28. August 2024
Rede anlässlich der Verleihung der Goethe-Medaille 2024
- Es gilt das gesprochene Wort -
ich freue mich sehr, dass wir heute drei starken Frauen die Goethe-Medaille für ihre Verdienste um die deutsche Sprache und um den internationalen Kulturaustausch verleihen dürfen: Claudia Cabrera aus Mexiko, Iskra Geshoska aus Nordmazedonien und Carmen Romero Quero aus Chile. Alle drei wirken mit leisen Tönen, aber auch mit durchaus lauter Einmischung in ihren eigenen Gesellschaften und weit darüber hinaus. Mit ihrer Kulturarbeit nähren sie die Hoffnung auf eine bessere Welt, auf ein friedliches, tolerantes und kreatives Miteinander in einer herausfordernden Zeit. Gerade angesichts der beklemmenden politischen Krisen und gesellschaftlichen Spaltungen ist diese Arbeit überlebensnotwendig. Und unter das Motto „Hoffnung“—auf die Kraft der Kultur—möchte ich mein Grußwort heute stellen.
Ich freue mich, dass die Jury—wie schon einmal im Jahr 2017—unter einer ganzen Reihe verdienstvoller Kandidaten drei Frauen als besonders preiswürdig ausgewählt hat! Bis 1989 gab es unter der großen Schar der Preisträger nur acht Frauen, gerade einmal drei Prozent aller Medaillenempfänger. Seither stieg ihr Anteil langsam, aber doch kontinuierlich, auf inzwischen insgesamt immerhin ein Drittel. Mich jedenfalls stimmt es hoffnungsvoll, dass die Goethe-Medaille „weiblicher“ geworden ist—und dass sich das auch bei der heutigen Verleihung zeigt.
Die Weltlage ist bedrückend—ja, seit der Verleihung der Goethe-Medaille im letzten Jahr ist sie nochmals bedrückender geworden. Der Krieg in der Ukraine dauert mit unerbittlicher Härte nun im dritten Jahr fort, und es ist kein Ende in Sicht. Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel im Oktober letzten Jahres steht auch der Nahe Osten in Flammen, mit zahllosen zivilen Opfern und unendlichem Leid besonders für Frauen und Kinder, und auch hier scheint—angesichts der Unversöhnlichkeit der Gegner und ihres zynischen politischen Kalküls—eine friedliche Lösung immer wieder in weite Ferne zu rücken. Auch der Krieg im Sudan treibt nach wie vor Hunderttausende von Menschen in die Flucht.
Der Blick auf Europa stimmt nicht unbedingt zuversichtlicher. Etwa wenn wir auf Georgien schauen, wo zahlreiche Kulturschaffende gegen die Regierung und speziell die Kulturministerin demonstrieren, die Freiheitsrechte einschränken und den Kulturbereich rechts-nationalistisch umbauen will. Ähnliches geschieht in der Slowakei und Ungarn und etlichen anderen Ländern. Die Ergebnisse der Europawahlen und die Prognosen für die bevorstehenden Landtagswahlen hier in Thüringen, Sachsen und Brandenburg zeigen ebenso erschreckend den Vormarsch rechtsradikaler Parteien, die mit ihren antidemokratischen Haltungen und rückwärtsgewandten Heilsversprechen viele Bürgerinnen und Bürger anziehen. Immer wieder äußern sich Rassismus, Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit, aber auch islamistischer Fundamentalismus, der zu Terror aufruft. Unversöhnliche Polarisierungen, mit hasserfüllt gebrüllten Parolen, machen das gegenseitige Zuhören nahezu unmöglich.
Auch in den Ländern, aus denen unsere diesjährigen Preisträgerinnen kommen, ist die Situation düster oder doch zumindest heikel. In Nordmazedonien hat vor wenigen Monaten eine rechts-nationalistische Partei die Regierung übernommen; grassierende Vetternwirtschaft und Korruption sowie die immer neuen Hürden vor einem EU-Beitritt erzeugen Frustration. Und die staatliche Kulturpolitik will vor allem eine mazedonische Identität gegen alles Fremde abschotten und lässt wenig Freiräume für eine unabhängige Szene.
In Chile herrschen Rechtsstaat und Demokratie, doch ein großes soziales Gefälle, ungleiche Bildungschancen und Generationenkonflikte polarisieren die Gesellschaft. Entwürfe einer neuen Verfassung, die—wie in massenhaften sozialen Protesten gefordert—mehr gesellschaftliche Gerechtigkeit schaffen soll, sind vorerst gescheitert. Und auch fünfzig Jahre nach dem Ende der Pinochet-Diktatur stockt die öffentliche Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen immer noch.
Mexiko kämpft mit einer noch drastischeren Schere zwischen Arm und Reich, mit Drogenkriminalität und Korruption und zahlreichen Menschenrechtsverletzungen. Das Land hat eine der höchsten Mordraten der Welt; es ist tödlich für Journalisten und Umweltaktivisten. Im Oktober wird die erste weibliche Präsidentin—die Kandidatin einer mitte-links-populistischen Partei—ihr Amt antreten. Doch ob sie den erbitterten Kulturkampf zwischen Konservativen und Linkspopulisten befrieden kann, ist mehr als fraglich.
Alles in allem also ein Panorama, das wenig Anlass zu Hoffnung zu geben scheint. Und doch: wir erleben gerade in den USA, wie Kamala Harris und Tim Walz die Stimmung verändern und—wie Barack Obama vor sechzehn Jahren—Hoffnung auf ihre Fahnen schreiben. „Hope is making a comeback“, hieß es auf dem Nominierungsparteitag der Demokraten. Auch unsere Preisträgerinnen sind wichtige Beispiele für Menschen, deren Engagement in ihren Ländern einen großen Unterschied macht. Ich habe sie im Vorfeld der Verleihung gefragt, was sie hoffnungsvoll stimmt. Ihre Antworten lassen sich zu einer regelrechten Trilogie der Hoffnung stiftenden Wirkungen von Kultur zusammenfügen.
Iskra Geshoska sieht in Nordmazedonien mit seiner desolaten staatlichen Kulturpolitik, die den kritischen Dialog behindert und Freiheit beschneidet, eigentlich gar keinen Anlass zu Hoffnung. Ich fragte nach, warum sie das Land trotzdem nicht verlässt. „Weil ich mich für die Gesellschaft und die Gemeinschaft verantwortlich fühle“, schrieb sie. „Ich bin überzeugt, dass sich die Dinge nur durch beharrliches Engagement ändern lassen. Kultur und künstlerische Produktion, vor allem der unabhängige Kultursektor, haben die Kraft, politisch einzugreifen und die gesellschaftliche Landschaft zu verändern. […] Junge Künstler und Kulturschaffende zu motivieren, durch alternatives, selbstorganisiertes Lernen und Tun unabhängige Plattformen zu schaffen: das ist meine persönliche Motivation, in Nordmazedonien zu bleiben und zu arbeiten.“
Solidarische Netzwerke von Kulturschaffenden, die in einer korrupten und autoritären Gesellschaft Räume von Widerständigkeit schaffen: das ist die Hoffnung stiftende Kraft der Kulturarbeit, die Iskra Geshoska betreibt. Es geht ihr um Schutzräume, in denen Kulturkritik praktiziert und Utopien anderer Formen des Zusammenlebens genährt werden können.
Auch Carmen Romero zieht ihre Hoffnung aus den neuen Formen von Gemeinschaft, die Kulturarbeit ermöglichen kann. In ihrer Arbeit ist es besonders das Theater, das ein Modell des freien, solidarischen Miteinanders vorlebt. Hier werden soziale, ethnische und religiöse Grenzen überwunden und zugleich der Reichtum kultureller Unterschiede und traditioneller Wurzeln respektiert. „Das Theater ist eine Nation“, schrieb sie mir, „und ich feiere die Zugehörigkeit zu dieser Nation, weil sie die perfekte Utopie dessen ist, was die Welt sein könnte. Eine Gemeinschaft, die aufeinander eingestimmt schwingt, in der uns weder Religionen noch soziale Unterschiede voneinander trennen. Wir können im selben Raum atmen, ohne uns gegenseitig umbringen zu müssen. Ich komme aus einem Land mit tiefen Wurzeln, derer wir uns nicht bewusst waren, bis die Kunst es auf sich genommen hat, sie mir zu zeigen. Ich glaube an die regenerative Kraft der Erde und höre auf die Stimmen unserer Ureinwohner, um unseren Geist zu beruhigen und uns in das Universum zurückzuführen, zu dem wir gehören. Ich glaube an die Freiheit der Völker und an die Demokratie.“
Als Übersetzerin geht Claudia Cabrera einer zunächst einsameren Tätigkeit als die Theatermacherin Romero nach. Ihre Netzwerke mit anderen Menschen und Kulturen sind vermittelt durch die literarischen Texte, die es zu verstehen und interpretieren und in eine andere Sprache zu transportieren gilt. Doch als Kulturmanagerin bringt sie in Lesungen und Workshops die Literatur auch in persönlichen Begegnungen zum Klingen und begeistert ihr Publikum für neue Perspektiven auf die Welt. „Was kann Hoffnung machen zu Zeiten, wo so viel Schlimmes passiert?“, fragt sie und antwortet: „Ich beziehe die Hoffnung aus der Schönheit, die es trotz allem noch auf der Welt gibt. Die Schönheit der Natur, aber auch die der Kunst: sei es Beethovens 9. Sinfonie oder die mexikanische Wandmalerei. Denn wahre Schönheit ist aufbegehrend und gibt Mut—auch und gerade in dunklen Zeiten. Ich, als Übersetzerin, bin privilegiert. Denn meine Arbeit besteht darin, die Schönheit der Literatur von einer Sprache in die andere über zu setzen.“
Kulturarbeit, die Schutzräume und widerständige Netzwerke schafft; Kulturarbeit als gelebte Utopie des freien Miteinanders und der Grenzüberschreitung; und Schönheit als Quelle von Kraft und Mut: das sind drei Gedanken, die uns in den kommenden Tage und Monate Hoffnung vermitteln können.
Den Preisträgerinnen möchte ich viel Kraft wünschen, ihre Hoffnungen weiter zu nähren und sie mit anderen gemeinsam umzusetzen. Herzlichen Glückwunsch Ihnen! Und wenn die Netzwerke des Goethe-Instituts und die Verleihung der Goethe-Medaille Ihre Arbeit unterstützen kann, würde mich das sehr freuen!
Und nun wünsche ich uns einen nachdenklichen, aber auch hoffnungsvollen Festakt! Unsere Preisträgerinnen sind jedenfalls Hoffnungsträgerinnen!