Writer-in-Residence für das Goethe-Institut Dänemark
Literaturstadt Reykjavik – von innen betrachtet
In Zusammenarbeit mit der UNESCO-Literaturstadt Reykjavik bietet das Goethe-Institut Dänemark deutschen Autorinnen und Autoren die Möglichkeit, zwei Monate in der isländischen Hauptstadt zu verbringen, zu schreiben und zu recherchieren. Auf dem Blog „Literaturstadt Reykjavik – von innen betrachtet“ schreiben die Writers-in-Residence über ihre Erfahrungen, Erlebnisse und Eindrücke in Island. Für Goethe aktuell hat Residentin Adriana Altaras exklusiv einen Blogbeitrag verfasst.
Ich war noch nie ein „Writer-in-Residence“, hatte es mir aber immer gewünscht. Einmal war ich für vier Wochen im Künstlerhaus Lukas, in Ahrenshoop an der Ostsee, was aber nicht wirklich als Ausland bezeichnet werden kann. Aber schon in diesen vier Wochen damals war ich, was das Schreiben anging, produktiver als in Berlin in einem halben Jahr.
Nun also Island!
Die Vorfreude, Aufregung, die Pläne und Ängste groß. Reiseführer, Wärmewäsche eingepackt und Geschenke natürlich, man will ja nicht mit leeren Händen dastehen. Es ist Frühling, als ich in Berlin losfahre, und Winter, als ich in Reykjavik ankomme. Bitter, aber hier ist Geduld gefragt. Generell gibt es plötzlich viel mehr Zeit. Innerhalb weniger Stunden wird mir klar: Hier wirst du entschleunigt, auf dich selbst zurück geworfen und hast keine Freunde im Handgepäck. Aber war es nicht genau das, was du wolltest? Ja und nein ...Was ist überhaupt die richtige Milch? Die hellblaue? Die grüne? Oder doch die gelbe? Wo gibt es Espresso? Und wer wird jemals mit mir ein Wort wechseln? Nirgends ein Baum, wohin ich auch jogge.
Sechs Wochen sind entsetzlich lang, wie kam ich nur auf die Idee, ans Ende der Welt zu fahren, mein Italien ist doch so schön. Die ersten Tage vergehen zwischen Organisation und Staunen. Die Wohnung ist wunderschön. Das Schreiben funktioniert. Die Gedanken lösen sich von den alten Mustern.
Muss ich schreiben, solange es hell ist?
Bin ich eigentlich ein Tourist oder doch ein bisschen Einheimischer? Ich besorge mir eine Dauerkarte für das Schwimmbad und einen Bibliotheksausweis.Die Knospen warten auf den Frühling, ich auch. Bloß kein Heimweh bekommen! Weiterschreiben! Der deutsche Botschafter lädt mich zum Essen ein, ich werde sehr fürsorglich betreut. Das tut gut. Die Gattin des Botschafters ist ein Kommunikationstalent, ich bekomme Adressen über Adressen.
Schreibe einen Blog, eine zwar etwas einseitige Form des Gesprächs, aber immerhin ein Ort, die Erlebnisse zu sortieren.
Das Land und die Landschaft beginnen zu wirken.
Ob heiße Quellen, brodelnde Geysire und Vulkane einen grundlegend verändern können? Ob die neuen Textstellen von den Hot Pots beeinflusst sind? Wahrscheinlich. Ein kleines Erdbeben weckt mich, willkommen auf Island! Ich reise herum. Sehe Gletscherseen, Seehunde und kochende Berge. Und immer und immer wieder schwarze Erde. Bin begeistert von dieser schroffen, bizarren Gegend. Sehe Filme, lese Bücher von und über Isländer. Es ist noch nicht so lange her, da waren sie ein kleines, bitter armes Volk, bekamen kaum Besuch von Fremden. Von Juden schon gar nicht ... Vorsichtig inspizieren sie mich. Und ich sie.Die Ruhe Reykjaviks lädt zum Schreiben ein | Foto: Ariana Altaras Nach drei Wochen ist Halbzeit, ich kenne inzwischen ein paar coole Isländer. Wir gehen gelegentlich Kaffee oder Bier trinken und lachen viel. So, so, unser Humor ist sich ähnlicher als unsere Landschaft. Von den Temperaturen ganz zu schweigen.
Ich frage sie Löcher in den Bauch, wir gehen ins Kino und ins Theater. Sie laden mich zu sich ein, sie lieben meine Geschenke, ich ihr Essen. Gleichzeitig beginne ich, die Zeit und die Ruhe für das Arbeiten zu genießen. Wie soll das bloß wieder im hektischen Berlin werden? Denke ich zum ersten Mal und sehe, dass die Knospen angefangen haben aufzugehen. Donnerwetter, es wird Frühling auf Island! Und ich habe nur noch drei Wochen ...