Schnelleinstieg:

Direkt zum Inhalt springen (Alt 1) Direkt zur Hauptnavigation springen (Alt 2)

Iriba Centre for Multimedia Heritage, Kigali, Ruanda
Iriba ist kein Ort, an dem man einfach vorbeigeht

ein geöffnetes Tor
Eingang zum Iriba Center in Kigali | © Chris Schwagga and Christian Mbanza, Goethe- Institut

In Kigali, der Hauptstadt Ruandas gibt es einen Ort, der auf vorbildliche Weise versucht aus der Geschichte des Landes zu lernen: Das Iriba Centre of Multimedia Heritage pflegt ein Archiv mit zahlreichen Erinnerungsdokumenten an den Genozid im Jahr 1994 und macht das Material vor allem den jüngeren Generationen auf konstruktive Weise zugänglich.

von Louise Mutabazi

Nicht jeder in Kigali weiß, wie kostbar dieser Ort ist und die Arbeit, die hier stattfindet. Aber ich wüsste niemanden, der seine Notwendigkeit nicht verstehen würde, wenn er ihn erst einmal betreten hat.

Als ich Iriba im Stadtzentrum von Kigali 2015 zum ersten Mal besuchte, hätte ich mir nicht träumen lassen, wie oft ich in den kommenden Jahren an diesen Ort zurückkehren sollte. Wieder einmal betrete ich das Gelände und sehe nach dem alten Baum der Reisenden, der die Tür bewacht. Ich fühle mich zu Hause, als ich mit Assumpta Mugiranzea, der Leiterin von Iriba, zusammensitze.

Iriba Centre for Multimedia Heritage wurde 2012 aus der Notwendigkeit heraus gegründet, durch Lesen und Verstehen einen Zugang zur schmerzlichen, jüngsten Vergangenheit Ruandas zu erlangen und – falls möglich – diese für alle offen zugänglich zu machen. Assumpta Mugiranzea ist überzeugt, dass wir nur dann verstehen können, was in diesem Land passierte, wenn wir die Geschichte Ruandas studieren. Für sie ist die jüngere Generation, vor allem die nach 1994 geborene, die Generation, die dieses Wissen als Schlüssel zum tieferen Verstehen benötigen. Daher vereint Iribas Mission den Erhalt und die Pflege des digitalisierten Dokumentationsmaterials und die pädagogische Aufklärung über die ruandische Geschichte: Das Material, in den Archiven gesammelt, wird analysiert und wieder zum Leben erweckt durch eine breit angelegte Forschung und kreative Vermittlungsprojekte.

2019, kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie, führte Iriba ein Programm namens "Jeunes Artistes de la Cité" durch. Eine Gruppe von zwanzig jungen Künstler*innen aus Ruanda und Burundi trafen im Centre Iriba zusammen, wo sie Zugang zu bestimmten Dokumentationsmaterial hatten. Die Künstler*innen hatten die Möglichkeit, Wege zu diskutieren und zu finden, aktive und kreative Bürger*innen Ruandas zu sein, diese in einer Reihe von Kunstwerken in verschiedenen Disziplinen (Film, Musik, Tanz, Schreiben,…) umzusetzen und diese der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Iriba führt solche Projekte durch, damit junge Menschen das Dokumentationsmaterial nutzen, um die Geschichte ihres Landes zu erkunden, sich ihre Gegenwart stärker anzueignen und sich ihre Zukunft zu entwerfen.

Als Ruanda im März 2020 den ersten Lockdown ankündigte, war es für das Team und die Nutzer*innen von Iriba schwer, das große Eingangstor auf unbestimmte Zeit geschlossen zu sehen. Assumpta Mugiraneza erinnert sich: „Manche von ihnen sagten mir, wenn es nur einen systemrelevanten Raum geben kann, der offen bleiben muss, dann dieser.“ Mehr als alles andere ist Iriba für viele ein sicherer Raum, ein Ort, an dem man Fragen, Sorgen, Projekte, Zweifel, Traumata und Entwicklungen teilen kann. Assumpta Mugiranezas psychosozialer Ansatz schafft Vertrauen.

Nach dem ersten Schock wurde entschieden, einen Teil der Debatten in den Online-Bereich zu verlagern. Die Vorträge konnten nahezu wie geplant stattfinden: im März zum Thema Frauen und Gender, im April zur Erinnerung an den Völkermord an den Tutsi im Jahr 1994, ... Sich nicht treffen und nicht miteinander teilen zu können, was genau dieser Monat April  jedes Jahr in den Herzen der Ruander*innen wachruft, in Isolation bleiben zu müssen und mit unerträglichen Gefühlen und Gedanken dazusitzen, war für viele unsagbar schwer. Assumpta Mugiraneza und das Iriba-Team wissen, dass es absolut notwendig ist, in Verbindung zu bleiben, Solidarität zu zeigen und einen Dialograum offen zu halten - und sei es nur virtuell.

Iriba öffnete wieder, sobald es die Situation erlaubte, aber die Mittel waren knapp. Das war der Punkt, an dem Assumpta Mugiraneza beschloss, einen SOS-Ruf an verschiedene Geldgeber zu senden und um Unterstützung zu bitten.: „Ich wollte zumindest in der Lage sein, Desinfektionsgel und Masken für das Team bereitzustellen.“, erzählt sie bewegt.

Aber während Kulturorganisationen in Ruanda schnell reagierten und mehr als bereit waren, ihre Arbeit wiederaufzunehmen, sobald es erlaubt war, war dies bei den meisten Geldgebern leider nicht der Fall. Sie verharrten um einiges länger in Bewegungslosigkeit.

Doch eine Lösung bot sich an: Ende Oktober 2020 konnte Iriba mit Unterstützung des Goethe-Instituts Kigali und des Internationalen Hilfsfonds an vier Tagen kulturelle Aktivitäten organisieren und ausrichten. Die künstlerischen Projekte, deren Entwicklung vor dem ersten Lockdown begonnen hatte, hatten bis dahin Zeit zu wachsen und erblühen. Das Programm bestand aus Theater- und Tanzaufführungen, Musikveranstaltungen und einer Fotoausstellung.

Kigali ist eine dynamische Hauptstadt: Sie verändert sich rasant und die jüngere Generation kann sich kaum noch erinnern, wie anders es hier vor nicht einmal zehn Jahren aussah. Aus diesem Grund unternahmen die jungen Projektteilnehmer*innen Rundgänge durch Kigali, begleitet von einer älteren Person, die früher in dieser Stadt gewohnt hatte. Sie konnte Geschichten erzählen, daran erinnern, wie es war, hier im Schatten von Akazienbäumen zu gehen oder wie dieses Gebäude 2004 das höchste Gebäude der Stadt. Zusammen machten sie unterwegs Fotos und verglichen das heutige Aussehen der Stadtviertel  mit den im Iriba Center befindlichen Fotos der Stadt.

Assumpta Mugiraneza erklärt: „Dieses Erlebnis erlaubte ihnen nicht nur, Orte, an denen sie tagtäglich vorbeikommen, ohne sie zu beachten, neu wahrzunehmen, sondern löste auch neue Gespräche zwischen den Generationen aus. Solche ganz einfachen Impulse können enorm dazu beitragen, die Kluft zwischen den Generationen zu überbrücken.“

Durch eine solche Nutzbarmachung der Dokumentationsmaterialien verwirklicht Iriba seine Mission, den Schlüssel zum Lesen der Vergangenheit zu liefern, die scheinbar aus der Gegenwart verschwunden ist.
 

  • zwei Frauen im Gespräch © Chris Schwagga and Christian Mbanza, Goethe-Institut
    Assumpta Mugiraneza, die Leiterin des Iriba Centres im Gespräch mit einer Kollegin
  • Frau vor Haus © Chris Schwagga and Christian Mbanza, Goethe Institut
    Assumpta Mugiraneza, Leiterin des Iriba Centre
  • Frau und tanzende Männer © Chris Schwagga und Christian Mbanza, Goethe-Institut
    Wirksame Erinnerungsarbeit im Iriba Centre
  • Haus mit Garten © Chris Schwagga und Christian Mbanza, Goethe-Institut
    In diesem Gebäude ist das Iriba Centre untergebracht
Der Internationale Hilfsfonds trug dazu bei, die Organisation zu stabilisieren und ihre Ausstattung zu erhalten. Nicht nur werden die Betriebskosten und die digitale Ausrüstung finanziert, der Fonds war auch eine große Hilfe bei der Durchführung verschiedener Aktivitäten von Oktober bis Dezember 2021. „Wenn die Struktur erst einmal gesichert ist, sind wir freier, uns neue Aktionsformen auszudenken.“

Iriba bereitet derzeit eine Ausstellung zu den Kriegsverbrecherprozessen vor und sammelt dafür Videomaterial von neun Prozessen.Das in der Ausstellung gezeigte  Material bezieht sich auf Verbrechen, die in verschiedenen Ländern begangen wurden: Assumpta Mugiraneza ist überzeugt, dass der Blick auf andere Länder ein zusätzliches Licht auf die ruandische Geschichte werfen kann. Die Ausstellung soll fünf Monate laufen, dazu wird ein Programm an Konferenzen, Debatten und Gesprächen organisiert, um die Ausstellung inhaltlich zu ergänzen und zu bereichern. Wiederum ist es nicht allein das Dokumentationsmaterial, das von Iriba geteilt wird, sondern seine Nutzbarmachung für ein fruchtbares Nachdenken und einen konstruktiven Dialog.

Auch wenn Assumpta Mugiraneza auf die Frage nach der Zukunft von Iriba erklärt, dass sie nicht wisse, was als nächstes komme, verlässt  sie ihr Büro mit dem Gefühl – und der Hoffnung –, dass Iriba nie aufhören wird, nach vorne zu schauen und sich neue Wege auszudenken, dem Dokumentationsmaterial Leben einzuhauchen, und die Kraft von Reflexion und Inspiration für eine bessere Zukunft zu nutzen.

Top