Cities on the Edge
Roboter in Pottropolis
Auf dem pottfiction-Camp in Herne feierte das Jugendtheaterprojekt des Goethe-Instituts „Cities on the Edge“ seine Premiere. In den drei Produktionen geht es um die Realität der Arbeitswelt und um die Existenzängste junger Menschen.
Auf der von der Sonne verbrannten Wiese spannten sich am vergangenen Samstag die Leinen einer bunten Zeltstadt. Das diesjährige pottfiction-Camp hat unter dem Motto „Dystopien - Utopien“ in den Flottmann-Hallen in Herne Einzug gehalten. Das städteübergreifende Theaterprojekt bot dabei auch Raum für ein erstmaliges Zusammenkommen von „Cities on the Edge“, einer Initiative des Goethe-Instituts, bei der drei Jugendtheatergruppen aus Marseille, Neapel und Bochum/Herne abseits der Konvention ihre Kritik am Arbeitsmarkt und der hohen Jugendarbeitslosigkeit in den südlichen Ländern Europas formuliert haben.
Teil der Breakdance-Choreografie von „Opus – eine künstlerische Recherche zum Thema Arbeit“
| Foto: Sabrina Didschuneit
Tanzen gegen die Arbeitslosigkeit
Viele junge Menschen wuseln an diesem Samstag durcheinander, gekleidet in luftige Hosen, manche mit kleinen Tätowierungen. Die Stimmung ist ausgelassen fröhlich, als Staatsministerin und Herner Bundestagsabgeordnete Michelle Müntefering das rosa Band zu „Pottropolis“ durchtrennt. Ein Fanfarensignal bläst zum Start des Performance-Marathons. Unscheinbar beginnt das Stück der Gruppe junger Männer aus Marseille, die zu seicht einsetzender Musik in roboterähnliche Bewegungsmuster verfallen. Ihre Choreografie „Opus – eine künstlerische Recherche zum Thema Arbeit“ beginnt mit einem Uhrwerk zuckender Gliedmaßen zum pochenden Herzschlag aus den Boxen.Trotz der großen Hitze herrscht eine kalte Distanz zwischen den Akteuren. Ein Automatismus entflammt bei einem, der wild, hektisch und scheinbar ziellos umherirrt, während ein anderer seinen Körper in Wellen wiegend auf der Stelle hält. War vorerst jeder in seinem eigenen Ablauf gefangen, entstehen immer mehr Reibungen, die in maschinisierter Gewalt aufgehen. Unbehagen macht sich in den Gesichtern breit und ein erstes, vielleicht letztes Anzeichen verborgener Menschlichkeit. Doch zerfließt die Hektik in warmen, sphärischen Klängen. Die Bewegungen sind jetzt geschmeidig, beseelt von Lebensfreude. Ein laut gerufenes „Bravo“ lässt tosenden Applaus losbrechen.
„Die Kiwi von Neapel“ handelt von Existenzängsten junger Menschen | Foto: Sabrina Didschuneit
Maske und Mensch
Auf der Schwelle nach draußen, da wo einem kühle Luft entgegen strömt, möchte man seinen Augen nicht trauen: In sonnengelbe Gewänder gekleidete Gestalten stehen stumm auf dem Vorplatz; die Gesichter von Masken ohne jeglichen Ausdruck bedeckt. Die Besucherinnen und Besucher, die in beunruhigender Stille die seltsame Situation einzuordnen versuchen, staunen nicht schlecht. „Früher war alles schlechter als heute…außer der Zukunft“, eine Kooperation des theaterkohlenpott Herne und dem Jungen Schauspielhaus Bochum, setzt den Theaterreigen nahtlos fort. Die Gestalten beginnen umher zu wandern, werden misstrauisch beäugt, als sie sich zu einem immer kleiner werdenden Haufen zusammenrotten.Im Hintergrund bewegt leichter Wind die aufgespannten Stoffe. Von einem Mantra beruhigender Worte umströmt, treten die Schauspielerinnen und Schauspieler auseinander. Wortlos verlassen sie den Platz, ziehen das Publikum hinter sich her, zurück ins Innere. Blitzlichter pulsieren im halb-sekündlichen Takt um die schauderhaften Stationen sinnloser Tristesse, in der etwa pechschwarze Leinwände mit einer Farbpalette aus Schwarztönen bepinselt werden. Andere öffnen und schließen wahllos Programme auf ihrem Notebook. Zum Schluss fallen die Masken und der Mensch kommt zum Vorschein.
Schauspielerinnen und Schauspieler der performativen Installation „Früher war alles schlechter als heute…außer die Zukunft“ | Foto: Sabrina Didschuneit „Ich bin sehr beeindruckt, was die Jugendlichen hier auf die Beine gestellt haben. Beide Stücke waren sehr professionell. Man fühlt sich hier wie in einer Blase aus positiver Energie und man spürt förmlich die Leidenschaft und Liebe für die Kunst. Ich bin sehr gespannt, wie die Leute auf unser Stück reagieren werden“, sagt Dr. Maria Carmen Morese, Leiterin des Goethe-Instituts Neapel. Die drei Handlungsfäden um einen Wissenschaftler, der den Vesuv untersucht, einer Stalkerin und der Mafia als Touristen-Sensation laufen in „Die Kiwi von Neapel“ zu einer Geschichte der unterschiedlichen Ängste zusammen. Das Stück der Theatergruppe „Nuovo teatro Sanità“ aus Neapel unter Regisseur Mario Gelardi beendete den Auftakt einer ereignisreichen Theaterwoche in Herne.