Carte Blanche Middle East
„Vielleicht kämpfen alle mehr mit sich selbst“
Gibt es eine LGBTI-Szene in Jordanien? Und sind die Tschechen gleichgeschlechtlicher Liebe gegenüber wirklich so liberal eingestellt, wie es auf den ersten Blick scheint? Im Goethe-Institut Prag wurde über „Amman Same Sex Love“ diskutiert. Die Ergebnisse überraschen.
Es wurde viel gelacht an diesem Abend im Goethe-Institut Prag. Obwohl die Themen schwierig waren: Homosexualität in einem muslimisch geprägten Land, Familienkonflikte, das Versteckspiel im Alltag. Unter dem Titel „Amman Same Sex Love“ diskutierten Khalid Abdel-Hadi, Chefredakteur des einzigen LGBTI-Magazins im Nahen Osten, Hana Kulhánková, Direktorin des Menschenrechtsfilmfestivals Jeden Svět und Mohammad, der seinen Nachnamen nicht nennen möchte – ein Mitglied der LGBTI-Szene in Amman. Moderiert wurde die Veranstaltung von Lukáš Houdek, der mit der Initiative Hate Free gegen Hass und Rassismus in Tschechien kämpft.
Die Zusammenkunft dieser Runde in Prag ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Tschechien gilt zwar als sehr tolerant gegenüber sexuellen Minderheiten, Vorbehalte gegenüber Muslimen sind allerdings weit verbreitet. Islamgegner konnten hier im vergangenen Jahr mehrfach hunderte Teilnehmende für Demonstrationen gegen eine vermeintlich drohende Islamisierung mobilisieren. „Es wird viel über sie, aber nie mit ihnen gesprochen“, sagt Houdek.
Der tschechische Aktivist Lukáš Houdek (links) und Khalid Abdel-Hadi, Chefredakteur des einzigen LGBTI-Magazins im Nahen Osten.
| Foto: František Šeda/Goethe-Institut
„Das Problem ist nicht Die Religion, sondern Die Tradition“
Für Mohammad und Khalid Abdel-Hadi ist nicht der Glaube schuld daran, dass das Leben für viele Homosexuelle in ihrem Land schwierig ist. Abdel-Hadi ist LGBTI-Aktivist – und praktizierender Muslim. „Ich kenne viele Menschen aus der LGBTI-Community, die gläubige Muslime oder auch Christen sind. Aber das Problem ist nicht die Religion, sondern die Tradition.“ Mohammad – ob das sein richtiger Name ist, bleibt unklar – stimmt ihm zu. Der junge Architekt hat sich bislang nicht zu seiner Homosexualität bekannt. Seine Eltern, bei denen er lebt, wissen zwar Bescheid, seine Brüder dürfen aber auf keinen Fall davon erfahren. „Das wäre gefährlich für mich.“Mohammad ist einer der schwulen Jordanier, die Lukáš Houdek in Amman kennenlernte, als er dort im Rahmen des Projekts Carte Blanche Middle East zwei Wochen lang in die LGBTI-Szene eintauchte. Bei dem Projekt gestalten drei Goethe-Institute aus Nordafrika und dem Nahen Osten gemeinsam mit Goethe-Instituten aus Mittel- und Osteuropa Kulturprogramme. So kommt Beirut nach Bratislava, Kairo nach Vilnius – und so kamen auch Khalid Abdel-Hadi und Mohammad nach Prag. Mohammads Familie weiß davon nichts. Was er zu Hause erzählt habe? Er zuckt mit den Schultern und grinst. „Für die bin ich bei einer Fachkonferenz mit anderen Architekten.“
Geschichten über schwule Scheichs und „Mipsterz“
„Homosexualität ist in Jordanien zwar nicht strafbar. In unserer Gesellschaft sind die Gesetze der Familie aber sowieso mächtiger“, sagt Abdel-Hadi, der seit neun Jahren in seinem Online-Magazin My.Kali gegen das soziale Stigma anschreibt. Für das Cover seines Magazins lassen sich inzwischen Stars wie die Sängerin Yasmine Hamdan ablichten. Auf den ersten Blick unterscheiden sich die Titelbilder kaum von Lifestyle-Magazinen für Frauen. Knallige Farben, Hochglanzoptik, dazu Schlagzeilen wie „Was wir beim Online-Dating bisher verpasst haben“. Dahinter steckt allerdings ein Konzept, das Abdel-Hadi als klar aktivistisch begreift. „Wir reproduzieren Stereotype und brechen dann mit ihnen“, sagt er über seine Arbeit. Und, dass er die Gesellschaft aufklären wolle.Hana Kulhánková, Direktorin des Menschenrechtsfilmfestivals „Jeden Svět“. | Foto: František Šeda/Goethe-Institut Seit Kurzem erscheint My.Kali auch auf Arabisch – dass Geschichten über schwule Scheichs, „Mipsterz“ („Muslim Hipsters“) und einschlägige Filmtipps bislang nur auf Englisch veröffentlicht wurden, war für Abdel-Hadi „auch eine Art Schutzschild“. Und tatsächlich erlebte My.Kali nach den arabischen Veröffentlichungen den ersten Rückschlag. Die Internetseite wurde in Jordanien blockiert. Abdel-Hadi lässt sich davon aber nicht entmutigen: Über eine internationale Online-Plattform publiziert er weiter.
Für gesellschaftliche Akzeptanz kämpfen
Hana Kulhánková findet, dass es trotz weitgehender Toleranz auch in Tschechien noch einiges zu tun gibt, bis die Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen erreicht ist. „Es gibt zwar die eingetragene Partnerschaft, das ist aber nicht dasselbe wie eine Hochzeit.“ Auch im Adoptionsrecht hätten LGBTI-Personen nicht dieselben Rechte wie heterosexuelle Singles oder Paare. Es fehlten auch öffentliche Bekenntnisse. „Politiker und andere öffentliche Figuren outen sich bei uns kaum“, sagt Kulhánková. Dabei sei die sexuelle Orientierung bei vielen ein offenes Geheimnis. „Wir sollten mal eine Liste veröffentlichen“, meint sie lachend.Besucherinnen und Besucher der Veranstaltung „Amman Same Sex Love“ im Goethe-Institut in Prag. | Foto: František Šeda/Goethe-Institut Warum sich Menschen in Tschechien heute noch für ein Doppelleben entscheiden? Eine Antwort hat Kulhánková darauf nicht. „Es gibt keine große LGBTI-Community, die für eine wirkliche gesellschaftliche Akzeptanz kämpft“, versucht sie sich an einer Erklärung. Vielleicht kämpfe jede und jeder mehr mit sich selbst.
Von Katharina Wiegmann
Katharina Wiegmann ist Redakteurin der deutschsprachigen Prager Zeitung.