Kavya Trehan „Langeweile ist das letzte Gefühl, das ich haben möchte“

Porträt von Kavya Trehan
Foto (Detail): Amelie Kahn-Ackermann

Kavya Trehan ist eine Singer-Songwriterin und Künstlerin aus Neu-Delhi, Indien, die seit ihrem 14. Lebensjahr auftritt. Im Interview spricht sie über ihre Projekte, ihre Beziehung zur Kunst und ihre Wurzeln.

Verglichen mit dem Dauer-Gehupe und Gewusel Jaipurs scheint die Lobby des Fünf-Sterne-Hotels, in dem Kavya – Sängerin, Performerin, Schauspielerin und Model – seit zwei Monaten residiert, fast bizarr ruhig und entspannend. Das Wasser des Springbrunnens plätschert leise auf weißem Marmor. Die Stimmen der Gäste und des perfekt höflich zuvorkommenden Personals verlieren sich in der riesigen Halle, die mit ihren samtigen Sofas und feinen Ornamenten versehenen Treppen aussieht, wie man sich den Königspalast von Jaipur von innen vorstellt. Im Hawa Mahal, dem Palast der Winde, arbeitet Kavya auch gerade, und zwar an einem Filmprojekt, wegen dem sie überhaupt in Jaipur ist und über das wir noch nichts schreiben dürfen – das aber ganz schön „big“ und mainstream klingt – und eh: Wenn man sich Kavyas künstlerische Laufbahn anguckt – mit acht angefangen fürs Theater zu schauspielern, mit vierzehn die erste Band, mit siebzehn das erste Mal Film und dann noch nebenbei Modeln und Tanzen – würde man denken, sie wäre in Indien auch schon ganz schön big. Tatsächlich aber passen ihre atmosphärische Singer-Songwriter-Musik und ihre aufwendigen Kostüme, die sie während ihrer Live-Perfomances trägt und die traditionelle Elemente modern interpretieren, nicht so recht in den breiten Mainstream, der sich nach wie vor eher an Bollywood und Co. ausrichtet, hier ist sie aufstrebende Independent-Künstlerin. Dass sie aber überhaupt Zeit für uns gefunden hat, schien bis kurz vorher gar nicht so wahrscheinlich: Kavyas Terminkalender ist voll, eineinhalb, zwei Stunden kann sie für uns freihalten, klar, dafür fahren wir fünf Stunden von Delhi nach Jaipur – und sitzen jetzt in besagtem schicken Hotel und fragen uns, was uns gleich erwartet: ein durchgetaktetes Shooting mit kurzem Interview? Stattdessen kommt eine sprudelnde, warme und unglaublich reizende Frau die Treppe runter und schließt uns in ihre Arme. Die nächsten fünf Stunden mit ihr werden wir fast immer in Bewegung sein, wir machen eine ganze Tour durch das Hotel, ein Shooting auf der Dachterrasse, sind dann auf dem Zimmer ihres Schauspielkollegen, dann in ihrem Zimmer, danach folgt ein Mittagessen mit einem anderen Schauspielkollegen, eine Fahrt zum Königspalast und Rumhängen im Make-up-Truck; Kavyas Handy klingelt die ganze Zeit und gleichzeitig versorgt sie uns mit allem, was wir so brauchen könnten: hilfreiche Kontakte, Eiskaffee, Hustenbonbons, Nahrung, eine private Tour durch Jaipurs meistbesuchte Sehenswürdigkeit und ihren Fahrer plus Auto für Shopping und die Fahrt zurück zum Bahnhof. Nebenbei schafft sie es auch noch, sehr ausgiebig mit uns zu sprechen. Aus Platz- und Intimitätsgründen lassen wir hier lange Passagen über aktuelle Lebenspartner, deutsche Würste, indische Filme, die jaipurische Königsfamilie (googelt die unbedingt, die Königsmutter ist mit dem Sohn ihres Fahrers durchgebrannt, der King of Jaipur, genannt „Pacho“, ist sehr erfolgreicher Polo-Spieler und begehrter Junggeselle und außerdem feiern die wohl alle recht gerne, nach allem, was man so hört) den Faschismus in Indien und Deutschland, das Rumhängen mit Ishaan Khatter und Vihaan Samat, den Schauspielkollegen, und diverse Telefonate besser raus, denn es soll ja um Kavya gehen, multitalentierte Künstlerin und einfach eine wahnsinnig nette Person, die erstmal anfängt, uns zu interviewen.


K: Kavya Trehan
KH: Katharina Holzmann
A: Amelie Kahn-Ackermann

KH: Wow, wir sind in einer anderen Welt.

K: Es ist konstruiert. Ich sehe so viele Menschen, die hierherkommen und sagen: „Oh, Indien ist so schön.“ Und ich sage: „Das? Das ist nicht Indien.“ Möchtet ihr einen Kaffee trinken? Mein Co-Darsteller ist tatsächlich gerade in seinem Zimmer und macht Kaffee. Er ist ein großer Schauspieler. Sein Name ist Ishaan Khatter. Kennt ihr ihn? Wenn ihr wollt, frage ich ihn, ob er uns welchen macht. Dann können wir zusammen Kaffee trinken.

„Hi!
Magst du noch zwei machen?
Hm? Ja, ja, ja. Bist du sicher?
Nein, ich wollte zu dir kommen. Du bist wunderbar. Okay, ich komme mit meinen Freunden. Nein, nein, du bist in Ordnung, du bist in Ordnung. Bist du sicher, dass du es schaffst, es sind dann insgesamt drei mit Eis?
Oh, danke.
Okay, tschüss.“

Soll ich euch herumführen? Das Gefühl für das Hotel ändert sich, wenn man zwei Monate hier wohnt. Ich kenne jede Ecke. Lass uns gehen und dann trinken wir einen Kaffee. Und ich wollte euch noch vorschlagen, dass wir danach zum City Palace gehen. Das ist ein wunderschöner Ort. Ihr seid herzlich eingeladen, mich zu begleiten. Wie war denn eure Zugfahrt?

KH: Es war gut, wir haben den Schnellzug genommen – und wir haben es genossen, etwas außerhalb von Delhi sehen zu können. Du bist in Delhi aufgewachsen, richtig?

K: Ja, ich komme aus Delhi. Wo in Delhi wohnt ihr?

KH: Im Hauz-Khas-Village, das ist so eine Art kleines Party-Viertel... 

K: Das ist bei mir um die Ecke! Wenn ihr mal was braucht, sagt Bescheid. Meine Mutter wohnt auch direkt dort. In Indien haben wir übrigens eine Regel, die besagt, dass unser Gast gleichzeitig unser Gott ist. Es ist also eine kulturelle Sache, wenn jemand zu uns kommt, müssen wir dafür sorgen, dass die Person umsorgt wird. Es ist fast so, als würde unser Selbstwertgefühl an den Erfahrungen gemessen, die ihr bei uns macht. Und sag mal, wie habt ihr angefangen, worum geht es in eurem Magazin? 

KH: Ja, alle sind so nett und gastfreundlich. Man schämt sich wirklich für uns Deutsche – wir sind nicht sehr gastfreundlich. „Das Wetter“ hat nicht nur als Musikmagazin angefangen, wir haben als Musik-Literatur-Magazin gestartet, aber jetzt geht es um Theater und Kunst im Allgemeinen, was immer unser Interesse weckt ...

K: Ich finde das toll! Das ist so cool! Ich sag euch auch warum: Ich war schon immer ein bisschen irritiert, wenn es darum ging, wie die Leute mich sehen. Ich selber fühle mich nicht konfus. Ich bezeichne mich selbst als durstig, weil ich das Gefühl habe, dass mein Projekt oder das, was ich mache, eine Mischung aus Theater, Mode und Tanz ist. Ich habe meine Mutter mein ganzes Leben lang tanzen sehen, sie war ein großes Vorbild für mich. Sie wollte einfach, dass wir uns bewegen und ein positives Körpergefühl entwickeln. Denn wir sind nur zu dritt, meine Mutter, meine Schwester und ich. Und es ist schön zu wissen, dass es ein Magazin gibt, in dem man nicht in die Schublade „Musiker*in“ oder etwas anderes gesteckt wird... Wie lauten eure vollen Namen?

Ich bezeichne mich selbst als durstig.

A: Amelie Kahn-Ackermann und Katharina Holzmann.

K: Mein voller Name ist Kavya Trehan. Wisst ihr, was er bedeutet? In Hindi, weil alle indischen Namen eine Bedeutung haben, bedeutet er: Dichterin. Das ist der Grund, warum ich so viel über unsere Kultur erzähle. Sogar unsere Namen, und einer meiner Songs handelt davon, beschreiben eine Charaktereigenschaft, zu der Eltern ihr Kind heranwachsen sehen wollen. Ich dachte, na ja, Prototyp. Ich habe es geschafft. 

KH: Du hast also den Namen bekommen und dann dachtest du, okay, das ist es, was ich machen werde? Hast du zuerst mit der Schauspielerei angefangen oder mit dem Singen oder...?

K: Ich war schon mit acht Jahren Schauspielerin. Eine Theaterschauspielerin. Dann wechselte ich und ging zur Schule. Das war wirklich toll.  Mit 14 Jahren habe ich dann angefangen, Musik zu machen, und mit 17 Jahren in Filmen mitzuspielen. Es passierte also alles gleichzeitig und so schnell... 

KH: Du hast in einer Band gespielt, bevor du angefangen hast, als Solokünstlerin aufzutreten, nicht wahr?

K: Das stimmt, das habe ich. Es war wie eine britische Garagenband. Sie spielte sehr wütend und aggressiv und ich musste einiges rauslassen.

KH: Pubertät!

K: Ja, diese Pubertät hat eine Weile gedauert. Ich glaube, der Grund, warum ich das machen wollte, war, dass ich, ich sage es ungern, als weibliche Künstlerin keine Vorbilder hatte. Wir nennen männliche Künstler nie männliche Künstler, wir nennen weibliche Künstler einfach weibliche Künstler. Also dachte ich immer, wenn du Musik machen willst, musst du eine Band gründen, und dann musst du dieses und jenes machen, dann hätte ich schon alles im Griff. Die Absicht hinter der Band war also A: von den Leuten um mich herum zu lernen, B: einfach eine Menge Spaß zu haben und sich sicher zu fühlen, dass man das nicht alleine macht. Ich dachte einfach, es wäre eine sicherere Umgebung. Und ich war sehr froh, ein paar gute Leute um mich herum zu haben. Aber ich wünschte, es wären mehr Frauen in der Band gewesen. Aber so ist das Leben. Deshalb suche ich jetzt sehr aktiv nach einer Managerin, einer Agentin, einer Frau also. Weil ich es satthabe Dinge erklären zu müssen und weil ich einfach gemerkt habe, dass wir jetzt in einem Jahr so viel mehr erreichen, mehr als wenn ich alles erklären müsste, und ich will das auch nicht mehr tun. Dinge wie: „Oh, aber ihre Musik ist so avantgardistisch.“ „Wir wissen nicht, wo sie hingehört.“ Bei einem männlichen Künstler mit einem ähnlichen Sound würde man einfach sagen: „Ja, das ist cool.“ Ich kenne einige Künstlerinnen, die Musik machen wollten, aber ihre Familien haben sie nicht unterstützt. Das ist ein Hindernis, das ich nie hatte. Ich hatte eine Familie, die mich sehr unterstützt hat. 
Porträt von Kavya Trehan

Kavya Trehan | Foto: Amelie Kahn-Ackermann


KH: Deine Mutter wollte, dass du Künstlerin wirst?

K: Ja, und meine Schwester ist die Kreativdirektorin für meine gesamte Kunst. Ihr Mann ist auch Teil davon. Also eigentlich ist es ein Familienspecial. Ich betreibe eine kleine Familienproduktion, bei der niemand bezahlt wird. Jeder muss mich unterstützen.

KH: Wir haben dich eigentlich über eine Freundin von Amelie gefunden, die wir auf einer Reise nach Delhi am Münchner Flughafen getroffen haben. Sie hat in Delhi gelebt und uns eine Produzentin empfohlen, Sandunes ... Wir wollten sie auch treffen, aber sie ist gerade in LA ...

K: Ich arbeite gerade an einem Song mit ihr. Mit ihr zu arbeiten ist der Wahnsinn. Es ist unglaublich. Sie ist meine Lieblingskünstlerin und es war immer mein Traum, mit ihr zusammenzuarbeiten. Als ich mit 14 Jahren angefangen habe, Musik zu machen, bin ich ständig auf Musikfestivals gegangen und habe immer diese Künstler*innen gesehen. Kennst du das, wenn du ein Lied hörst und denkst: Oh, das erinnert mich an sie? Als ich sie sah, dachte ich: „Ich weiß nicht. Ich verstehe das nicht. Wer ist das? Woher kommt das? Und was sind das für Gefühle?“ Ich hatte das Gefühl, dass die Zeit stehengeblieben ist und dieses atemberaubende, wunderschöne Energiebündel eine Schönheit erschaffen hat, und das war alles instrumental. Ich bin Sängerin, also bin ich die Erste, die gähnt, wenn es instrumental ist. Ja, das ist seltsam. Vielleicht fühle ich es zuerst und dann denke ich darüber nach. Ich weiß nicht, was es ist. Fühlen vor Denken. Das Herz übertrumpft den Verstand. Das heißt nicht, dass Worte keine Gefühle auslösen, aber es ist mehr eine Verbindung von Kopf zu Herz. Und dann habe ich sie immer wieder bei ihren Auftritten gesehen. Ich war die Person, die vorne stand und dachte: Das ist unglaublich. Und dann hat mich 2016 ein Musikerkollege mit ihr bekannt gemacht.

KH: Du hast nur den einen Song mit ihr gemacht, richtig?

K: Nein. Ich habe zwei Songs mit ihr gemacht. Ich habe sie eine ganzen Tour begleitet. Also, ich bin zuerst aufgetreten und sie danach. Und dann ist sie auch auf meinem Album. Wir schreiben noch drei Songs zusammen. Ich sage dir, warum man mit ihr reden sollte. Weil sie wahrscheinlich die erste Person ist, die das Gespräch das man führen muss, auf die grundsätzliche Frage heruntergebrochen hat: Was braucht man, um Musiker*in zu sein? Und sie hat daraus einen Lehrplan gemacht. Ich würde ihn online besuchen. Ich hatte keine Ahnung, wer ein Booking-Agent ist, was ein Manager ist. Wenn ich soundso viel Geld bekomme, dann sollte der Prozentsatz so viel sein ... Sie hat das langweilige Zeug aufgeschlüsselt, und dadürch kann man im Musikgeschäft überleben. Das hat die Dinge für die Künstler*innen verändert. Sie ist zertifizierte Ableton-Trainerin. Du kannst also zu ihr gehen und sagen: Das ist mein Song, ich weiß nicht, was ich machen soll. Und sie wird dir in einer Stunde aus dem Stegreif sagen, was du machen kannst. Sie öffnet die Musik in deinem Herzen. Sie ist die Anti-Gatekeeperin.

KH: Das ist so cool. Indien ist so ein großes Land und trotzdem hat man das Gefühl, dass es eine kleine, aber starke Künstler*innengemeinschaft gibt. Ihr scheint alle die Idee zu haben, allen anderen beizubringen, was ihr könnt. Wir haben mit Shreya gesprochen, einer Tätowiererin, die auch aus Delhi kommt. Sie hat das Gleiche gesagt: Sie hat es gelernt, als sie in den USA studiert hat, und dann kam sie zurück und gibt seitdem alle möglichen Workshops, um es anderen Leuten beizubringen. 

K: Warte, ist das Shreya, die eine weiße Oberlippe hat? Oh mein Gott! Sie ist mit einem Freund von mir verheiratet!

KH: Siehst du, schon wieder: Jeder kennt jeden! Wie arbeitet ihr alle zusammen? Ist es ein Prozess des Zusammenkommens, des gemeinsamen Redens oder des gemeinsamen Musizierens?

K: Ich strecke einfach meine Hand aus und es passiert – aber eigentlich habe ich jetzt gemerkt, dass ich viel recherchiere, und das bedeutet die ganze Aufschlüsselung von: Wann hat diese*r Künstler*in angefangen, was hat sie oder er gemacht und warum? Ich recherchiere auch, ob die Ideen und der Werdegang der Person mit dem übereinstimmen, was ich erreichen will. Dann merke ich, dass ich unbedingt mit ihnen arbeiten möchte, weil sie all die Fragen beantworten können, die schon lange unbeantwortet sind. Und weil ich ein extrovertierter Mensch bin, muss ich zuerst als Mensch leben, bevor ich als Musikerin, als Mensch, als Schauspielerin, als Künstlerin arbeiten kann. Nicht in der Isolation, nicht in der Vorhölle, sondern unter Menschen. Das ist etwas, was mir schon in jungen Jahren bewusst geworden ist: Ich wollte immer Lerngruppen haben, ich wollte immer Malbücher machen, wo ich die Hälfte ausmale, und dann gebe ich es weiter an die nächste Person, die dann den Rest ausmalt, weil ich sehen will, was sie anders sehen. Und ausdrucksstark sein. Der Perspektivwechsel ist auch ein Grund, warum ich gerne mit anderen Menschen zusammenarbeite. Ich meine, wenn ich schlau bin, spiele ich das Spiel. Aber ich möchte nur meine Kunst ernähren. Jetzt geht es mehr um die Suche. Ich versuche mein Bestes, um mit den Leuten in Kontakt zu kommen. Und dann baue ich einfach eine Beziehung auf. Und wenn ich eine Beziehung aufbaue, gibt es so viele Künstler*innen, mit denen ich noch nicht einmal das musikalische Stadium erreicht habe. Weil wir als Menschen nicht immer auf einer Wellenlänge sind, oder nicht den gleichen Drive haben und uns nicht verstehen. Es muss etwas unter der Oberfläche sein, etwas was wir gelebt und erlebt haben, wovon ein Song letztendlich handeln kann. Es kann nicht nur um Liebe, Geld, Schlampen, Schwänze, was auch immer gehen. Es muss um etwas gehen, das so häufig vorkommt: Die Erfahrung einer Zusammenarbeit ist mir wichtiger als das Endprodukt.

Das Unbekannte macht mir keine Angst.

KH: Also dieser Perspektivwechsel – ich glaube, wir haben schon darüber gesprochen, aber fühlt sich Musikmachen für dich wie eine Art Therapie an? Und aus der anderen Perspektive betrachtet – möchtest du, dass die Leute deine Musik hören, so dass sie auch eine Art Therapie für sie sein kann?

K: Die Absicht, etwas zu schaffen, sollte einfach das sein, was es ist, und nicht das werden, was es sein soll. Die Freude und die Vielfalt, wie Dinge interpretiert werden können, ist für mich Kunst. Wenn man die Absicht hat, dass etwas auf eine bestimmte Art und Weise wahrgenommen werden soll, dann wird das Ganze ein Misserfolg. Die Beziehung zwischen Therapie und Musik besteht für mich darin, dass die Musik mir geholfen hat, viele Dinge zu verarbeiten; Gespräche oder Schimpfwörter oder Therapeuten haben mir nicht geholfen, Dinge zu verstehen. Natürlich haben wir alle unsere Höhen und Tiefen im Leben und manchmal braucht man einfach etwas, wo es klick macht. Das kann für jeden etwas anderes sein. Ich habe das Glück, dass es bei mir die Musik ist. Damit drücke ich mich aus, will mich ausdrücken, muss mich fast ausdrücken. Ich weiß nie, wie es ankommt, und ich will diese Kontrolle nicht haben. Ich habe genug Kontrolle über den Prozess des Musikmachens und der Rest ist für mich nur noch Pflicht. Und sobald ein Song geschrieben und veröffentlicht ist, gehört er mir nicht mehr. Ich habe meinen Job gemacht, ich habe gesagt, was ich zu sagen hatte, und wenn jetzt jemand sagt, dass es scheiße ist, dann ja, vielleicht ist es in deinen Augen scheiße. Und ich werde das akzeptieren. Ich nehme es mit Fassung, aber ich hatte das Glück, dass einige Leute auf mich zukamen und mir erzählten, dass das wirklich auf Gegenseitigkeit beruhte oder dass sie eine schwierige Zeit durchmachten und den Song hörten und es sich genau so anfühlte, und manchmal ist es eine Zeile. Manchmal ist es ganz anders, dass ich denke, oh Gott, jetzt höre ich diesen Song und es fühlt sich mehr an wie das, was du gesagt hast, anstatt das, was ich gedacht habe. Das Unbekannte macht mir keine Angst. Ich glaube, das ist der Grund, warum ich es mache, denn wenn ich wüsste, wie es enden würde, wäre es so vorhersehbar. Und dann würde ich mich langweilen. Das letzte Gefühl, das ich jemals haben möchte, ist Langeweile. Das ist ein ganz schlechtes Gefühl.
Porträt von Kavya Trehan

Kavya Trehan | Foto: Amelie Kahn-Ackermann

KH: Es sieht nicht so aus, als könntest du dich schnell langweilen – abgesehen von der Musik, hast du bei allem den gleichen Ansatz, oder gibt es Unterschiede bei der Schauspielerei oder beim Tanzen, ist das eine oder das andere eher technisch oder was auch immer?

K: Oh nein, das ist anders. Ich glaube, mein Zugang zur Musik ist instinktiv. Und weniger geübt. Ich mag die rohen Versionen meiner Musik viel lieber als die sauberen, also gebe ich sie jemand anderem zum Mischen und Mastern, damit die Leute nicht die unsaubere Version der Musik hören müssen. Wenn ich schauspielere, schaue ich mir immer wieder das Drehbuch an und schreibe eine Art Tagebuch als die Figur, die ich bin. Das ist viel disziplinierter als bei meiner Musik. Was den Tanz betrifft, finde ich, dass Tanz und Malerei meiner Musik sehr ähnlich sind. Nur das Schauspiel und die Musik sind für mich unterschiedlich. Aber meine Stärke liegt in der Aufführung meiner Musik, denn da prallen alle Welten aufeinander und bilden diese wunderbare Kakophonie eines systematischen Chaos, in dem ich Sekunde für Sekunde alles fühle und ausdrücke. Und dann fängt es an zu funktionieren. Es ist der freie Fluss der Improvisation in der Musik. Und es ist der Körper, der das macht. Ich glaube, die besten Auftritte, die ich je hatte, waren die, bei denen ich mich emotional, mental, spirituell und körperlich erschöpft fühlte. Denn dann war ich wirklich präsent in diesem Moment. Live-Musik ist also sozusagen der Sinn des Ganzen. Alles ist perfekt synchronisiert. Aber es erfordert viel Übung, ich probe viel und es gibt auch visuelle Elemente. Manchmal, wenn meine Hand in einem der Songs hochgeht, braucht es auch ein visuelles Bild, also übe ich das alles. Aber wenn der Timer läuft und ich auf der Bühne stehe, habe ich alles im Griff und es ist Zeit, Musikerin und nicht Schauspielerin zu sein. Also ja.

KH: Erzähl mir von deinen Auftritten – du trägst diese schönen Kostüme und du machst auch etwas mit deinen Haaren, richtig?

K: Für mich war es eine Art Denkprozess, das Indische herauszuarbeiten. Denn wenn man an Indien denkt, denkt man normalerweise an diese schöne, glänzende, dunkle Haut oder an Mandelaugen. Ich habe diese Eigenschaften nicht, ich bin blass wie ein Gespenst und habe nur große Augenbrauen und Haare. Also habe ich mich gefragt: Wie kann ich zeigen, dass ich aus Indien komme, und wie kann ich die Version von Indien, die ich bin, wirklich authentisch darstellen? Und mir wurde klar, dass es an meinen Haaren liegt. Meine Mutter und ich wollten schon immer einen indischen Kulturtanz tanzen, den Kathak. Das ist eine Tanzform, zu der die meisten meiner Klassenkameraden nach der Schule gingen. Aber ich hatte eine schwierige Kindheit und wir konnten uns das damals finanziell nicht leisten. Also habe ich meine Kindheitswünsche in die Kostüme einfließen lassen, die ich bei meinen Auftritten trage. Es ist fast wie eine Figur aus meiner Erinnerung. Es gibt ein Element namens Parandi, das sind die langen künstlichen Haare, die man trägt, wenn man Kathak und andere indische Tänze aufführt. Sie sind sehr schwer, um die zwei Meter lang. Und genau das habe ich eingebaut. Das ist etwas, was ich vorher nicht haben konnte, aber jetzt kann ich es als Schauspielerin haben. Was ich nie machen wollte, ist, meine indische Seite zu tokenisieren, also einen Saree oder so etwas zu tragen, weil ich im normalen Leben auch so nicht bin. Stattdessen trage ich Kleidung von indischen Designer*innen. Sie sind meine Freund*innen, dank meiner Mutter und der Tatsache, dass ich seit meiner Jugend als Model gearbeitet habe. Zu wissen, dass ich auf der Bühne diese Sachen von Designer*innen tragen kann, die auch eine sehr starke musikalische Seite in ihrem Programm haben, gibt mir ein gutes Gefühl. Es ist ein schöner Austausch. Es ist so, als ob sie ihre Kleidung im Hinblick auf die Musik entwerfen und ich kreiere im Hinblick auf die Mode. Ich trage immer bewusst die Designer, mit denen ich mich identifizieren kann. Und wenn diese Designer*innen ihre Modewoche veranstalten, kreiere ich die Songs und Tracks für sie. Das ist eine tolle Zusammenarbeit und sehr aufwendig, denn es muss die richtige Farbe sein – sie muss zum Hintergrund und zum Licht passen. Ich versuche, mich auf der Bühne stark zu fühlen. Ich versuche, mich größer als mein Körper zu fühlen, wenn ich auf der Bühne stehe und Unterstützung brauche. Ich kann nicht nur ich allein auf der Bühne sein und dann wird es schon alles klappen. Ich habe das Gefühl, dass die Kostüme mir oft die Sicherheit geben, durchzuhalten. Ich fühle mich so stark und ich fühle mich auch verantwortlich dafür, die Kreation eines anderen Menschen zu tragen.

KH: Du hast erwähnt, dass du dir keinen Tanzunterricht leisten konntest. Wie wichtig ist der soziale Hintergrund, wenn man versucht, ein*e Künstler*in zu werden? Das ist ein Thema, das in vielen Gesprächen, die wir in Delhi geführt haben, aufkam: Muss man einer höheren Kaste angehören oder aus einer wohlhabenden Familie stammen, um kreativ sein und Karriere machen zu können?

K: Ich komme aus der unteren Mittelschicht, meine Mutter war alleinerziehend mit zwei Kindern, das bedeutete doppelte Ausgaben, und die Familie meines verstorbenen Vaters hat eine sehr altmodische Denkweise. Sie verstehen bis heute nicht, was ich mache. Also ist die Unterstützung wirklich nur bis zu einem gewissen Grad eine Unterstützung und darüber hinaus existiert sie nicht. Es ist mir auch völlig egal, deshalb ist das okay. Aber es gab eine Zeit, bevor es digitales Musikmachen oder Musikmachen im Schlafzimmer gab, da wurden nur reiche, wohlhabende Familien, Kinder wohlhabender Eltern Musiker, weil sie sich die Studioausrüstung leisten konnten, die Klimaanlage die ganze Zeit an hatten und so weiter... . Ihre Rechnungen waren enorm. Aber das hat sich geändert. Ich persönlich glaube, es hat sich geändert, weil man mehr Zugang zu Technologie hat. Man braucht nur einen Laptop. Man hat die Werkzeuge, man muss sich nur die Fähigkeiten aneignen. Ich habe das Gefühl, dass der Prozess für jemanden aus der Unterschicht nicht so schnell geht. Aber dann müssen wir auch viel lauter sein und um Hilfe bitten. Und uns gegenseitig unterstützen. Vielleicht wird unsere Musik nicht so perfekt und unglaublich sein, aber es gibt so viel mehr kreative Möglichkeiten, sie zu gestalten. Man kann also kreativ sein, man wird nur etwas langsamer Erfolg haben. Ich bin so froh, dass ich aus der unteren Mittelschicht komme, weil ich dadurch kreativer sein kann. Und es macht mir nichts aus, langsamer zu sein. Meinen ersten Synthesizer habe ich mir erst mit 27 gekauft. Davor habe ich einfach gefragt: „Hey, du hast einen Synthesizer, du benutzt ihn nicht, kann ich ihn benutzen?“ Dann haben mir gute Leute geholfen.
Porträt von Kavya Trehan

Kavya Trehan | Foto: Amelie Kahn-Ackermann

KH: Also, wieder: Es geht um Gemeinschaft?

K: Wir müssen uns nur mental damit abfinden, dass es für uns keine Erfolgsgeschichte über Nacht geben wird. Aber wollen wir wirklich eine Erfolgsstory über Nacht? Deshalb habe ich mit dem Modeln angefangen. Ich musste herausfinden, wie ich Geld verdienen kann, um mir das Leben als Musikerin leisten zu können. Das ist eine sehr teure Leidenschaft. Du hast deine Instrumente, du hast eine Stromrechnung, du hast Proberäume, in denen du üben musst, du musst deine Musikerkolleg*innen bezahlen, damit du nicht diejenige bist, die um einen Gefallen bitten muss. Du musst die Standards setzen. Ich habe so viel Arbeit umsonst gemacht. Es ist verrückt. Die Leute an der Macht lieben unbekannte Künstler. Sie sind verrückt nach ihnen. Deshalb zahle ich immer etwas, auch wenn es nur eine symbolische Summe ist. Auch wenn es nur fünf Euro sind, es ist mir egal. Es ist einfach eine Frage der Moral. Und auf lange Sicht hat es wirklich geholfen. Die gleichen Leute kommen wieder, um für dich zu arbeiten. Und es ist meine Pflicht, ihnen zu zeigen, dass man für seine Arbeit, für seine Zeit Geld verlangen muss. Und dass die Arbeit etwas wert ist. Außerdem möchte ich nicht in einer Welt leben in der Künster*innen ausgebeutet werden. Auch wenn es eine kleine, beschissene Welt voller guter Menschen ist. Ich möchte einfach mit dem Gedanken sterben, dass ich alles getan habe, was ich konnte. Und nein, nein, ich bin mir sicher, dass ich schon von jemandem Ratschläge angenommen habe und dass ich schon jemandem hätte mehr zahlen sollen. In meinem jetzigen Leben versuche ich, mein Bestes zu geben, und wenn morgen jemand sagt: „Hey, der Song, den du mit dem Produzenten gemacht hast, war wirklich gut“, dann werde ich diese Person nicht ausschließen, ich werde ihr eine E-Mail-Adresse geben und sagen: „Hier, arbeite mit diesen Leuten“.

KH: Fühlst du dich rebellisch in dem Sinne, dass du versuchst, Dinge anders zu machen, als es in der Musikindustrie üblich ist?

K: Ich glaube nicht, dass ich bewusst rebellieren möchte. Ich denke, ich vertrete einen sehr respektvollen Ansatz. Zumindest ist das meine Absicht. Ich rebelliere, indem ich bestimmte Dinge sehr offen anspreche. Ich rebelliere, indem ich meinen Standpunkt vertrete, wenn es darum geht, wie ich behandelt werden möchte. Ich meine, man nennt das rebellisch, weil es eine Frau tut, nehme ich an. Aber ich rebelliere auch, weil ich alles vermische. Ich rebelliere dagegen, dass es so viel einfacher ist, in einem bestimmten Trend konsumiert zu werden. Und das mag ich nicht. Ich rebelliere, um das zu tun, was ich tun will, wenn ich es tun will. Ich will wirklich anspruchsvoll sein, wenn es um meine Arbeit geht. Ich will nicht unterwürfig sein. Ich werde mich respektvoll anpassen, wenn es nötig ist. Aber letzten Endes versuchen wir alle, unsere Arbeit zu machen. Wir versuchen alle, unser Bestes zu geben, um etwas Größeres zu erreichen, und wir sind nur ein kleiner Teil davon. Wenn wir anfangen, uns die ganze Zeit zu verbiegen, werden wir das System nie durchbrechen. Wir sollten Teil des Systems sein und das so ehrlich und respektvoll tun, wie wir können. Und vielleicht finden wir dann morgen Leute, die offen sind und sich anhören, was wir zu sagen haben, und sagen: „Hey, eigentlich hat sie völlig recht. Ihr solltet diese Dinge tun, weil jeder Mensch so verschieden ist.“