„International Inventories Programme“
Vorteile für beide Seiten
„Invisible Inventories“, eine vom Goethe-Institut koordinierte Ausstellungsreihe, basiert auf einem Forschungsprojekt zur Erfassung kenianischer Kulturgüter in Museen der westlichen Welt. George Juma Ondeng’ vom kenianischen Nationalmuseum spricht mit „Goethe aktuell“ über fundierte Provenienzforschung und die emotionsgeladene Restitutionsdebatte.
Das Forschungsprojekt „International Inventories Programme“ erfasst den weltweiten Bestand kenianischer Kulturobjekte, die während der Kolonialzeit in Museen der westlichen Welt verlagert wurden. Warum ist es notwendig, diese Objekte zu katalogisieren?
George Juma Ondeng’: Die Menschen in Kenia haben die meisten dieser Objekte noch nie zu Gesicht bekommen. Mit dem „International Inventories Programme“ (IIP) sollen die Artefakte allen Kenianer*innen zugänglich gemacht werden.
George Juma Ondeng‘ ist Experte für kulturelles Erbe und derzeit bei den National Museums of Kenya als Koordinator der öffentlichen Programme tätig.
| Foto (Ausschnitt): © George Juma Ondeng‘
Zu diesem Zweck arbeitet das IIP mit Kulturerbe-Expert*innen aus westlichen Museen und anderen Kultureinrichtungen zusammen, in denen sich Sammlungen aus Kenia befinden. Es muss betont werden, dass nicht jedes der Objekte in dieser Datenbank, aber doch viele von ihnen unser Land auf illegalem Wege verließen. Und zu Ihrer Frage: Diese Datenbank ist von unschätzbarem Wert. Kulturobjekte gehören zu den wichtigsten Gütern einer jeden Gemeinschaft. Als kulturgeschichtliche Zeugnisse ergänzen sie das immaterielle Kulturerbe. Mit diesem Katalog erhalten unsere Landsleute eine Übersicht über das kulturelle Schaffen ihrer Ahnen. Außerdem müssen wir anerkennen, dass bei der Entwendung einiger dieser Objekte die Menschenrechte ihrer ehemaligen Eigentümer*innen verletzt wurden. Der Katalog soll daher kenianischen Wissenschaftler*innen und ihren westlichen Kolleg*innen als Grundlage für eine fundierte Provenienzforschung dienen, um eine erfolgreiche Rückführung widerrechtlich erworbener Objekte in die Herkunftsgesellschaften zu ermöglichen.
In welcher Weise haben Sie und andere Wissenschaftler*innen aus Kenia von der Teilnahme an diesem Projekt profitiert?
George Juma Ondeng’: Aus diesem Projekt haben sich respektvolle und für beide Seiten einträgliche Partnerschaften zwischen kenianischen Wissenschaftler*innen und Fachleuten aus deutschen sowie aus Museen in anderen Ländern Europas und Nordamerikas entwickelt. Traditionell arbeiteten kenianische Museumsfachleute – bedingt durch das koloniale Erbe und Sprachbarrieren – vor allem mit Kolleg*innen aus britischen und US-amerikanischen Museen zusammen. Über dieses Projekt konnten wir aus meiner Sicht neue und zuverlässige Partner aus Deutschland gewinnen. Mit den beiden an diesem Projekt beteiligten deutschen Museen – dem Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln und dem Weltkulturen Museum in Frankfurt am Main – verbinden uns inzwischen enge Partnerschaften und wir hoffen, dass wir dieses Engagement auch nach Projektabschluss fortsetzen können.
Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach die gemeinsame Forschung bei der Förderung des interkulturellen Dialogs?
George Juma Ondeng’: Meines Erachtens bringt die Forschungszusammenarbeit Vorteile für beide Seiten. Wir verfügen heute über Informationen, die für kenianische Wissenschaftler*innen bisher nicht zugänglich waren. Dazu gehören unter anderem Dokumente zur Erwerbsgeschichte von Kulturgütern und die Originalkorrespondenz zwischen Museen mit Sammlungen kenianischer Artefakte und Kunsthändlern oder Schenkern, die diese Objekte verkauft oder bereitgestellt haben. Dank unserer Zusammenarbeit konnten wir diese Dokumente in für uns verständliche Sprachen übersetzen lassen, was unsere Arbeit deutlich erleichtert hat. Gleichzeitig konnten sich unsere deutschen Kolleg*innen, die bisher nur wenig über die kulturelle Bedeutung der kenianischen Sammlungen in ihren Museen wussten, ein besseres Bild von den Objekten sowie von ihrer Bedeutung in den Ursprungsgemeinschaften, ihrer Entstehung und ihrer Verwendung machen.
Der Diskurs über afrikanische Kulturgüter in westlichen Museen ist ausgesprochen emotionsgeladen. Welchen Ansatz würden Sie persönlich im Umgang mit der Restitutionsdebatte vorschlagen?
George Juma Ondeng’: Die Restitution afrikanischer Kulturgüter wurde größtenteils in die Verantwortung der Gemeinschaften gelegt, die dieser Objekte beraubt wurden. Diese Entwicklung steht in einem deutlichen Kontrast zum eigentlichen Ausgangspunkt der Debatte. Zahlreiche afrikanische Fachleute weisen darauf hin, dass zur Zeit der politischen Unabhängigkeit der meisten afrikanischen Staaten in den 1960er Jahren die Restitution von Kulturgütern Teil der Unabhängigkeitsverhandlungen war. Unglücklicherweise gaben die unabhängigen Staaten mit der neu gewonnenen Freiheit den Kampf um eine Restitution ihrer Kulturgüter auf und wandten sich anderen Interessen zu. Meines Erachtens ist es erstens ohne Zweifel an der Zeit, dass afrikanische Regierungen eine aktive Rolle in der Restitutionsdebatte übernehmen und dabei eng mit europäischen Regierungen zusammenarbeiten, um Kulturgüter mit einer nachweislich problematischen Erwerbsgeschichte zurückzuführen. Zweitens müssen wir das Rad nicht neu erfinden, denn Europa hat durch den Umgang mit Beutekunst aus der Zeit des Nationalsozialismus bereits einen Präzedenzfall vorzuweisen. Dieselben Mechanismen sollten wir auch in diesem Fall bei der Rückführung von Kulturgütern in ihre Herkunftsgesellschaften anwenden. Drittens ist es angesichts der Tatsache, dass beim Erwerb einiger dieser Objekte die Menschenrechte auf eklatante Weise verletzt wurden, dringend geboten, auch ihre Rückführung als Menschenrechtsfrage zu betrachten, damit die Welt im Umgang mit den Gräueltaten des westlichen Imperialismus einen weiteren Schritt nach vorn machen kann. Die Afrikanische Union und die UNO sollten sich an vorderster Front um eine bedingungslose Rückführung von Kulturgütern auf Grundlage der geltenden UNESCO-Übereinkommen bemühen.
Das Interview führte Eliphas Nyamogo