Eröffnung des Festivals „Studio Bosporus“
„Eine einzigartige Möglichkeit der Auseinandersetzung“
Die Kulturakademie Tarabya will mit dem Festival „Studio Bosporus“ den deutsch-türkischen Dialog vertiefen. Das Künstlerinnen-Duo Mona Mahall und Asli Serbest hat dafür die Medieninstallation „Digital Twin“ entwickelt.
Von Annette Walter
Was verbinden Sie mit dem Festival „Studio Bosporus“ und der Kunstakademie Tarabya?
Asli Serbest: Für uns als Künstlerinnen ist die Kunstakademie Tarabya eine einzigartige Möglichkeit und Aufforderung der Auseinandersetzung, indem wir an diesem Ort zusammenkommen, leben und arbeiten. Unsere kollektiven Projekte bewegen sich zwischen Kunst und Architektur und untersuchen, wie sich Praktiken, Institutionen, Geschichte und Gegenwart in der (gebauten) Umwelt materialisieren. Als Botschaftsgelände ist Tarabya unter dieser Perspektive ein sehr interessanter Ort; an ihm überlagern sich Spuren politischer Beziehungen und Konflikte, eklektizistische Architektur und Gartenkunst aus kolonialer Zeit mit den heutigen Repräsentations- und Sicherheitsanforderungen an ein Botschaftsgelände. Darüber haben wir für „Studio Bosporus“ gearbeitet. Es hat uns konkret ermöglicht, den Austausch mit Künstler*innen, Aktivist*innen und Kurator*innen aus der Türkei im „Digital Twin“ zu realisieren.
Der „Digital Twin“ ist ein von Ihnen beiden während der Corona-Pandemie entwickeltes interaktives, online zugängliches Modell der Botschaftsresidenz in Tarabya, das nun im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien gezeigt wird. Was genau hat es damit auf sich?
Mona Mahall: Wir haben einen digitalen Zwilling, ein 3D-Modell entwickelt, in das wir Beobachtungen vor Ort einfließen lassen. Die Besucher*innen können mit einem digitalen Avatar hineingehen wie in einem Computerspiel und sich so durch die Umgebung bewegen, die wir gebaut haben. Es ist kein fotorealistisches Abbild von Tarabya, sondern ein Doppelgänger, der widerspiegelt und sogar unheimlich erscheinen kann. Wir möchten das Botschaftsgelände am Bosporus und die institutionellen Bedingungen im Verhältnis zur aktuellen Stadt befragen. Zum Botschaftsgelände haben ja nur wenige Menschen Zugang.
Asli Serbest: Mit dem „Digital Twin“ möchten wir auch auf Tarabyas Potential als eine offene Plattform verweisen, die eng mit der Stadt interagiert. Die Pandemie hat die bestehende Distanz, die räumlich besonders durch die umlaufende Mauer zum Ausdruck kommt, nochmals verstärkt und unser gewohntes Verhältnis zum Raum und denen, die sich darin bewegen, insgesamt verändert. Wir mussten alle in den digitalen Raum ausweichen und wollten untersuchen, welche Szenarien dort möglich sind.
Mona Mahall: Der digitale Raum bringt Möglichkeiten, aber auch Limitationen mit sich. Wir nehmen uns zweidimensional durch den Bildschirm wahr und kennen viele nur noch als digitalen Zwilling.
Mona Mahall: Genau. Wir haben Künstler*innen, Aktivist*innen und Kurator*innen, die in der Türkei leben und eben nicht in Deutschland, wie für Kulturakademie Tarabya-Stipendien vorausgesetzt, zu Beiträgen für dieses Modell eingeladen. Es stellt also eine Umkehrung oder Spiegelung des realen Tarabyas dar und ergänzt die Ausstellung im Bethanien vor allem mit Positionen, die aus der Stadt Istanbul kommen.
Asli Serbest: Von bisher neun Beiträgen behandeln etwa Onur Akgül und Fulya Erdemci
die ökologische Zerstörung, die durch die unaufhörliche Bautätigkeit in der ganzen Stadt verursacht wird und die Existenz der Stadt, ihre saubere Luft und ihr Wasser gefährdet. Die Architektin und Aktivistin Merve Bedir untersucht wiederum in ihrem Projekt die koloniale deutsch-türkische Vergangenheit anhand der Bagdadbahn. Daneben gibt es Projekte von zahlreichen weiteren Beteiligten: Halil Altindere mit dem Architekten Deyvi Papo, Banu Cennetoğlu, Kevser Güler / Duygu Doğan, Manaf Halbouni und Yasemin Özcan.
Wie nehmen Sie als Kreativschaffende das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei wahr?
Asli Serbest: Unser persönliches Verhältnis als deutsch-türkisches Duo ist eng, wir sehen uns beide in Distanz zu nationalstaatlich begründeten Identitäten. Aus unserer kritischen feministischen Perspektive heraus sind wir besorgt und wütend angesichts gegenwärtiger repressiver politischer und sozialer Prozesse in beiden Ländern. Damit meine ich etwa den türkischen Austritt aus der Istanbul-Konvention oder auch die Forderung nach einem Verbot der Prostitution durch die Frauen-Union. Weil wir momentan in Deutschland leben und an deutschen Hochschulen lehren, ist es für uns sehr wichtig, im Kontext akademischer Institutionen unser Verhältnis zu Personen mit Migrationshintergrund zu thematisieren. Wir beobachten Diskriminierungen aufgrund von Namen, Erscheinung und Sprache. Ich spreche selbst Deutsch nicht als Muttersprache und fühle mich dadurch oft eingeschüchtert. Dieses Verhältnis wollen wir ändern.