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„Europa. Deine Sprachen“
Die deutsche Sprache in Europa

Klaus-Dieter Lehman bei seiner Impulsrede zum Auftakt der Konferenz.
Klaus-Dieter Lehman bei seiner Impulsrede zum Auftakt der Konferenz. | Foto (Ausschnitt): © Goethe-Institut, Bernhard Ludewig

Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts, eröffnete am 8. Oktober in Berlin eine Konferenzserie des Europanetzwerks Deutsch des Goethe-Instituts zum Thema Mehrsprachigkeit.

Von Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts

Unsere Verschiedenheit und unsere Zusammengehörigkeit im gemeinsamen europäischen Kulturraum stehen in einem stets neu auszutarierenden Spannungsverhältnis. Gerade in den heutigen Zeiten, die von Migration, Globalisierung, Digitalisierung und auch von wachsendem Populismus geprägt sind, ist die europäische Verständigung auf einheitliche europäische Werte wichtiger denn je. Und Verständigung beginnt beim gegenseitigen Verstehen.

Dazu gehören selbstverständlich die Sprachen. Sprache ist mehr als ein Werkzeug zur Verständigung. Sie ist eingebettet in einen jeweiligen kulturellen Kontext, sie ist ein Kulturträger. Besonders augenfällig wird das in den Literaturen der jeweiligen Sprachen, aber auch im Zusammenhang von Denken und Sprechen.

Die deutsche Sprache ist nicht  d i e  Weltsprache – hier werden und wollen wir der englischen Sprache den Rang als lingua franca nicht streitig machen. Aber ohne Zweifel ist sie eine der bedeutendsten Kultursprachen. Ohne das Englische kommen wir als Verkehrssprache nicht aus. Sie wird aber zur weltweiten Verständigung zu allererst als Werkzeug und nicht als Kulturträger genutzt. Die Einschränkung auf eine lingua franca bedeutet immer eine kognitive Beschränkung und auch den Ausschluss von Menschen. Nur eine vielfältig genutzte und einsetzbare Sprache ist auch eine attraktive Sprache, für die eigenen Muttersprachler, aber auch für diejenigen, die eine Wahl einer Fremdsprache zu treffen haben.

In der Welt sprechen etwa 100 Millionen Menschen Deutsch als Muttersprache und noch einmal so viele als Fremdsprache. Aktuell lernen derzeit knapp 16 Millionen Menschen Deutsch. Insgesamt lässt sich feststellen, dass in den letzten fünf Jahren in den meisten Ländern ein konstantes oder steigendes Interesse an der deutschen Sprache besteht. Allein bei den fast 160 Goethe-Instituten gab es in den letzten fünf Jahren eine Steigerung von 20 Prozent bei den Kursteilnehmern und eine Steigerung von 30 Prozent bei den Prüfungen im Vergleich zum Vorjahr. Im Inland wird ein zusätzlicher Faktor der Zunahme von Deutschlernenden durch das Fachkräfte- Einwanderungsgesetz ausgelöst werden. Immer dann, wenn der fachliche und berufliche Nutzen der Sprache erkennbar ist oder wenn sich kulturelles Interesse auf bestimmte Entwicklungen fokussieren lässt, wirkt sich das auf das Interesse am Sprachen lernen aus. Hinzu kommt das Zusammenspiel von Innen und Außen durch die Migration, bei der die deutsche Sprache der Schlüssel zur Integration ist. Aber die deutsche Sprache ist kein Selbstläufer, es muss in sie investiert werden und eine aktive Sprachpolitik betrieben werden. Das gilt genauso für die anderen europäischen Sprachen.

Die Mehrsprachigkeit Europas ist ein Reichtum

Das Bildungssystem sollte die Mehrsprachigkeit viel stärker als Potenzial erkennen, nutzen und systematisch fördern. Das Goethe-Institut tritt entschieden für die Förderung eines mehrsprachigen Europas ein und verfolgt seit seiner Gründung vor bald 70 Jahren eine weltoffene Sprachenpolitik. Im Ausland setzen wir uns gemeinsam mit der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen und dem DAAD für neue Zugänge zur deutschen Sprache im Ausland ein. Neben den deutschen Auslandsschulen besteht seit 2008 mit dem Programm „Schulen – Partner für die Zukunft“ ein weltweites Erfolgsmodell. In den inzwischen sogenannten 2000 PASCH-Schulen werden deutsche Sprachabteilungen aufgebaut, Lehrer fortgebildet und die Schulen mir Lehr- und Lernmaterial ausgestattet.

Im Jahr 2002 setzte sich die EU in Barcelona ein ambitioniertes Ziel: Jeder Bürger der EU soll sich nicht nur in seiner Muttersprache, sondern auch in zwei europäischen Fremdsprachen verständigen können. Dies wurde 2019 in einem umfassenden Konzept erneut postuliert. Es ist der richtige Ansatz, aber es fehlt die Verbindlichkeit in den Schulsystemen. Derzeit besteht dieses Fremdsprachenkonzept in Europa leider nur auf dem Papier. Knapp die Hälfte aller Europäerinnen und Europäer gibt Eurostat zufolge an, dass sie nicht in der Lage ist, eine Unterhaltung in einer Zweitsprache zu führen. Nur jeder fünfte Befragte kann zusätzlich zu seiner eigenen Sprache zwei weitere Sprachen sprechen. Englisch ist die am weitesten verbreitete Fremdsprache in der EU, etwa 98 Prozent der Schüler erlernen sie. An zweiter Stelle steht Französisch mit 33 Prozent, gefolgt von Deutsch mit 23 Prozent und Spanisch mit 17 Prozent.

Ohne Sprachenvielfalt ist Integration nicht denkbar

Derzeit erleben wir aufgrund der unterschiedlichen Erfahrungen der ost- und westeuropäischen Staaten und ihrer Ungleichzeitigkeit in der Entwicklung, aber auch durch Tendenzen der Abschottung und Meinungsmanipulation aufgrund der Corona- Pandemie ein Auseinanderdriften der europäischen Staaten. Ein Zusammenhalt kann nur erreicht werden, wenn diesen unterschiedlichen Entwicklungsaspekten besser Rechnung getragen wird – im Sinn einer gemeinsamen Verantwortung für einen europäischen Kulturraum und durch eine Stärkung der Beziehungen durch eine aktive Sprachpolitik in der Förderung der Mehrsprachigkeit. Eine solche Sprachenpolitik sollte weniger ein buntes Feuerwerk vielfältiger Fördermaßnahmen sein, sondern dem übergeordneten Ziel einer engeren Union dienen. Sinnvoll ist sicher zum einen die Konzentration auf Programme zugunsten der europäischen Amtssprachen und zum anderen auf Programme zugunsten der Sprachen der unmittelbaren Nachbarschaft. Gerade in den Grenzregionen herrscht ein reger Austausch. Dort bestehen gute Chancen, Sprachkenntnisse für unmittelbare Berufs- und Lebensplanung zu nutzen. Dort werden Ansätze einer europäischen Öffentlichkeit, für die Grenzen der nationalen Medienräume keine Relevanz mehr haben, am ehesten sichtbar. Für Deutschland mit neun Nachbarstaaten wäre das eine sinnvolle Strategie. Es gibt erfolgreiche Beispiele im Saarland mit Lothringen für eine deutsch-französische Nachbarsprachenförderung, auch in Sachsen gibt es interessante Ansätze für deutsch-polnische und deutsch-tschechische Kindergärten. Aber bislang fehlt es an einer Gesamtstrategie.

Ein besonderes Förderprogramm zur Stärkung deutscher auswärtiger Kultur- und Sprachpolitik ist das Europanetzwerk Deutsch, das auch die Konferenzserie „Europa. Deine Sprachen“ ausrichtet. Es richtet sich an aktuelle und zukünftige Entscheider in Europa, insbesondere an Bedienstete in den Institutionen der EU, aber auch an Beamte aus europäischen Ministerien. Ziel ist es, die deutsche Sprache als Arbeits- und Verfahrenssprache zu stärken und Verständnis für deutsche Positionen in Europa zu fördern. In den letzten 26 Jahren – so lang besteht das Programm, gefördert vom Auswärtigen Amt – besuchten fast 3.000 Stipendiatinnen und Stipendiaten die Programme in Deutschland. Es ist eine Plattform, die auch andere Mitgliedstaaten zu vergleichbaren Programmen motivieren sollte. Der Spracherwerb für diese Zielgruppen bleibt weiterhin wichtig, trotz des immer stärker werdenden Einsatzes von Künstlicher Intelligenz und maschinellen Übersetzungsprogrammen.

Mit Mehrsprachigkeit können wir uns in Europa nicht nur verstehen, sondern auch verständigen. Mehrsprachigkeit fördert die Mobilität und die gegenseitige Kenntnis. Ohne Sprachenvielfalt ist Integration nicht denkbar. Und nicht zuletzt: Nur mit dem ernst gemeinten Prinzip der Mehrsprachigkeit hat Deutsch als Fremdsprache in Europa eine wirkliche Zukunft.  

Das Goethe-Institut nutzt die EU-Ratspräsidentschaft gern zu einem Bekenntnis für die kreative Vielfalt Europas in zahlreichen europäischen Projekten, die Sprachenpolitik gehört dazu.

Blaise Pascal hat zu Vielfalt und Gemeinsamkeit den Satz geprägt: „Vielfalt, die sich nicht zur Einheit ordnet, ist Verwirrung. Einheit, die sich nicht zur Vielfalt gliedert, ist Tyrannei.“
 
(Gekürzte Fassung) 

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