Die Macht der Vervielfältigung
Druckgrafik im Land der Gauchos
Das Projekt „Die Macht der Vervielfältigung“ des Goethe-Instituts Porto Alegre lädt zu einer künstlerischen und kunsttheoretischen Auseinandersetzung mit dem heutigen Begriff der Reproduktion ein. Nun beleuchten 14 deutsche und brasilianische Künstlerinnen und Künstler im Museu de Arte do Rio Grande do Sul verschiedene Facetten der Vervielfältigung im digitalen Zeitalter.
Es ist kein Zufall, dass die Arbeit des Künstlers Thomas Kilpper im Zentrum der großen Ausstellungshalle von Porto Alegres Museu de Arte do Rio Grande do Sul steht. Erinnert sie doch am ehesten an das, was gemeinhin unter Druckgrafik verstanden wird: In roten Großbuchstaben auf einem wehenden Banner zieht sich das Motto „Another world is necessary“ über eine grün-rote Bildfläche. Dazwischen sind Porträts von Personen der Zeitgeschichte zu erkennen: der ehemalige US-Präsident Lyndon B. Johnson etwa oder der brasilianische Umweltaktivist José Lutzenberger.
Kilpper schnitzte die Szenerie in den Parkettfußboden der brasilianischen Künstlerresidenz Vila Flores und „druckte“ das Bild mit den eigenen Füßen auf eine darüber gelegte Leinwand.
Die Eingangshalle des Museu de Arte do Rio Grande do Sul
| Foto: Fabio Alt
Anwesenheit und Abwesenheit
Die neun brasilianischen und fünf deutschen Künstlerinnen und Künstler, die Gregor Jansen, Direktor der Kunsthalle Düsseldorf, unter dem Titel „O Poder da Multiplicação - Die Macht der Vervielfältigung“ in dem Kunstmuseum im Süden Brasiliens versammelt hat, zeigen, dass sich künstlerische Reproduktion längst nicht mehr auf die klassischen Techniken wie Holzdruck oder Radierung beschränkt.Die deutsche Künstlerin Hanna Hennenkemper beregnet ihre mit alten Werkzeugen belegten Druckplatten mit Harzstaub, um den Eindruck eines archäologischen Artefakts zu erwecken. Regina Silveira, die Grande Dame der brasilianischen Kunst, kreuzt traditionelle Grafik-Techniken mit neueren, industriellen Druckverfahren wie Offset, Heliografie oder Mikrofilm, um Fragen von Licht und Schatten, Anwesenheit und Abwesenheit, Macht und Herrschaft zu thematisieren.
Die Ausstellung im Museu de Arte do Rio Grande do Sul | Foto: Fabio Alt
Ein politischer Anspruch
Wie stark mit den Reproduktionstechniken immer noch ein politischer Anspruch verbunden ist, zeigen die Arbeiten des brasilianischen Künstlers Xadalu. Mit dem im Siebdruck-Verfahren hergestellten Kopf eines Guarani, den er überall in Porto Alegre plakatiert hat, will er an die jahrhundertelang von den portugiesischen Kolonisatoren unterdrückte, indigene Gemeinschaft erinnern. Eine Gruppe Guarani, mit denen Xadalu regelmäßig zusammenarbeitet, steuerte eine farbenprächtige Musikperformance zu der übervollen Eröffnung der Schau am Dienstagabend bei.Porto Alegre erscheint als Veranstaltungsort auf den ersten Blick ungewöhnlich. Der brasilianische Bundesstaat Rio Grande do Azul, dessen Hauptstadt die Metropole mit vier Millionen Einwohnern ist, gilt als Land der Gauchos, wie die Cowboys hier heißen. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts gibt es aber auch Druckgrafik in Rio Grande do Sul. Angestoßen durch die deutschen Einwanderer entstanden hier in den fünfziger Jahren viele Druckclubs, die zum Vorbild ähnlicher Initiativen für kollektives künstlerisches Arbeiten in ganz Südamerika wurden.
Gregor Jansen im Gespräch mit dem Künstler Hélio Fervenza | Foto: Fabio Alt
Die Zukunft der Reproduktion im digitalen Zeitalter
Die Ausstellung führt das Projekt „The Power of Printmaking“ weiter, mit dem das Goethe-Institut Porto Alegro vor zwei Jahren historische Positionen der brasilianischen Druckkunst von 1960-2015 präsentiert hatte. Mit „Die Macht der Vervielfältigung“ schließt der Diskurs nun in die Gegenwart auf. „Wir wollen die Zukunft der Reproduktion im digitalen Zeitalter diskutieren“, erklärt Institutsleiterin Marina Ludemann die Motive hinter ihrem ambitionierten Langzeitprojekt über das hierzulande eher unbekannte, gemeinsame kulturelle Erbe zwischen Deutschland und Brasilien.„Was im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks verkümmert, das ist seine Aura.“ Die Feststellung Walter Benjamins in seinem berühmtem Aufsatz „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner Reproduzierbarkeit“ hat sich nicht bewahrheitet. Sonst würden die Kunstfreunde nicht weiter Schlange vor der echten Mona Lisa im Pariser Louvre stehen.
Vor der Arbeit „TB – Early Birds AR“ von Tim Berresheim | Foto: Fabio Alt Und dass auch die Reproduktionstechnik eine ganz eigene Aura entwickeln kann, zeigt in Porto Alegre der Künstler Tim Berresheim. Er hat seine Serie von Zeichnungen „The Early Birds“ von 2012 mit Hilfe komplizierter Berechnungen in einen dreidimensionalen Bildraum überführt, den man mit einer App ansteuern kann. Wenn man vor der großen Wand der zentralen Ausstellungshalle hinter der 3-D-Brille den Schnabel eines der riesigen Vögel vor Augen hat, meint man, das „sonderbare Gespinst aus Raum und Zeit“ zu sehen, das schon Benjamin faszinierte.