„Contrapunkt – Dialog der Kulturen“
Fernab der Klischees
Woran denken Sie bei „marokkanischer Musik“? Und wie zeitgemäß sind solche Zuordnungen? Darüber sprach „Goethe aktuell“ mit Mohcine Ramdan, der mit seinem Ensemble „JISR – Brücke“ in „Contrapunkt – Dialog der Kulturen“ von BR-KLASSIK und dem Goethe-Institut zu hören ist.
Was erwartet das Publikum im „Contrapunkt“ zum „Schmelztiegel Marokko“?
Mohcine Ramdan: Das Publikum erwartet auf jeden Fall ein denkwürdiges Konzert im Zeichen der marokkanischen Musik. Wir sind ein internationales Ensemble – ich bin aus Marokko, meine Bandmitglieder kommen aus aller Welt.
Mohcine Ramdan
| Photo (detail): © Fiona Schweizer
Marokko kennt unterschiedliche Musikkulturen, die sich sehr stark voneinander unterscheiden. Das liegt zum einen an der geographischen Lage Marokkos und an seiner historischen Entwicklung: die Einflüsse aus dem Orient, aus Afrika, aus Subsahara und natürlich auch aus Europa. Arabische Musik, Berber-Musik aus dem Atlas, Gnawa-Musik und andalusische Musik von den jüdisch-muslimischen Andalusier*innen, die im Mittelalter vertrieben wurden und einen sicheren Zufluchtsort in Nordafrika gefunden haben. Das macht Marokko zu einer hybriden Musikkultur, die schwer in einem Konzert abzubilden ist. Trotzdem haben wir versucht, dieser Vielfalt in unserem Konzert gerecht zu werden. Mit unserem internationalen Ensemble klingt alles ein bisschen anders als das, was man sich klischeehaft unter marokkanischer Musik vorstellt.
Welches Klischee über die marokkanische Musik ärgert Sie am meisten?
Mohcine Ramdan: Marokko wird als arabisches Land kategorisiert, und da denken eben viele: „Das ist ja dann arabische Musik.“ Aber das stimmt überhaupt nicht. Marokko hat sich ganz anders entwickelt, wie ich ja bereits beschrieben habe. Das Ärgerliche ist, dass viele Leute denken, die Musik sei immer traditionell und folkloristisch geprägt.
Sie leiten das Ensemble „JISR – Brücke“. Was ist das Besondere daran?
Mohcine Ramdan: Die Musik, die wir normalerweise auf unseren Konzerten spielen, ist nicht einzuordnen. Und das ist auch die Besonderheit dieser Musik. Das Ensemble vereint eine migrationsbedingte musikalische Vielfalt, die in Deutschland vorherrscht. Als Musiker*innen sind wir verwurzelt in verschiedenen Musiktraditionen der Welt und wir versuchen, das in ein musikalisches Mosaik zu transformieren.
Können Sie uns mehr über die Musik der Gnawa erzählen?
Mohcine Ramdan: Diese marokkanische Musikrichtung wird als Kulturerbe von der UNESCO anerkannt. Es ist die Musik der Schwarz-Afrikaner*innen, die in verschiedenen Wellen als Sklav*innen nach Marokko kamen und in der Diaspora gelebt haben. Ihren Glauben und ihre kulturellen Hintergründe brachten sie mit. Das verschmolz dann mit dem, was in Marokko vorherrschte, und es entstand daraus diese hybride Musikkultur. Im Grunde genommen ähnlich wie bei der Entstehung von Blues oder Jazz in Amerika, nur mit einer starken mystischen Komponente. Die Musik dient auch als eine Art Seelentherapie für das kollektive Trauma der damaligen Sklav*innen.
Das Interview führte Carla Jamatte, Goethe-Institut e.V.