Globaler Kulturaustausch „Ich will einen Geist der Großzügigkeit fördern“
Traditionelle lokale Gerichte haben eine große Bedeutung für das Wohlbefinden der Menschen – das Spanische Gericht Olla Podrida | Foto (Detail): © mauritius images / Zoonar GmbH / Alamy
Wie können wir traditionelle lokale Gerichte vor dem Klimawandel retten? In diesem Interview sprach Bettina Wodianka mit dem experimentelle Philosoph und Künstler Jonathon Keats von seinen Projekten und Ideen.
Herr Keats, Ihr Projekt TASTING TOMORROW war Teil unserer ersten Runde des R&D Labs im Rahmen der Initiative „C/Change“. Könnten Sie uns etwas mehr darüber erzählen, wie Sie Ihr Projekt von der ersten Idee bis zur Umsetzung realisiert haben?Vor fünf Jahren schaute ich mir Gemälde – vor allem Landschaftsgemälde – in regionalen Museen an. Dabei kam mir der Gedanke, dass Menschen die künftigen Auswirkungen des Klimawandels auf ihre Gemeinschaften häufig nicht kennen oder wahrhaben wollen. Ich hatte die Idee, diese Landschaften ausgehend von verschiedenen Klimaprognosen nachzuzeichnen und zusammen mit den Originalgemälden auszustellen. Damit wollte ich nicht nur zeigen, wie radikal unterschiedlich unsere Zukunft in Abhängigkeit von den tatsächlichen Folgen des Klimawandels aussehen könnte, sondern auch darauf hinweisen, dass wir diese künftigen Entwicklungen mit unseren persönlichen Entscheidungen beeinflussen können.
Dann kam Covid und stellte viele Museen vor eine Bewährungsprobe. Allerdings hatte ich damals bereits die angewandte Ökologin Erin Riordan von der University of Arizona kontaktiert. Denn um herauszufinden, welche Flora und Fauna in den unterschiedlichen Klimaszenarien auf diesen Gemälden zu sehen sein würden, benötigte ich die Unterstützung einer Ökologin. Sie schlug vor, mit Klimaanalogiemodellen zu arbeiten. Mit dieser Methode lassen sich Klimaprognosen für die Zeit in 50 oder 100 Jahren für Standorte in aller Welt berechnen. Im Zusammenhang mit den Auswirkungen machte ich mir schließlich auch Gedanken über die kulturellen Zusammenhänge dieses Wandels. Dabei fiel mir auf, dass wir auf eine kulturelle Transformation überhaupt nicht vorbereitet sind.
Doch vor allem wurde mir klar, dass Nahrung eine kulturelle Konstante ist, die unsere zwischenmenschlichen Beziehungen und unser Verhältnis zu unserem Herkunftsort ganz wesentlich prägt. Also fragte ich mich, wie sich Klimaanalogiemodelle auf Ernährungsgewohnheiten anwenden lassen. Das kulinarische Erbe jeder beliebigen Kultur beruht auf Zutaten, die seit Menschengedenken lokal verfügbar sind. Was sich allerdings in Zukunft radikal ändern wird, denn es ist unwahrscheinlich, dass die für diese altvertrauten Speisen benötigten Zutaten weiterhin an den Orten wachsen, an denen diese Gerichte heute bekannt sind. Ausgehend von Klimaanalogiemodellen haben wir uns gefragt, ob es möglich ist, über unseren Tellerrand hinaus nach Inspiration für hybride Versionen von Gerichten zu suchen, die den Menschen vertraut sind. Wie können wir unsere Regionalküche durch die Verwendung von Zutaten anpassen, die nachhaltig an unserem Wohnort angebaut werden, aber noch immer über die wichtigen Geschmacksnoten und andere Eigenschaften verfügen, die wir mit unserem Zuhause, unserer Herkunft, unserer Familie verbinden?
Mir geht es darum, ein soziales Netzwerk zu schaffen. Nicht nach dem Vorbild von Facebook, das unsere schlimmsten Verhaltensweisen noch weiter verstärkt hat. Ganz im Gegenteil. Ich möchte einen Geist der Großzügigkeit fördern, der in Zukunft ganz wesentlich zu einem guten Zusammenleben beitragen wird. Großzügigkeit kann sich in der Praxis entwickeln. Und unser Essen ist eine der wesentlichen Zutaten für Großzügigkeit. Wir können Gäste an unseren Tisch bitten, und wir können unsere Kultur mit den Kulturen anderer Menschen verbinden und unsere Unterschiede und Gemeinsamkeiten feiern. Wir sollten die Anpassung nicht als Problem betrachten, sondern als Chance, und dabei nicht vergessen, dass wir alle etwas zu teilen und zu geben haben, in Form von Zutaten und Wissen. Nahrung bietet uns die Möglichkeit, unsere Widerstandsfähigkeit durch einen Ausbau der kulturellen Infrastruktur zu stärken.
Wie hat Ihnen C/Change bei der Entwicklung dieses Projekts geholfen?
Vor der Arbeit mit C/Change habe ich mich vor allem auf die Zusammenarbeit mit lokalen Communities in Tucson, Arizona, konzentriert. Gemeinsam mit Chefkoch Janos Wilder habe ich Gerichte mit Zutaten aus klimaanalogen Regionen wie Pakistan und Gerichte für Orte wie das spanische Burgos kreiert, wo einmal das Klima von Tucson herrschen wird. Zum Beispiel haben wir eine Variante von Olla Podrida mit Teparybohnen aus dem Südwesten anstelle der traditionellen roten Bohnen aus Spanien zubereitet. Mir wurde allerdings schnell klar, dass wir das Projekt international ausrichten und alle Menschen in aller Welt daran beteiligen müssten, um es auszubauen. C/Change war da der perfekte Partner wegen seiner Zusammenarbeit mit Gray Area, die eine hervorragende technische Expertise mitbringen, und dem Goethe-Institut, das unsere Werte teilt und über ein weltweites Netzwerk von Menschen verfügt, die wir erreichen müssen, um wachsen zu können. Mit Unterstützung von C/Change konnten wir den ersten Prototyp des auf Nahrungsmittel fokussierten sozialen Netzwerks „Tasting Tomorrow“ entwickeln, in dem sich Menschen mit ihrer Zukunft aus dem Blickwinkel von Klimaanalogien auseinandersetzen.
Gab es einen besonderen Moment während der Projektentwicklung, in dem Sie die Themen Klimawandel und kulturelle Anpassung miteinander in Einklang bringen konnten?
Ich bin noch immer der Überzeugung, dass Gemälde als Inspiration dienen können, um über wichtige Themen wie Klimawandel und die menschliche Handlungsfähigkeit ins Gespräch zu kommen. Allerdings habe ich eine völlig andere Resonanz erfahren, sobald ich das Thema Nahrungsmittel angesprochen habe. Denn Essen spielt im Leben der Menschen eine unglaublich wichtige Rolle. Wir brauchen viele unterschiedliche Ansätze und Methoden, um die Vorstellungskraft der Menschen anzuregen.
Ich bin von Haus aus Philosoph. Und ich habe den Eindruck, dass Philosophie dringend benötigt wird in einer Welt, die sich im radikalen Wandel befindet, einer Welt, in der Angst zu Entfremdung und Feindseligkeit führt. Die Philosophie kann uns dabei helfen, diese Welt zu verstehen und außerdem zu ergründen, welche Art von Welt wir uns wünschen. Allerdings haben die meisten Menschen keinen Zugang zu akademischer Philosophie. Also habe ich Aspekte der philosophischen Praxis für den öffentlichen Diskurs aufbereitet. Dafür habe ich das Gedankenexperiment auf eine Weise verzerrt, die Vertreter*innen der akademischen Philosophie in den Wahnsinn treiben würde. Anstatt ein Gedankenexperiment als Argumentationsform zu betrachten – bei der eine kontrafaktische Annahme als Beweismittel dient – habe ich es im wahrsten Sinne des Wortes als eine Art Versuchsanordnung begriffen. Es ging mir darum, eine alternative Realität zu schaffen – eine mögliche Zukunft als Raum der kollektiven Erkundung entstehen zu lassen. Mit dieser Methode ist es möglich, verschiedene Perspektiven miteinander zu verbinden und Menschen zusammenzubringen. Die Menschen werden zum Handeln motiviert, weil das Gedankenexperiment eindrücklich und erlebnisorientiert ist.
Welche Faktoren haben Ihre Entscheidung beeinflusst, sich künftig in Ihrer Arbeit auf Architektur und Infrastruktur zu konzentrieren?
Bei der Auseinandersetzung mit Klimaanalogien im Kontext der kulturellen Transformation fiel mir auf, dass die traditionelle Baukultur viel mit dem kulinarischen Erbe gemein hat. Aufgrund der klimatischen Bedingungen gestaltet sich der Wohnungsbau zunehmend schwieriger, wenn es darum geht, ein angenehmes Wohnraumklima zu gewährleisten und die Gebäude zudem mit lokal verfügbaren Materialien instand zu halten. Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass die kulturellen Besonderheiten, die ein Haus zu einem Zuhause machen, mit der Belastung der Gemeinschaften durch extreme Wetterlagen immer mehr an Bedeutung gewinnen.
Der erste Workshop fand im Sommer in Mexico City mit 30 Studierenden der Metropolitan Autonomous University (UAM) statt. Die Teilnehmenden haben mit Architekturmethoden der Sana’a im Jemen experimentiert, wo derzeit das Klima herrscht, mit dem Mexico City vermutlich um das Jahr 2070 rechnen muss. Dafür haben sie beispielsweise architektonische Elemente verwendet, die die thermische Trägheit und die Luftzirkulation begünstigen.
Der Prozess soll die Teilnehmenden ins Handeln bringen und zudem ihr Gefühl der Selbstwirksamkeit stärken. Gleichzeitig geht es auch darum, die Handlungs- und Nutzungsmöglichkeiten deutlich zu machen, die Architektur und Stadtplanung bei der Renovierung haben. Gemeinsam mit Partner*innen am Fraunhofer-Institute für Bauphysik erfasse ich Daten, auf deren Grundlage wir neue Architekturhybride und -protokolle entwickeln. Letztlich steht dabei der Austausch von Wissen und Knowhow im Vordergrund. An diesem Punkt weist das Architekturprojekt Schnittstellen mit dem Kulinarikprojekt auf. So wie auch das neue Projekt zu traditioneller Kleidung, das ich gemeinsam mit meinen Kolleg*innen an der UAM konzipiere.
Diese Projekte sollen nicht nur einen praktischen Nutzen für die Menschen und ihre Existenzgrundlagen haben, sondern auch mehr Handlungsmöglichkeiten schaffen und das Bewusstsein schärfen. Sie verstärken sich gegenseitig – und tragen gemeinsam zur Praxis der Großzügigkeit bei, die einen wesentlichen Anteil an unserer kulturellen Widerstandsfähigkeit hat.
Die Initiative „C/Change“ des Goethe-Instituts San Francisco und des Kulturinkubators Gray Area hat den interkulturellen Online-Austausch gefördert. Untersucht wurde, wie sich Technologien so gestalten lassen, dass sie neue Kanäle für den Kulturaustausch schaffen. Teams und Einzelpersonen aus der ganzen Welt konnten sich mit Konzepten für interaktive Prototypen bewerben. Begleitet wurde die Initiative von dem digitalen Magazin „Signals“, das Interviews, Berichte und Multi-Media-Inhalte zu diesem Forschungsfeld gebündelt hat.
cchange.xyz
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