Kultursymposium Weimar 2019
Nicht die Maschinen sind das Problem, sondern der Mensch
Der Giant Dundu, eine illuminierte Gliederfigur, während des Eröffnungsabends im E-Werk Weimar | Foto: Jörg Gläscher
Das zweite Kultursymposium Weimar stand unter dem Motto „Die Route wird neu berechnet“. Expertinnen und Experten aus der ganzen Welt sprachen auf Einladung des Goethe-Instituts über die entscheidenden Fragen für unsere Zukunft.
Von Kirsten Riesselmann
Es ist drückend heiß, als am Mittwoch, dem 19. Juni, das Kultursymposium Weimar 2019 eröffnet wird. Aus allen Himmelsrichtungen kommen Menschen mit Rollkoffern und Rucksäcken, viele haben das Smartphone in der Hand und lassen sich führen von ihren Navi-Apps. Auf dem in der Sonne brütenden Platz vor der Weimarhalle hört man die Geräte sagen: „Sie haben Ihr Ziel erreicht.“
Geballtes globales Wissen zusammentragen
Der Auftakt kommt ganz leichtfüßig und poetisch daher: Baby Dundu und Giant Dundu, eine kleine und eine sehr große Gliederfigur, fragil aus weißen Kunstfasern gebaut und von Puppenspielerinnen und Puppenspielern an Stäben geführt, schreiten, laufen und hüpfen durch den Saal. Dann begrüßt Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts, die gut 500 Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus 70 Ländern. Von der Vielfalt der in Weimar vertretenen Perspektiven erhofft er sich, dass Gegenwart und Zukunft nicht nur als Risiko, sondern auch als Chance begreiflich werden. Das Symposium wolle „geballtes globales Wissen zusammentragen und vielleicht die ein oder andere Antwort finden“, aber gleichermaßen für „anregende, aufregende und vergnügliche Tage“ sorgen.Designerin Anab Jain | Foto: Bernhard Ludewig
Dicke Luft
In ihrer anschließenden Keynote „Why I build future scenarios” stellte die Designerin Anab Jain – selbst bezeichnete sie sich als „Archäologin der Zukunft“ – vor, wie sie mit dem Gefühl von Ohnmacht und Überwältigung angesichts von Informationsüberfülle, von Deepfakes, wankendem Wahrheitsbegriff und täuschenden Hochglanz-Oberflächen umgeht: Sie lässt die Konsequenzen unseres Handelns körperlich erfahrbar werden, macht spürbar, wie sich heute getroffene Entscheidungen auf das Morgen auswirken. So blies sie den Verkehrsplanern Dubais ganz konkret die Luft im Jahr 2030 ins Gesicht, sollte das Emirat nicht Abstand vom Auto nehmen. Jetzt treibt Dubai den Metro-Ausbau und die Elektromobilität voran. „Das Blaue Sofa“ mit Philosoph und Autor Philipp Hübl auf dem Kultursymposium | Foto: Bernhard LudewigHineinstürzen und sich einlassen
An den folgenden zwei Tagen bahnte man sich einen Weg durch die etwa 50 Veranstaltungen des Symposiums, düste mit dem Leihrad vom E-Werk zur Bauhaus-Universität und weiter zum Studienzentrum der Herzogin Anna Amalia Bibliothek. Wieder und wieder studierte man das nach vier Schwerpunkten – „ORIENT//IERUNG“, „AUTO//NOMIE“, „RE//GRESSION“ und „DIGI//NOMICS“ – gegliederte, prall gefüllte Programm, diskutierte in den oft zu kurzen Kaffeepausen über gerade Gehörtes und befragte andere über Verpasstes. „Warst du beim Vortrag über die Schimpansen und wie sie die Welt sehen?“, „Wie war’s bei den ‚Arbeitswelten von morgen‘?“, „Wer kommt heute Abend mit zur Mensch-Roboter-Tanzperformance?“ Oft half nur: Hineinstürzen und sich einlassen, auch und gerade in all das düster Stimmende, das zu verhandeln war. Und fest daran glauben – und erfahren –, dass die gemeinsame Lösungssuche Erleichterung und Erkenntnis genug verschafft.Streit als Dialog
Die Zustandsbeschreibungen, die ein Theatermacher und eine Theatermacherin sowie ein Künstler im Panel „Kulturpolitik unter Druck“ aus PiS-Polen, Bolsonaro-Brasilien und von den Duterte-Philippinen lieferten, waren allesamt bedrückend. Wie schnell eine werteabsolutistische, christlich-fundamentalistische, klar in Schwarz und Weiß einteilende Politik oppositionelle Stimmen zu unterdrücken weiß, wie schnell Kunst- und Intellektuellenfeindlichkeit bedrohliche Ausmaße annimmt, wie schnell auch Experimentierlust und Kritik der Selbstzensur zum Opfer fallen, wurde überdeutlich. Die Aufgabe der Kulturszene, so meinten Marta Keil aus Warschau und Antônio Araujó aus São Paulo so übereinstimmend wie skeptisch, sei es in solch einer Situation, einen ‚Common Ground‘ zu bestimmen, von dem aus miteinander geredet werden könne, den Kontakt zu den Gegnerinnen und Gegnern zu suchen und ein Framing zu finden, das Streit als Dialog möglich mache. Der taiwanesische Tänzer, Choreograph und Videokünstler Huang Yi | Foto: Jörg GläscherKapitalismus vs. Demokratie
Um die weltweite Demokratiekrise ging es auch Pankaj Mishra, der als Autor des Buchs „Das Zeitalter des Zorns“ Rechtspopulismus als Reaktion auf ökonomische und technische Abgehängtheitsgefühle untersucht hat. Im Audimax der Bauhaus-Uni erläuterte Mishra die gegenläufigen Ziele von Kapitalismus und Demokratie: Demokratie wolle, dass alle gleich sind, der Kapitalismus wolle gerade das nicht, denn nur aus der Logik der ungleichen ökonomischen Entwicklung ließe sich Profit schlagen. Wenn sich der Populismus dann der kapitalismusbedingt Unzufriedenen bediene, um demokratische Mehrheiten zu generieren, und diese postwendend autoritär gegen das demokratische Ideal der Gleichheit ins Feld führe, habe die liberale Demokratie kaum eine Chance. Einen Vorschlag zu deren Rettung hatte die Verfassungsrechtlerin Ece Göztepe: Die sozialen Medien stellten offenbar nicht die Form von Öffentlichkeit her, die für eine echte Demokratie notwendig sei – man müsse eine solche also wiedergewinnen. Mishra hoffte in dieser Hinsicht auf „frische Ideen“ – sie entstünden dann, wenn die Menschen die Zukunft weniger rosiger sähen als die Gegenwart. Bald also. Abschlussplenum mit Blumio, Panashe Chigumadzi, Denise Hearn, Juan Carlos Rincon, Toby Walsh und Morderatorin Melanie Stein | Foto: Bernhard LudewigVerängstigt und doch inspiriert
Beim Abschlussplenum fragte die Moderatorin: „Haben wir das Ziel erreicht?“ und bat die vier Podiumsteilnehmer und -teilnehmerinnen um ein abschließendes Statement. Und die Essayistin und Romanautorin Panashe Chigumadzi aus Simbabwe, der Journalist Juan Carlos Rincón aus Kolumbien, Denise Hearn und Toby Walsh versuchten das fast Unmögliche und stellten ein buntes Potpourri der während der Weimarer Tage diskutierten Themen und Ansätze zusammen: Es wurde für einen postkolonial informierten „New Green Deal“ plädiert und für die Chancen einer sozial nachhaltigen Entwicklung durch die Nutzung indigenen Wissens. Die Maschinen wurden verteidigt, schließlich sind nicht sie das Problem, sondern die Menschen dahinter. Es wurden neue Formen effektiver Kommunikation beschworen, die Hass, Hetze und Falschdarstellung in die Knie zwingen. Wie in einem Vexierbild kippte der Optimismus in den Pessimismus und wieder zurück. Die beste Zusammenfassung kam wohl von Rincón: „Ich wurde hier beides: inspiriert und verängstigt. Aber ich denke, wir können guten Mutes in die Zukunft blicken – wir müssen nur engagiert und wachsam bleiben.“In diesem Sinne war die Freude groß, als Goethe-Generalsekretär Johannes Ebert zum Abschluss verkündete, man werde sich 2021 erneut in Weimar treffen. Viele werden den Weg dorthin dann ohne ihr Smartphone finden. Oder die Lust am Sich-Verlaufen und trotzdem ankommen entdeckt haben. Oder wissen, dass man einfach auch die Leute auf der Straße fragen kann.