„Bruder Eli, schläfst du noch? Was ist mit dem Islam?“ Einst machte Jakobs missionarischer Eifer seinem Bruder Eli Angst: „Ich habe geträumt, dass ich in der Hölle bin!“ Eine profane Hölle: die Hitze ging von einem Heizstrahler aus. Nach eigener Aussage hatte Jakob den Koran für sich im Jahr 2009 entdeckt, „bei einem Hippie-Treffen in den Bergen von Marokko“. Er muss sich schnell verändert haben. Bevor er konvertierte, war „Feiern und Musik machen“ sein Leben. Ehemalige Kollegen aus einer WG erzählen, wie Jakob immer intoleranter wurde, keine andere Meinungen mehr akzeptieren wollte und begann, Frauen zu missachten. Man habe ihn damals aus der WG weggeschickt – mit dem Ergebnis, dass Jakob in einer Moschee seine neue Heimat und Geborgenheit fand. Ein Patenonkel erzählt, dass Jakob sogar seiner zehnjährigen Tochter salafistische Mails geschickt habe.
2013 wurde Jakob, nach islamischem Ritus, mit der ebenfalls konvertierten Kathrin verheiratet. Er kann bereits die arabischen Formeln nachsprechen. Den Kontakt zu seiner Familie – die Eltern waren Entwicklungshelfer – weit gehend abgebrochen. Elis Film ist auch der Versuch, die Beziehungen zu seinem jüngeren Bruder wieder zu beleben. So kommt Jakob ins fränkische Windsbach; er kümmert sich rührend um seine kranke Oma, verrichtet seine Gebete in arabischer Sprache, erklärt fromm den Sinn ritueller Waschungen; doch die Entfremdung mit der Familie bleibt. Man will, dass die beiden wieder abreisen. Dabei nimmt der Clan möglicherweise weniger Anstoß an Jakobs religiöser Überzeugungen, als an einer Äußerlichkeit: Kathrin trägt einen Tschador. Die junge Frau beginnt zu weine und gesteht, sie mag keine schwarze Kleidung, aber sie habe nichts anderes anzuziehen.
Auf die Details des Familienkonflikts und die daran Beteiligten geht der in diesem Punkt sehr diskrete Film kaum ein. „Für mich ist es ein gewissen Schutz, hinter der Kamera zu stehen. Ich trau' mich, Fragen intensiver zu stellen und ein Thema intensiver zu bearbeiten, wenn ich daraus einen Film mache. Ich hatte das Gefühl, dass es uns die Möglichkeit gegeben hat, uns anzunähern... Das ist kein Film über den Salafismus, sondern über meinen Bruder!“ (Eli Roland Sachs). Dennoch verharrt der Film nicht beim bloß Privaten, sondern erzählt auch von einer Suche nach Sinn innerhalb einer ratlosen Jugend und von ihrer Verführung – in Deutschland und anderswo. Zeitweise scheint für Jakob die Lösung erschreckend einfach zu sein: „Ich liebe Deutschland, aber ich hasse den Unglauben. Wie schön wäre Deutschland, wenn es nur muslimisch wäre!“ In einem im Film nicht vorhandenen späteren Statement bekennt Jakob: Hätten die saudischen Gelehrten, deren Ansichten seine salafistischen „Brüder“ in der Moschee übernommen haben, es gut befunden, sich an konkreten Kampfhandlungen zu beteiligen, wäre ich damals dazu bereit gewesen. Ich sehnte mich nach einem sinnvollen Tod für Gott!“
Aber dann spricht der junge Mann auch von seiner Angst: „Der Koran macht mir Angst, dass ich nicht den Ansprüchen Allahs genüge!“ Dann vollzieht Jakob einen zweiten Schritt: „Ich liebe diesen Gott nicht, weil ich Angst habe vor ihm!“ Das muslimische deutsche Paar entscheidet sich für eine andere Glaubensgemeinschaft und schließt sich der Bahai-Religion an. Vor allem für Kathrin scheint dieser Entschluss eine radikale Befreiung zu bedeuten. Jakob ist der Überzeugung, dass sein Schritt dem Willen Allahs folge; sein Imam, der umstrittene und zeitweise vom deutschen Verfassungsschutz beobachtete Abdul Adhim Kamouss, der den Konvertiten einst gepriesen hatte, scheint diese Erklärung kaum ertragen zu können; nach seiner Überzeugung folgt sie dem „Willen Satans“.
Ob Jakob, der den Salafismus überwunden hat und in der Bahai-Religion eine neue Zuflucht findet, der am Ende humanistische Ideale (auch wenn er sie nur vage zu formulieren vermag) über jedes religiöse Dogma stellt, endgültig am Ziel seiner Suche angekommen ist, bleibt offen – zumal er seine Mischung aus Naivität und allzu redseliger Sehnsucht nach Transzendenz noch längst nicht überwunden hat. Die Beharrlichkeit seiner Suche bleibt dennoch bewundernswert.
Hans Günther Pflaum, 11.05.2017