bauhaus imaginista
Ein Mosaik aus Bruchstücken
Im Moskauer Garage Museum of Contemporary Art eröffnet die nächste „bauhaus imaginista“-Ausstellung „Moving Away – The Internationalist Architect“. Das Kuratoren-Team beleuchtet das in Vergessenheit geratene Werk des ehemaligen Bauhaus-Direktors Hannes Meyer.
Das Projekt „bauhaus imaginista“ verfolgt die Traditionslinien des Bauhauses über seine Wirkungsgeschichte in Weimar, Dessau und Berlin von 1919 bis 1933 hinaus. Mit einem multiperspektivischen Blick versteht es das Bauhaus – ein die Moderne fundamental prägendes Phänomen – als komplexes internationales Gefüge. Im Fokus stehen vielfältige, aber lange unbeachtete Beziehungen der europäischen Moderne zu Bewegungen in Asien, Afrika, Nord- und Südamerika. Ziel ist es, die eurozentrische Erzählperspektive zu verlassen und damit neue Narrative sichtbar werden zu lassen.
Marion von Osten und Grant Watson, Kuratorin und Kurator von „bauhaus imaginista“
| Foto: Silke Briel
Flucht in die Sowjetunion
Jede „bauhaus imaginista“-Ausstellung geht von einem spezifischen Objekt aus, das von Bauhausmeistern und -studierenden entwickelt wurde. Das Moskauer Kapitel „Moving Away – The Internationalist Architect“ nimmt eine Collage von Marcel Breuer als Ausgangspunkt dafür, wie das Bauhaus mit seinen Maximen der Gestaltung, aber auch seiner politischen Ausrichtung von Akteuren in der ehemaligen Sowjetunion weiterentwickelt wurde.Im Zentrum der Ausstellung steht der Architekt und Stadtplaner Hannes Meyer. Als Nachfolger von Walter Gropius hatte er 1928 die Direktorenstelle des Bauhauses übernommen, wurde aber 1930 aufgrund seiner politisch-ideologischen Aktivitäten geschasst und emigrierte anschließend zusammen mit einer Gruppe von Bauhaus-Studenten in die Sowjetunion.
Künstlerin Doreen Mende nutzt die „Reading Area“ von Tatiana Efrussi und Daniel Talesnik | Foto: Silke Briel
Zwischen den Zeilen
In den nächsten Jahren arbeitete Meyer als führende Figur der kommunistischen Stadtplanung. Von Gropius und anderen als Verräter der Bauhausideen diffamiert und in der Forschung lange als technokratischer Funktionalist stilisiert, weitet die Ausstellung in Moskau den Blick auf die Komplexität und Zwiespältigkeit seines Werkes. Sie zeigt sowohl eine Reihe seiner von künstlerischen Entwicklungen wie dem Suprematismus beeinflussten Papierarbeiten, stellt aber auch seine fragwürdige Rolle innerhalb des herrschenden politischen Sowjetsystems heraus.Um Meyers Geschichte nachzuzeichnen, schöpften die Kuratorin und der Kurator Marion von Osten und Grant Watson gemeinsam mit ihrem Team aus in ganz Europa verstreutem, in Archiven liegendem Quellenmaterial, und lasen dafür oftmals zwischen den Zeilen. Die Geschichte ist so ein Mosaik aus Bruchstücken des von Historikerinnen und Historikern lange ignorierten Werks von Hannes Meyer.
Besucherinnen und Besucher bei der Eröffnung von „Moving Away: The Internationalist Architect“ | Foto: Silke Briel
architekturhistorische grundlagenforschung
Eine echte Entdeckung ist die in der Ausstellung zu sehende Arbeit „Hamhung’s Two Orphans“ (2018) von Doreen Mende. In überlagernden Bild- und Textfeldern zeichnet sie die unbekannte Arbeit des Bauhausschülers Konrad Püschel in Nordkorea in den 1950er-Jahren nach. Die in der DDR später unter dem Namen „Rote Bauhaus Brigade“ bekannte Gruppe war maßgeblich für den Wiederaufbau der durch den Koreakrieg zerstörten Städte Hamhung und Hungnam verantwortlich – Bauten, die bis heute existieren und die beiden nordkoreanischen Stadtzentren prägen.Sie stehen zeichenhaft dafür, dass die binäre Weltordnung des Kalten Kriegs mit der klassischen Frontstellung Washington–Moskau als eine Erzählung von mannigfaltigen Akteuren in wechselvollen, komplexen Beziehungen gelesen werden muss. Mendes Arbeit leistet hier architekturhistorische Grundlagenforschung und ermöglicht durch poetische Fotodokumente aus dem Archiv von Konrad Püschel Einblicke in eine kaum bekannte Zeit der nordkoreanischen Geschichte.
Anastasia Mityushina, Kuratorin im Garage Museum of Contemporary Art | Foto: Silke Briel Nicht zuletzt der Ausstellungsort, das Garage Museum of Contemporary Art, lohnt den Besuch: Der kühne, milchgläserne Riegel von OMA / Rem Koolhaas (2011-2015) baut im Kern auf einem in den 1960er-Jahren mit vorgefertigten Betonmodulen errichteten Pavillon auf und lässt die kommunistische Vergangenheit anhand eines großen Wandmosaiks und anderer Versatzstücke sichtbar.