Iran-Horizonte
„Die Mauern von damals gibt es nicht mehr“

Hospitantin Neda Zargar Talebi
Hospitantin Neda Zargar Talebi | Foto: Bernhard Ludewig

Wie erleben junge, qualifizierte Fachkräfte aus dem Iran den Berufsalltag in Deutschland? Im Rahmen der Initiative „Iran-Horizonte: Chancen für die Zukunft“ knüpften acht junge Leute Kontakte mit einer fremden Kultur und hospitierten zwei Monate lang in deutschen Unternehmen. Zur feierlichen Zeugnisvergabe trafen sich alle Beteiligten der Gemeinschaftsinitiative im Auswärtigen Amt.

Es war eine Begegnung der überraschenden Art: Als die junge Architektin Nora Noori (28), groß, schlank und mit langem, rotblondem Haar, am Bahnhof im brandenburgischen Guben ankam, rechnete sie damit, von einem männlichen Ansprechpartner des Bauunternehmens, in dem sie hospitieren sollte, abgeholt zu werden. Tatsächlich aber stand dort am Gleis eine weibliche Vorgesetzte, die ihrerseits einer falschen Vorstellung aufsaß: Sie hatte sich die iranische Praktikantin klein, schwarzhaarig und mit Kopftuch vorgestellt. Erst nachdem sich der Bahnsteig geleert hatte, fanden sie schließlich zusammen – und lachten über die wechselseitigen irreführenden Projektionen.

Nora Noori
Nora Noori | Foto: Bernhard Ludewig

Überraschende Realität

Ein Realitäts-Abgleich kultureller Klischees ist eines der Ziele des Begegnungsprogramms „Iran-Horizonte: Chancen für die Zukunft“. An der Initiative, die sowohl den interkulturellen Austausch als auch die Wirtschaftsbeziehungen beider Länder fördern soll, sind verschiedene Partner beteiligt: Das Auswärtige Amt, das Goethe-Institut, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) sowie der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) mit Unterstützung der Deutsch-Iranischen Industrie und Handelskammer.

Bei der Abschlussveranstaltung, in der angekündigt wurde, dass das Programm auch in Zukunft fortgesetzt werden soll, wurde auch darauf hingewiesen, wie positiv sich das Wiener Atomabkommen von 2015 zwischen dem Iran und den fünf UN-Vetomächten sowie Deutschland auf die gemeinsamen Handelsbeziehungen auswirkt. Unter anderem wandte sich Benjamin Godel vom BDI mit verbindlichen Worten an die Gäste aus dem Iran.

Die Gruppe und Vertreter der Partnerorganisationen
Die Gruppe und Vertreter der Partnerorganisationen | Photo: Bernhard Ludewig
Mit dem Hinweis darauf, wie wichtig für das internationale Geschäft gerade der Verlass auf Institutionen sei, riet er ihnen: „Sie können sich jederzeit an uns Projektträger und an die Botschaft wenden. Wann immer Sie auf Widerstände stoßen, sollten Sie wissen: Es gibt ein Netzwerk in Deutschland, auf das Sie zurückgreifen können. Nutzen Sie diese Chance, und bleiben Sie untereinander und mit uns in Kontakt!“

Lockere Arbeitsatmosphäre

Die Erfahrungsberichte der acht Fachkräfte, unter denen Elektrotechnik-, Wirtschafts- und Maschinenbauingenieure in der Mehrzahl waren, spiegelten die in kurzer Zeit gewonnenen, beachtlichen Sprachkenntnisse wider; und machten zum anderen anschaulich, dass die Gäste aus dem Iran neben dem Wissenstransfer auf beruflicher Ebene auch von Land und Leuten beeindruckt waren – nicht nur von der Pünktlichkeit von Bus und Bahn: Angenehm überrascht zeigten sie sich zum Beispiel von der lockeren Atmosphäre im Unternehmen, nachdem sie im Iran vielfach gewarnt worden waren, dass deutsche Kollegen am Arbeitsplatz kein Wort miteinander wechseln.
 
Mit Respekt und Verwunderung gleichermaßen wurde die landestypische Korrektheit registriert, mit der Stundenpläne und Sicherheitsvorschriften erstellt und eingehalten werden. Die aufgeklebten Silhouetten von Greifvögeln, die an mehreren Firmengebäuden prangten, hielt eine Hospitantin zunächst für eine landestypische Gebäude-Dekoration; und dass selbst eine so kleine Stadt wie Braunschweig ein Staatsorchester hat, stieß auf große Bewunderung.

Kompetente iranische Jugend

Zugleich zeigte sich, dass auch in Deutschland vielfach noch falsche Vorstellungen über die iranische Gegenwart kursieren: So bekam eine der Hospitantinnen die Frage gestellt, ob sich ihre Heimat noch immer im Krieg befinde, und ob man dort inzwischen auch studieren könne. Was den Maschinenbau-Ingenieur Mostafa Aghabeigi (29) in seinem Kurzvortrag zu einer Klarstellung veranlasste: „Ich bin keine Ausnahme in meinem Land! Die junge Generation im Iran ist kompetent genug, um ein ebenbürtiger Partner von Deutschland und Europa zu sein.“

Mostafa Aghabeigi
Mostafa Aghabeigi | Foto: Bernhard Ludewig
Ein Hinweis darauf, dass 70 Prozent der Iraner unter 30 Jahre alt – und gut ausgebildete Fachkräfte sind. Mit einem Zitat von Frank-Walter Steinmeier, der in der Nach-Wende-Zeit von der „Gefahr unsichtbarer Mauern“ gesprochen hatte, meinte Aghabeigi, dass auch er im Verhältnis zu Europa etwas Ähnliches verspürt habe. Also studierte er die deutsche Sprache und Geschichte.
 
„Aber um die Distanz zu mindern, brauchte ich mehr als Bücher und Filme. Und meine Hospitanz bot die Gelegenheit, Menschen in Deutschland direkt kennenzulernen, ohne Verzerrung durch westliche und iranische Medien. Heute kann ich mit hundertprozentiger Sicherheit sagen. Die Mauern von damals gibt es nicht mehr!“ Jeder Hospitant dieses Programms, so schloss Aghabeigi seinen Rückblich ab, ähnele einer Saat, aus der ein großer Baum werden kann, „der süße Früchte für beide Seiten hervorbringen wird!“

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