Cinemanya
Filme für geflüchtete Kinder und Jugendliche
Seit 2015 sind die CINEMANYA-Filmkoffer des Goethe-Instituts für die medienpädagogische Arbeit mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen deutschlandweit im Einsatz. Über 10.000 Kinder und Jugendliche wurden damit allein im Jahr 2016 erreicht. Der Besuch einer Filmvorführung in der Erstaufnahmeeinrichtung des Deutschen Roten Kreuzes in Hamburg gibt Einblick in die Arbeit der Ehrenamtlichen.
Als das Licht ausgeht und der Film beginnt, wird es plötzlich still im Raum. Eben haben hier noch rund 20 Kinder aus mehreren Ländern getobt, nun sitzen sie ganz ruhig im Halbkreis um eine kleine Leinwand. Die Vorführung der Filme in der Erstaufnahmeeinrichtung des Kreisverbandes Hamburg-Harburg des Deutschen Roten Kreuzes im Stadtteil Stellingen ist für die Kinder und Jugendlichen eine willkommene Abwechslung in einem Alltag, der von Warten und Unsicherheit geprägt ist.
CINEMANYA in Hamburg
„Wir hatten auch schon Veranstaltungen in deutlich größeren Sälen“, erzählt Reiner Jodorf. Gemeinsam mit seiner Frau Iris Alimci ist der 63-jährige Sozialpädagoge Pate für den CINEMANYA-Filmkoffer. 40 davon sind deutschlandweit im Umlauf und sollen den Geflüchteten beim Ankommen helfen. Kofferpatinnen und -paten machen Kindern und Jugendlichen, bei denen aufgrund ihrer Kriegs- und Fluchterfahrungen schon die Dunkelheit einer Filmvorführung Angst auslösen kann, eine Vielfalt an Filmen zugänglich. Aus diesem Grunde werden die Patinnen und Paten durch Seminare, in denen traumapädagogische Themen im Zentrum stehen, auf ihre ehrenamtliche Arbeit vorbereitet.Bestückt sind die Koffer mit 20 deutschsprachigen Langfilmen, die arabisch, persisch (Dari) und deutsch untertitelt oder mit Voice-Over versehen sind. Darunter finden sich Publikumserfolge wie „Ostwind“ (2013) und „Hände weg von Mississippi“ (2007) oder die Schulkomödie „Fack ju Göhte“ (2013). Für die Kleineren gibt es zusätzlich zwei nonverbale Kurzfilmprogramme.
Auch bei der Filmvorführung in Hamburg werden die Kurzfilme eingesetzt. Eine der Besucherinnen ist die 14-jährige Palästinenserin Yara, die ihre syrische Freundin Yamama begleitet. Beide hoffen, mit ihren Familien bald aus den schmucklosen Containern, in denen sie seit Monaten untergebracht sind, in eigene Wohnungen umzuziehen. An Deutschland schätzt Yara die Freiheiten, die sie als Mädchen in Saudi-Arabien, wo sie zuvor lebte, nicht hatte: „Ich muss mich nicht mehr verschleiern und kann zum Beispiel auch in der Öffentlichkeit Basketball spielen.“
Reiner Jodorf und Iris Alimci haben heute einen Helfer mitgebracht: den 17-jährigen Salman. Allein nach Deutschland gekommen, lebt der Somalier inzwischen in einer betreuten Jugend-WG und hat in der Schule gelernt, Kurzfilme zu produzieren. Er unterstützt das Ehepaar öfter. Die Filmkoffer-Vorführungen laufen sehr unterschiedlich ab. Nicht zuletzt ist dies abhängig davon, wo sie stattfinden und wer kommt. Die Patinnen und Paten müssen sich zunächst Projektpartner suchen; neben Unterkünften für Geflüchtete können das auch Schulen, Jugendzentren sowie soziale oder kulturelle Einrichtungen sein. „Man muss Kontakte knüpfen, Netzwerke pflegen und die Technik organisieren, sofern es sie vor Ort nicht gibt“, sagt Reiner Jodorf.
Jede CINEMANYA-Vorführung ist besonders
Flexibilität sei wichtig, sagt Filmpatin Annette Linneweber. Die Künstlerin und Journalistin aus Saarbrücken ist seit drei Jahren in der Flüchtlingshilfe tätig. Jedes Mal sind die Umstände bei den Veranstaltungen anders, berichtet sie: Mal werden die Altersbeschränkungen von den Familien nicht wahrgenommen, mal gibt es aufgeregte Debatten um die Inhalte. Im Spielfilm „Goethe!“ von Philipp Stölzl kommt beispielsweise eine längere Kussszene vor. Einige wollten das Kino verlassen, als das vorab angekündigt wurde. Linneweber überredete sie zu bleiben: „Im Nachhinein hat sich eine Familie bei mir bedankt.“Einen integrativen Ansatz verfolgt die LiteraturInitiatve (LIN) in Berlin: Sie organisiert zusammen mit der Valerian Arsène Verny Stiftung im Palais Mendelssohn in Grunewald Filmvorführungen für 200 Zuschauer, zu denen nicht nur Kinder aus Willkommensklassen eingeladen sind, sondern auch Schüler aus Regelklassen. Weil die Sprachauswahl bei Kindern aus bis zu acht verschiedenen Herkunftsländern schwierig ist, werden die Filme meistens mit deutschen Untertiteln gezeigt. „Es geht ja nicht zuletzt darum, dass die geflüchteten Kinder über die Filme Deutsch lernen“, so LIN-Geschäftsführerin Birgit Murke.
Um Filmvorführungen regelmäßig und an unterschiedlichen Orten zu veranstalten, rät Murke zu Kooperationen mit Schulen und bemüht sich darum, dass kleine Berliner Programmkinos ihre Säle einmal im Monat für CINEMANYA-Vormittagsvorführungen öffnen. Den Anfang machte Ende März das engagierte Zehlendorfer Bali-Kino. Viele weitere folgen hoffentlich bald.
Oft wird hinterher das Thema des Films spielerisch aufgearbeitet | Foto: Tobias Geisler