standen viele Leute auf elektronische Musik, nicht wahr? Ja, und dann habe ich gemerkt, dass ich zehn oder zwölf Stunden unterwegs sein und tanzen kann. Ich habe ein paar Italiener kennengelernt und wir haben angefangen, zu Konzerten zu gehen. Sie waren DJs. Und sie haben mir ein bisschen was beigebracht. Dann haben wir angefangen, bei uns zu Hause Partys zu machen. Ich rutschte da so rein. Es hat Spaß gemacht. Als ich dann zurückkam, habe ich einfach weiter aufgelegt. Es hat mir wirklich Spaß gemacht, und es war zu der Zeit auch ziemlich lebendig hier, alles hat sich entwickelt. Summer House und Auro sind die einzigen Clubs für diese Art von Musik. In Bezug auf die Musik und das Publikum, das man hier findet, sind es die offensten Läden in Delhi.

Es hat Spaß gemacht.

K: Du machst also schon seit einiger Zeit Clubbing – hast du schon tätowiert, als ihr euch kennengelernt habt, Shreya? Du machst ja hauptsächlich Stick N Poke, richtig?

S: Ja, ich hatte 2017 gerade erst angefangen. Jetzt mache ich eigentlich alle meine Umrisslinien mit der Maschine. Das geht viel schneller. Aber alle Schattierungen und die Farbgebung im Inneren mache ich immer noch mit Stick N Poke, weil es diesen strukturierten Effekt ergibt.

K: Es ist eher wie malen oder so.

S: Ja, genau. Ich habe am College in Chicago hauptsächlich Malerei studiert. Dort habe ich zum ersten Mal Stick N Poke kennengelernt. Davor hatte ich mir ein paar Tattoos stechen lassen, als ich in der High School war. Aber diese Tätowierer*innen arbeiteten so schnell, sie waren Profis. Sie machten das Design und ich war raus. Für mich waren Tattoos  keine künstlerische Erfahrung. Es war eher so, dass man sich etwas machen lässt, wie eine Dienstleistung. Als ich dann auf dem College sah, dass man Stick N Poke einfach bei seinen Freund*innen machen kann, war ich geflasht. Ich dachte: „Oh, du musst das nicht so ernst nehmen. Man muss nicht so viel Bedeutung hineinlegen. Du musst dich nicht so sehr um deinen Körper kümmern.“
Shreya Josh

Shreya Josh | Foto: Amelie Kahn-Ackermann

K: Es gab also vorher keine richtige Szene hier?

S: Ich will nicht egoistisch klingen, aber ich habe viel dazu beigetragen, das aufzubauen. Es gab eine große Tattoo-Szene mit kommerziellen Studios. Die waren nicht wie Künstler*innen mit eigenem Stil. Sie konnten alles kopieren. Aber in der Stick N Poke-Szene war das anders. Ich habe auch am Aufbau einer Flash-Tattoo-Kultur in Indien mitgewirkt, die es bis dahin noch nicht gab. Als ich also mit Stick N Poke anfing, habe ich auch Workshops gegeben. Ich wusste nicht so viel über diese Kunstform, aber ich wusste genug über den Hygieneaspekt und wie tief man stechen muss. Viele Studentinnen waren sehr daran interessiert, es zu lernen. Denn für sie war es dasselbe: Sie wollten ihre College-Freund*innen tätowieren, um sich etwas Taschengeld zu verdienen oder im Tausch gegen etwas. „Ich mache dir ein Tattoo, wenn du mir am Wochenende Alkohol kaufst“, denn die College-Kids sind alle pleite. Die Leute waren also direkt mehr daran interessiert, es zu lernen, als selbst ein Tattoo zu bekommen.

Ich habe mich vier Jahre lang sehr intensiv mit Tattoos beschäftigt.

S: Das ist genau das Gleiche, was ich jetzt mit „Truth Gems“ erlebe. Es gibt Leute, die mich nach Workshops fragen, aber kein Interesse an Tooth-Gems haben, was ich sehr interessant finde. Aber ja, bei den Workshops, die ich gebe, tätowieren sie sich selbst. Ich habe das in Delhi, Bombay und Bangalore gemacht, weil das die drei großen Städte sind. Ich glaube, ich habe inzwischen über 600 bis 700 Leute in ganz Indien geschult. Mir wurde klar, dass ich diese ganze Kultur in Indien aufbauen wollte. Ich habe mich ungefähr vier Jahre lang sehr intensiv mit Tattoos beschäftigt. Aber in den letzten zwei Jahren habe ich gemerkt, dass ich mich als Künstlerin stärker entwickeln möchte. In Indien ist das wirklich schwer, weil die Flash-Kultur noch sehr begrenzt ist. Es ist also nicht so, dass ich jeden Tag oder jede Woche Kunden habe, die zu mir kommen. Ich möchte das Tätowieren in Zukunft mehr zu einem Tauschgeschäft machen und mit anderen Tätowierer*innen handeln, anstatt es zu meiner Haupteinnahmequelle zu machen. Ich werde mich wieder mehr dem Malen und Illustrieren und solchen Dingen zuwenden. Und ich werde die Arbeiten mehr als Merch oder auf großen Leinwänden verkaufen. Denn die Leute kaufen die gleichen Illustrationen gerade lieber auf einem T-Shirt, als sie auf ihrer Haut zu haben.

K: Ist es schwer, hier ein richtiges Leben als DJ und Tätowiererin zu führen? Oder ist es am Ende des Tages sogar ein Kampf? Ich kann mir vorstellen, dass die Szene zwar wächst, aber immer noch klein ist ...

P: Ja, ich finde, als Künstler*in muss man überall auf der Welt ein gewisses Maß an Privilegien haben, weil man sonst nicht davon leben kann, zumindest am Anfang. Ich habe natürlich gewisse Privilegien, weil ich bei meiner Familie wohne, so dass ich keine Miete zahlen muss und so. Aber in Indien ist es normal, bei den Eltern zu wohnen, auch wenn man verheiratet ist.

S: Es gibt so viele talentierte Menschen in Indien, aber viele von ihnen haben nicht die gleichen Chancen, weil sie für ihren Lebensunterhalt sorgen müssen. Deshalb können sie nicht so viel Zeit in ihre kreative Arbeit stecken.

Es gibt so viele talentierte Menschen in Indien, aber viele von ihnen haben nicht die gleichen Möglichkeiten.

P: Das ist ein Kreislauf. Ich warte manchmal monatelang auf Zahlungen, aber wenn man aus einem anderen Umfeld kommt, kann man seinem Vermieter nicht einfach sagen: „Hey, ich habe noch kein Geld bekommen, warte einfach zwei Wochen!“ So funktioniert das nicht. Manche Leute schaffen das, aber sie arbeiten sechs Tage die Woche. Und sie überleben, weil sie einfach alles machen.

S: Aber ich habe auch das Gefühl, dass ich mit meinem Privileg auch sicherstellen möchte, dass ich es nicht bis zu einem gewissen Grad missbrauche. Deshalb gebe ich Anfragen oft an andere Künstler*innen weiter, die ich kenne und die diese Art von Aufträgen gerne annehmen. Ich möchte also keinen Platz beanspruchen, wenn ich ihn nicht benötige.

P: Ja, das gilt auch für mich. Ich denke, weil ich diese Position innehabe, kann ich versuchen, anderen Leuten zu helfen, wenn wir Partys machen. Ich versuche immer, Leute zu buchen, von denen ich glaube, dass sie es verdienen, die aber ansonsten nicht gebucht werden, weil sie introvertiert sind oder nicht genug Follower haben oder so.

S: In den neueren Generationen ändert sich das ganz bestimmt, aber die ältere Generation hängt in ihren Gewohnheiten. Die Leute urteilen immer noch über dich, weil du einer bestimmten Kaste angehörst. Und sie versuchen, diese Praxis beizubehalten, weil sie die Leute auf eine bestimmte Weise bezahlen, nur um sicherzustellen, dass sie auf der gleichen Position bleiben, auf der sie immer  waren. Es ist nicht so, dass ihr Einkommen so stark ansteigt, dass sie jemals in der Lage wären, aus dieser Situation herauszuwachsen. Es ist genug, um sie dort zu halten. Ich glaube, dass Indien in unserer Generation sehr meinungsfreudig und politisch aufmerksam wird. Aber es wird zu lange dauern, das institutionelle Recht aufzubrechen. Was wir von Mensch zu Mensch tun können: Viele von uns versuchen, nicht darauf zu achten, welcher Kaste oder Religion jemand angehört. Und die queere Gemeinschaft in Indien ist sehr stark.
Shreya Josh

Shreya Josh | Foto: Amelie Kahn-Ackermann

K: In Deutschland haben wir eine ähnliche Diskussion – ich denke, auf eine andere Art und Weise, weil wir kein Kastensystem haben. Aber es gibt Menschen mit einem Arbeiterklassenhintergrund oder mit Migrationshintergrund oder Menschen deren Eltern Migrant*innen waren, haben weniger Chancen. Aber jetzt gibt es diese Diskussion, und die Dinge ändern sich. Aber auch in Deutschland sind die rechtsextremen Parteien überall im Aufwind.

S: Ja, genauso wie in Indien.

K: Man hat das Gefühl, dass es jetzt weltweit ist. Das macht einem schon ein bisschen Angst.

S: Ja, das stimmt. Aber es hängt davon ab, wie sehr man über diese Dinge sprechen kann. Denn selbst das ist in Indien schwer. Die Regierung kontrolliert im Prinzip die Medien.

P: Die meisten Journalist*innen, die tatsächlich die Wahrheit sagen, sitzen im Gefängnis. Die Universitäten sind jetzt das stärkste linke Umfeld, das man in Indien je erlebt hat. Und sie sind sehr lautstark, sie protestieren gegen Dinge, aber dann werden sie verprügelt. Diese Kinder sind echt unverwüstlich, ich weiß nicht, wie sie das machen.

P: Ja, jede Veränderung, jede Bewegung, jeder Protest beginnt an den Colleges. Sie haben ein starkes Fundament, weil sie auf Professor*innen und Lehrer*innen basieren, die offen sind und verstanden haben, was Indien ist. Wenn man irgendwo anders in Indien hingeht, zum Beispiel nach Shillong, dann ist das eine ganz andere Kultur, eine ganz andere Struktur, eine matriarchale Gesellschaft. Also alles ist anders. Auch das Verhalten der Männer ist ganz anders.

Jede Veränderung, jede Bewegung, jeder Protest beginnt an den Colleges.

P: Wenn man nach Südindien geht, verhalten sich die Männer ganz anders. Wenn man nach Gujarat geht, verhalten sich die Männer ganz anders. Es ist so verrückt, und all die Leute, die das Fundament für diese Colleges gelegt haben, haben darauf aufgebaut. Und deshalb sind die Studierenden, die dorthin gehen, so meinungsstark. Sie sind die einzigen, die wirklich etwas verändern können. Artikel 377 und die meisten Proteste beginnen dort. Sie werden verprügelt, dann verbreitet sich das. Aber es wird immer schwieriger, seine Meinung zu sagen.

S: Das mag für manche sehr naiv klingen, aber für viele ist es auch eine Form von Widerstandskraft, zu genießen. Das ganze Land da draußen, das sind die Menschen, die kein Recht haben zu existieren, die kein Recht haben zu genießen. Und wir bieten ihnen einen sicheren Raum, wie in meinem Studio, wo hauptsächlich queere und feministische Leute arbeiten. So haben sie einen Safe Space, in den sie kommen und in dem sie sich ausdrücken können. Oder auf den Tanzflächen von Prisma, wo sie hinkommen und tanzen und sie selbst sein können – das ist unsere Form des Protests.

P: Und es ist echt. Es ist echt, weil es sehr menschlich ist, was auch immer du fühlst, weil du etwas für dich selbst tust und jemand es wirklich zulässt. Wenn dir gesagt wird, du darfst dies nicht, du darfst das nicht, du darfst so nicht sein, du darfst dich so nicht anziehen ... Aber wir haben wirklich ein sehr schönes, buntes Publikum. Dem Universum sei Dank – oder so.

S: Ja, die Leute knutschen auf der Tanzfläche rum. In Indien ist das nicht üblich. Auf seinen Partys sieht man diese 20-jährigen Jungs mit riesigen Knutschflecken.