Forum on European Culture
Eine Kultur, die Europa verbindet
Lars Eidinger beim Forum on European Culture | Foto: Lotte Dale
Die kulturelle und politische Rolle Deutschlands in Europa stand im Mittelpunkt einer in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Niederlande ausgerichteten Diskussion in Amsterdam mit dem Titel „Europa: Wir schaffen das“. Zu Wort kamen die Anwältin und muslimische Feministin Seyran Ates, der Schriftsteller Simon Strauß, der Schauspieler Lars Eidinger und der belgische Historiker und Kurator Chris Dercon. Es kam zu einer äußerst kontrovers geführten Debatte.
Nicht die Politik, sondern die Kultur muss Europa verbinden
Fragt man Seyran Ates nach ihrer Version für Europa, dann ist der erste Begriff, der ihr einfällt, Frieden. „Das ist es, was wir in Europa wollen." Sie ist überzeugt davon, dass Europa sich selbst retten kann: Bei ökonomischen Problemen, der Flüchtlingskrise und dem Brexit müssten etwa Frankreich und Deutschland zusammenarbeiten. Dabei traut sie jedoch dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron mehr zu als der deutschen Kanzlerin Angela Merkel.Seyran Ates spricht von ihrer Version für Europa | Foto: Lotte Dale Strauß stimmt ihr in diesem Punkt zu: „Macron ist das beste Vorbild für neue europäische Narrative. Er ist nicht so technisch wie Merkel.“ Vor Beginn der Paneldiskussion hatte Strauß noch ein eindrückliches Plädoyer für Kultur als Lösungsansatz der Probleme in Europa gehalten. Nicht die Politik, sondern die Kultur müsse Europa verbinden, schlug er dem Amsterdamer Publikum vor. In seinem Plädoyer griff er auf den 1932 erschienenen Text „Die moralische Entgiftung Europas“ des österreichischen Schriftstellers Stefan Zweig zurück, den der Schauspieler Lars Eidinger vortrug.
„Ich werde niemals stolz sein, Deutscher zu sein.“
Ates und Dercon sehen die Rolle der Kultur eher skeptisch. Die Menschen kämen nicht nach Deutschland für die Kultur oder für das Theater, sondern wegen der ökonomischen Stärke des Landes. Mitten in diesem Argument klettert Eidinger auf die Bühne. Obwohl er nicht Teil des Panels ist und an diesem Abend nur Texte vortragen soll, empfindet er es als notwendig, sich hinter Strauß zu stellen und von seinen eigenen Erfahrungen als Schauspieler zu berichten.Vor 20 Jahren war Eidinger mit seinem damaligen Ensemble in Frankreich unterwegs und es sei unmöglich gewesen, mit den Franzosen in Kontakt zu kommen, „weil sie dachten, dass alle Deutschen Nazis wären. Ich werde niemals stolz sein, Deutscher zu sein, und ich hoffe, dass keine einzige Generation nach uns Stolz empfinden wird, denn was die Deutschen verbrochen haben, ist unverzeihbar.“ Danach spricht er die aktuelle Debatte über die deutsche Nationalhymne an und ob Fußballer sie vor Spielen singen sollten: „Wenn es nach mir ginge, sollte zwei Minuten Stille herrschen! Ich brauche keine Hymne.“
Lars Eidinger schaltet sich aus dem Publikum ein | Foto: Lotte Dale
„Kultur berührt Menschen, auch ohne Stempel.“
Daran schließt Ates direkt an. „Was möchtest du dann mit deinem Land machen, wenn du verleugnest, dass du deutsch bist?“ fragt sie Eidinger. „Mit der Vergangenheit umgehen“, antwortet er, auf dem Bühnenrand sitzend. „Die Brücke, die ich gefunden habe, ist Kultur.“ Die Tatsache, dass er sich mittlerweile in Schweden, Frankreich oder Großbritannien akzeptiert fühlt, sei der Kultur zu verdanken, denn „Menschen kommen durch Kultur miteinander ins Gespräch.“„Aber über welche Kultur sprichst du?“, fragt Ates eindringlich. „Deutsche Kultur?“ Sie selbst sei deutsch und türkisch und kurdisch und Feministin und habe überhaupt kein Problem damit, zu sagen, dass sie stolz darauf ist. „Die Frage ist: Hat Kultur eine Sprache?“, reagiert Strauß und fügt hinzu: „Kultur berührt Menschen, auch ohne Stempel.“ Daraufhin seufzt Ates. Stefan Zweig nahm sich 1942 im Exil das Leben, merkt sie an, weil er nicht zurück in sein Land konnte. Ja, als Bürger habe er sich österreichisch gefühlt, so Strauß. Dennoch sei es ihm wichtig gewesen, dass seine Werke übersetzt werden. Er habe gewusst, dass er so auch Menschen in Amerika und Frankreich erreichen kann.
Seyran Ates, Chris Dercon und Simon Strauß in der Diskussion | Foto: Lotte Dale „Aber seine Heimat haben sie ihm gestohlen“, sagt Ates. Auch heutzutage sei es für viele Menschen schwierig, die nicht zurück in ihr Herkunftsland können, wie zum Beispiel viele Türken. Sie sei keine Nationalistin und sicher nicht rechts, betont sie, „aber du streitest ab, dass man ein Gefühl für ein Land haben kann. Du musst die Kultur fühlen – und die ist auch deutsch.“ Strauß und Eidinger kann sie damit an diesem Abend nicht überzeugen.
Die Originalversion dieses Artikels erschien am 8. Juni 2018 auf Duitslandweb, dem journalistischen Teil der Website des Duitsland Instituut Amsterdam. Marja Verburg ist Redakteurin von Duitslandweb.