Die Geschichte des Films beruht auf einem authentischen Schicksal: Salomon Perel, Jahrgang 1925, viertes Kind einer jüdischen Familie, die nach der russischen Oktoberrevolution nach Deutschland geflüchtet war, muß zusammen mit seinen Eltern kurz vor Ausbruch des II. Weltkriegs erneut fliehen: Die Familie Perel läßt sich im polnischen Lodz nieder.
Nach dem deutschen Überfall auf Polen wird Salomon von seinen Eltern weiter nach Osten geschickt; er kommt in einem russischen Waisenhaus unter, wo man den Vierzehnjährigen zum strammen Komsomolzen erzieht. Nach Hitlers Angriff auf die Sowjetunion wird Salomon von der Wehrmacht aufgegriffen und gibt sich, um sein Leben zu retten, als "Volksdeutscher" aus, der die Sowjetunion verlassen und "heim ins Reich" will; er muß nun, in eine deutsche Uniform gesteckt, auf der Gegenseite kämpfen.
Nach seinem von den Vorgesetzten mißdeuteten Versuch der Desertion ist Salomon Perel, der sich längst Jupp Peters nennt, ein Held. Er wird heimgeschickt ins "Reich" und besucht eine NS-Schule. Erneut an der Front, gegen Ende des Kriegs, flieht er in die Reihen der Sowjet-Armee. Das Wiedersehen mit seinem Bruder, der in einem Konzentrationslager überlebte, rettet dem nun Zwanzigjährigen noch einmal das Leben. Ein Epilog zeigt den authentischen, nach Palästina ausgewanderten Salomon Perel.
Kein anderer europäischer Film dürfte bei seinem Erscheinen in der Saison 1991/92 weltweit heftiger diskutiert worden sein als HITLERJUNGE SALOMON, der in den USA unter dem Titel EUROPA EUROPA beträchtliche Publikumserfolge erzielen konnte. Zu der Kontroverse hatte vor allem auch das deutsche Gremium beigetragen, das über die Vorschläge zur Oscar-Nominierung zu entscheiden und dabei HITLERJUNGE SALOMON nicht benannt hatte. Das Gremium hatte seine Entscheidung, gegen die der deutsche Co-Produzent Arthur Brauner (CCC Filmkunst) heftig protestiert hatte, in der Öffentlichkeit höchst ungeschickt begründet und sich auf formale Kriterien zurückgezogen: Der Film war nur eine minoritäre deutsche Co-Produktion, den größten Anteil trug der französische Partner. Daß Frankreich den Film nicht für die Oscar-Nominierung vorgeschlagen hatte, wurde in der Diskussion übergangen. Die Entscheidung des deutschen Gremiums hingegen wurde - nicht zuletzt von der Regisseurin selbst - als Beleg eines neuen Rassismus gedeutet. In diese Richtung wurden dann teilweise auch die künstlerischen Einwände gegen den Film gedrängt.
Während der letzten zwei Jahrzehnte hat nicht nur das Kino versucht, die Dämonisierung des Nationalsozialismus zugunsten einer gründlicheren Aufklärung zu überwinden. Die Analyse der Banalität des Bösen war für die inhaltliche Diskussion nicht weniger produktiv als die Klärung ökonomischer Zusammenhänge des Faschismus. Genau an diesem Punkt setzte die Kritik der meisten deutschen Rezensenten ein: "Die Nazis waren, wenn man der Inszenierung von Agnieszka Holland glauben darf, eine Bande von Knallchargen. Man weiß, wie sich die Unmenschen die Erkennbarkeit von Juden vorgestellt hatten; so etwa stellt sich nun die Regisseurin auch die Erkennbarkeit der Faschisten vor. In HITLERJUNGE SALOMON bleiben sie Comic-Figuren." (Süddeutsche Zeitung)
Das wirklich Bewegende an diesem Film ist seine Geschichte, das authentische Schicksal. Die Inszenierung selbst gibt dieser Passion indes zu wenig Zeit und konzentriert sich auf Äußerlichkeiten. Nun sollte man zwar von der Regisseurin nicht verlangen, in der Schilderung der Verbrechen und Verbrecher des Nationalsozialismus zu differenzieren und abzuwägen - es sei denn, um der Opfer willen.
Problematisch ist vor allem die zur Eile drängende Episoden-Struktur des Films. Viel wird angesprochen, viel erwähnt, doch die Regisseurin scheint sich vor dem Innehalten zu scheuen. Auch dies könnte verständlich sein, würde der Film von einem Jungen erzählen, der zum atemlosen Objekt im Lauf der Ereignisse wird, dem kein Moment der Reflexion bleibt. Zeit jedoch wäre hier gewesen; Agnieszka Holland verwendet sie für erotische Motive. Schon in Lodz gönnt sie dem jungen Salomon eine pubertäre Episode mit einer Kinokassiererin, anstatt von der Bedeutung zu erzählen, die die Familie und die Ermordung seiner kleinen Schwester für Salomon haben. Die Angst vor der Entdeckung der Beschneidung wird schließlich zum zentralen Motiv. Effektvoll führt die Regisseurin Salomons Versuche vor, sie zu verbergen, vor allem in der Beziehung zu einem BDM-Mädchen. Besonders umstritten blieben die Traumsequenzen: Hitler in inniger Umarmung mit Stalin tanzend, Hitler in einem Schrank versteckt und sich als Jude offenbarend. "Vielleicht hätte der Film für ein europäisches Publikum dadurch gewonnen, wenn er weniger monumental inszeniert worden wäre, sondern leiser im Ton, genauer im Detail, glaubwürdiger in der Darstellung. Aber das wäre im amerikanischen Kino nicht so erfolgreich gewesen." (epd Film)
Hans Günther Pflaum