„Die Autonomie der Künste in den Zeiten der Krise“
Kunst versus Krise
Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Institus, bei seiner Eröffnungsrede in Tokyo | Foto: Yota Kataoka
„Die Autonomie der Künste in den Zeiten der Krise“ — dazu diskutierten im Goethe-Institut Tokyo zwei international besetzte Panels. Im Mittelpunkt standen die Migration als Bruch und Chance und die aktuelle Krise des Kunstbegriffs.
Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts, und Klaus Vietze, Gesandter der Deutschen Botschaft Tokyo, eröffneten das Symposium. Ihre Begrüßungsreden betonten, dass Kunst und Kultur sich vor allem identitätspolitisch nicht vereinnahmen lassen dürften, sondern ein liberaler Freiheitsbegriff in ihrem Zentrum stehen müsse.
Radio-Lectures entlang der Balkanroute
Im ersten Teil des Symposiums entstand ein Dialog über Migration, transkulturelle Prozesse und Identität. Die Diskutanten waren sich darin einig, dass Kultur wie Identität nur ein vermeintlich festes Konzept seien, das oftmals der Festschreibung von Deutungshoheiten diene, tatsächlich aber prozesshaft und ständigem Austausch unterworfen sei. Der Theaterregisseur Akira Takayama unterstrich diesen Punkt mit der Vorstellung der „McDonald’s Radio University“. Geflüchtete Expertinnen und Experten stellen dort ihr Fachgebiet vor. Angeboten werden die Radio-Lectures entlang der Balkanroute in den namensgebenden Schnellrestaurants. Über die Verflechtung künstlerischer Aufbereitung mit dem Wissenserwerb bekommen die Flüchtenden eine Möglichkeit zur autonomen Selbstermächtigung.Kunst – ein Luxusprodukt?
Der Dramatiker Mohammad Al-Attar, derzeit Residenzkünstler des Goethe-Instituts Tokyo, beschrieb in seinem persönlichen Beitrag, wie er nach der Flucht immer wieder auf die Rolle des Exilkünstlers aus Syrien reduziert worden sei. Er verwahrte sich gegen ein solches Label, das ihn menschlich und künstlerisch vereinnahmen wolle — natürlich schreibe er über den syrischen Bürgerkrieg, gleichermaßen aber auch über global relevante Themen wie Emanzipation oder Religion.Zu Beginn des zweiten Panels legte der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich dar, dass der westliche Kunstbegriff selbst in einer Krise sei. An einem Pol bilde sich Kunst als privatisiertes Luxusprodukt, am anderen rückten konzeptuell-kuratorische Prozesse in den Vordergrund — aber auch diese verfügten kaum noch über gesellschaftliche Wirkmacht, da sie im eigenen Milieu verweilten.
Podiumsdiskussion auf dem Symposium „Die Autonomie der Künste in den Zeiten der Krise“ | Foto: Yota Kataoka
Die demokratisch-heilende Wirkung der Kunst nach Krisen
Dem widersprachen die japanischen Gäste unter dem Eindruck der Dreifachkatastrophe Erdbeben, Tsunami und Havarie des AKW Fukushima. Der Soziologe Akihiro Kitada hatte beobachtet, welche politischen Veränderungspotenziale die Krise 2011 in Deutschland entfaltet hatte. Der Kunstkritiker Takayuki Hayashi diagnostizierte hier eine demokratisch-heilende Wirkung der Kunst nach Krisen.Gleichzeitig kritisierte Kitada in Übereinstimmung mit Ullrich, dass der Markt bestimme, was Kunst sei, und damit eine selbstbestimmte Definition unterbinde. Zumindest dieses Wissen vergrößere sich durch die Marktlogik aber und gebe immerhin mehr Menschen Zugang zur Kunst. Ullrich ergänzte, dass im Gegensatz zum früheren Verständnis heute die fragmentierenden Kunstfelder nicht mehr streitbar miteinander verbunden seien; vielmehr ginge es um die Dominanz des eigenen Verständnisses. Hier sehe er aber auch eine Chance: Durch die Fragmentierung rückten vermittelnde Instanzen wie Kuratoren in den Fokus, wodurch die Künstlerinnen und Künstler nicht mehr auf sich alleine gestellt wären.