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Filmkatalog

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Bildausschnitt: beleuchteter, festlicher, vertäfelter Filmvorführraum

Fatih Akin
Auf der anderen Seite

  • Produktionsjahr 2007
  • Farbe / LängeFarbe / 122 Min.
  • IN-Nummer IN 1915

“Liebe, Tod und Teufel” nennt Fatih Akin seine Trilogie, die er mit dem vielfach preisgekrönten, exzessiven Amour-Fou-Melodrama “Gegen die Wand” (2003) begann, und nun mit einem Sechs-Personen-Rondo fortsetzt, das verblüffenden anders intoniert ist: es fließt ruhig, erzählt balladesk, geht philosophisch in die Tiefe. Sechs Schicksale, die einander auf der Achse Hamburg-Istanbul kreuzen, die sich in der Begegnung mit dem Tod verwandeln und reifen. „Mein spirituellster Film“, sagt Akin.


Ob man ihn nun als „türkischstämmigen Hamburger“ oder als „in Deutschland geborenen türkischen Filmemacher“ bezeichnet – mit seinen beiden letzten Filmen hat sich Fatih Akin internationalen Rang erobert. „Mit ‚Gegen die Wand’ wurde er“, wie das der Filmkritiker der französischen Tageszeitung Libération formulierte, „vom Planeten der Cinéphilie adoptiert“. und zu „Auf der anderen Seite“ schrieb der Cannes-Reporter des US-Branchblattes Variety als Resümee: „Hier hat Akin den Punkt erreicht, an dem ein guter Regisseur die Karriere-Brücke überquert, um ein substanzielles internationales Talent zu werden“.

Höchstes Lob für einen Filmemacher, der als Kind türkischer Einwanderer in Hamburg geboren wurde und aufwuchs, der in seinen Filmen immer wieder Aussenseiterfiguren entwirft, die zwischen Deutschland und der Türkei pendeln, und dabei versucht, die ganze Spannweite der kulturellen Kontraste, die ihn biographisch geprägt haben, ins Spiel zu bringen. Dazu gehören die Kontraste zwischen urban-westlicher Kultur und traditioneller Herkunft, zwischen Hochkultur und Pop, zwischen politischem Engagement und spiritueller Sinnsuche, auch die Kontraste der Generationen und der Mann-Frau-Rollenbilder.

Akin ist bekennender Fan der Pop-Ikone Prince, legt als DJ am liebsten Balkan-Pop auf, kann sich aber auch für klassische Musik begeistern. Typisch, wie er in seiner Dokumentation der quirligen Musikszene Istanbuls „Crossing the bridge“ (2005) das ungemein vielfältige musikalische Panorama - vom experimentellen Jazz-Pop bis zur traditionellen Folklore - mit Hingabe und Respekt schildert. Das zeichnet Akin aus, dass für ihn Identitätssuche nicht nach dem Ausschlußprinzip funktioniert, sondern ganz im Gegenteil als neugierige, offene, leidenschaftliche Suche danach, ob und wie die kontrastierenden Lebenssphären kommunizieren könnten. Kein Zufall, dass auch die Abfolge seines Oeuvres ein Spiel der Kontraste ist.

„Auf der anderen Seite“ verblüfft durch einen neuen Akin-Sound. War „Gegen die Wand“ Punkrock, so erklingt nun eine Ballade. War der männliche Held in „Gegen die Wand“ ein wilder, zügelloser, selbstzerstörerischer Charakter, so zeigt sich sein Pendant jetzt als Gegenbild: sanft, besonnen, fürsorglich, intellektuell. Er heißt Nejat (Baki Davrak), eine „androgyne Figur“ (Akin), und hält die verzweigte Geschichte von sechs Schicksalen, die einander kreuzen, berühren und manchmal auch nur tangential streifen, zusammen. Nejat ist Germanistikprofessor an der Hamburger Universität, erklärt seinen Studenten, warum sich Goethe gegen Revolutionen ausgesprochen hat und zitiert: „Wer wollte schon eine Rose im tiefsten Winter blühen sehen? Nur der Tor verlangt nach diesem unzeitgemäßen Rausch!“

Fürsorglich kümmert sich Nejat um seinen alten, herzkranken Vater: ein Witwer namens Ali Aksu (Tuncel Kurtiz), der in Bremen als Taxifahrer gearbeitet hat, seinen Sohn allein großziehen mußte, und der auf seine alten Tag noch einmal so etwas wie eine Familie haben will. Deshalb holt er eine türkische Prostituierte, Yeter Ötztürk (Nursel Köse), aus dem Rotlichtbezirk Bremens ins Haus. Aber Yeter zeigt sich nicht immer gefügig, und einmal, in einer plötzlichen Aufwallung seiner patriarchal polternden Natur schlägt Ali zu, was zu einem unglücklichen Sturz und dem Tod Yeters führt.

Ali wird verhaftet und in die Türkei abgeschoben. Nejat wendet sich von seinem Vater ab, und weil er erfahren hat, dass Yeter mit dem Geld, das sie als Prostituierte verdiente, ihre Tochter Ayten (Nurgül Yeşilçay) in Istanbul unterstützte, fährt er dort hin, übernimmt eine deutsche Buchhandlung, und sucht nach Ayten. Die aber, eine kämpferische politische Aktivistin, ist in der Gegenrichtung unterwegs, reist, auf der Flucht vor der türkischen Polizei, illegal nach Deutschland ein.

Die Erzählung wechselt von einer Figur zur nächsten, springt dabei in der Zeit immer wieder zurück, was eine multiperspektvische rondellartige Storyform ergibt, ähnlich wie in Kurosawas RASHOMON, und begleitet nun Aytens Schicksal: die Begegnung mit der jungen engagierten deutschen Studentin Lotte Staub (Patrycia Ziolkowska), aus der sich eine Liebesgeschichte ergibt, und ein heftiger Streit mit Lottes eifersüchtiger, gluckenhafter Mutter (Hanna Schygulla), Verhaftung durch die deutschen Asylbehörden, Abschiebung in ein türkisches Frauengefängnis. Schließlich siedelt die Geschichte nach Istanbul um, wo Lotte - wieder ein tragischer, eher zufälliger Tod – erschossen wird, und ihre trauernde Mutter, das Engagement der Tochter übernehmend, auf Nejat trifft.

Der Film durchquert große Themen (Immigration und Asylrecht, Prostitution und Familienrekonstruktion, Tod und Verwandlung), gewinnt seine Stärke aber in seiner Portraitzeichnung. Die Charaktere werden wunderbar präzise konturiert: die Knorrigkeit des Vater, der kämpferischen Elan der Aktivistin, die kontemplative Ruhe des Germanistikprofessors. Besonders schön: die Küchenszene, in der Hanna Schygulla einen Kirschkuchen belegt, und der jungen Türkin – auf die sie eifersüchtig ist, weil sie ihr die Tochter wegnimmt – eine Lektion verpassen will und sich dabei aus ihrer Lethargie hervorschälen muss.

In „Auf der anderen Seite“ bringt Akin seine sanfte, kontemplative, feminine Seite zur Geltung. Kein Zufall, dass sich die entscheidenden Szenen in Küchen abspielen (ein früher Entwurf hieß „Soul Kitchen“), und dass die beiden Mutter-Figuren herausragen: die türkische wird als Hure-und-Heilige-Gestalt gezeichnet, und die deutsche als eine Mama-Glucke, die aus ihrer Verschlossenheit erlöst werden kann. Da darf man gespannt sein, wie Akin die „Liebe, Tod und Teufel“-Trilogie abschließen und den Teufel portraitieren wird.

Rainer Gansera

Produktionsland
Deutschland (DE), Italien (IT), Türkei (TR)
Produktionszeitraum
2006/2007
Produktionsjahr
2007
Farbe
Farbe
Bildformat
1:1,85
In Koproduktion mit
Ankafilm (Istanbul) || Norddeutscher Rundfunk (NDR) (Hamburg) || Dorje Film (Rom)

Länge
Langfilm (ab 61 Min.)
Gattung
Spielfilm
Genre
Drama
Thema
Beziehung / Familie, Freundschaft, Europa, Migration / Flucht / Exil

Verfügbare Medien
DVD, 35mm
Originalfassung
Deutsch (de), Türkisch (tr), Englisch (en)

DVD

Untertitel
Deutsch (de), Estnisch (et), Rumänisch (ro), Türkisch (tr), Englisch (en), Irisch, Slowenisch (sl), Russisch (ru), Französisch (fr), Lettisch (lv), Slowakisch (sk), Portugiesisch (Brasilien), Spanisch (es), Litauisch (lt), Finnisch (fi), Indonesisch (id), Portugiesisch (Bras.) (pt), Maltesisch, Schwedisch (sv), Arabisch (ar), Italienisch (it), Ungarisch (hu), Griechisch (el), Chinesisch (zh), Tschechisch (cs), Niederländisch (nl), Dänisch (da), Polnisch (pl), Bulgarisch (bg), Japanisch (ja)

35mm

Untertitel
Spanisch (es), Französisch (fr), Englisch (en)