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Dokumentarfilmfestival „DokuBaku“ 2019
Das Flirren der Wahrnehmung

Einer der spannenden Schauplätze des Festivals war das symbolträchtige Salaam Cinema
Einer der spannenden Schauplätze des Festivals war das symbolträchtige Salaam Cinema | Foto: Adil Yusifov

„Truthfulness – Aufrichtigkeit“  war das diesjährige Motto des Dokumentar­film­festivals „DokuBaku“ in Aserbaidschan. In enger Zusammenarbeit mit dem Goethe-Zentrum Baku wurden an drei Spielstätten 38 Filme aus aller Welt gezeigt. Das unabhängige Filmfestival wurde 2017 in Aserbaidschan mit dem Ziel ins Leben gerufen, lokale Filmschaffende und nicht-fiktionale Filmgenres zu unterstützen.

Von Georg Seeßlen

Das offizielle Logo des Dokumentarfilmfestivals „DokuBaku“ Das offizielle Logo des Dokumentarfilmfestivals „DokuBaku“ | Grafik: DokuBaku

Ein wundersames Flirren der Wahrnehmung erlebt, wer im Kino Bilder sieht, die er gleich darauf, in der Wirklichkeit, nachprüfen und ergänzen kann, oder wer einen frischen Vorrat an Eindrücken einer kritischen Reflexion auf der Leinwand unterziehen kann. Wie nahe sich Film und Wirklichkeit auch „augenblicklich“ kommen können, war bei der dritten Ausgabe von „DokuBaku“, dem Dokumentarfilmfestival in der Hauptstadt von Aserbaidschan, mehrfach zu erleben. Und zweimal hatte es auch direkt mit dem Kino selbst zu tun. Der eine Film, „Saving Salaam“, schilderte in der Form eines cinema direct den zivilgesellschaftlichen Kampf um einen vergangenheits- und symbolreichen Ort, der viel mehr als ein Kino, nämlich ein Hort kultureller Selbstbestimmung ist. Und der andere, „Once Upon a Time in Shanghai“ von Leyli Gafarova nutzt die Dreharbeiten zu dem Spielfilm „The Bra“ alias „Vom Lokführer, der die Liebe suchte“ als Hintergrund für das Porträt eines schönen und „wilden“ Stadtviertels von Baku und seiner Menschen: „Shanghai“ wurde es genannt, man weiß nicht mehr genau warum, und ein Zug fuhr mitten hindurch. Nun haben die Bagger schon mehr als die Hälfte davon vernichtet. Was am Ende davon bleiben wird? Film und Erinnerung.

Eine Form des kollektiven Gedächtnisses

Vielleicht wäre dies als ein Leitmotiv bei der Auswahl der Filme für „DokuBaku“ (insgesamt 38 Filme in 25 Vorstellungen) auszumachen: Das dokumentarische Filmen als Geste gegen das Vergessen. Das hat manchmal einen nostalgisch wehmütigen Aspekt, etwa wenn es um den Alltag alter Frauen in ärmlich-idyllischer Natur geht, oder um Wolfssagen portugiesischer Hirten, es kann aber auch schmerzhaft gegenwärtig sein wie in „Taste of Cement“ von Ziad Kalthoum, der Krieg und Aufbau, Trauma und Ausbeutung in Syrien und im Libanon montiert (der Film lief im letzten Jahr auch in deutschen Kinos). Ein Film übrigens, der wie der Preisträger „The Disappearence of my Mother“ von Beniamino Baresseni zeigt, dass genaue Beobachtung und filmische Poesie keine Widersprüche sind. Filme können eine Form des kollektiven Gedächtnisses sein, in dem die Geschichte nicht immer und ausschließlich von den Gewinnern geschrieben wird. Allein das macht sie politisch, auch wenn sie sich aus dem einen oder anderen Grund der direkten Stellungnahme enthalten (müssen). Als bester Kurzfilm wurde „In Between“ von Samir Karahoda aus Kosovo ausgezeichnet. Eine Geschichte der Hoffnung und der Gerechtigkeit, verdichtet in der Anstrengung, genau gleiche Häuser für die Kinder zu bauen, deren Rückkehr aus erzwungener Migration ersehnt wird.

Bei der Festivaleröffnung im Kapellhaus von Baku, dem Sitz des Goethe-Zentrums Bei der Festivaleröffnung im Kapellhaus von Baku, dem Sitz des Goethe-Zentrums | Foto: Adil Yusifov

Cineastische Attitüden

Das Dokumentarfilmfestival „DokuBaku“ bietet dem Besucher zwei Seiten. Das eine ist ein Sample von internationalen Dokumentarfilmen, im kurzen wie im abendfüllenden Format, das zweite aber, für den weitgereisten Festivalbesucher vielleicht noch interessanter, einen Ein- und Überblick über das lokale Geschehen auf dem Gebiet des dokumentarischen Arbeitens – wobei das Dokumentarische hier nicht dogmatisch gesehen wird: auch Essayistisches und Animationsfilme haben hier ihre Chance. Und so unterschiedlich wie das Film-Angebot sind auch die drei hauptsächlichen Spielstätten: Das Kapellhaus als ausgesprochen kommunikativer und offener Begegnungsort, das erwähnte Cinema Salaam mit seinem Charme selbstverwalteter cineastischer Leidenschaft und das etwas mondänere Landmark im Souterrain eines Bürokomplexes. Drei Kinos, die zugleich verschiedene cineastische Attitüden und ein wenig auch verschiedene Seiten dieser Stadt repräsentieren.

Eine Öffnung zwischen den filmischen und den sozialen Räumen

„DokuBaku“ zeigt, und dabei spielt die Zusammenarbeit mit dem Goethe-Zentrum gewiss eine wichtige Rolle, dass ein Filmfestival mehr ist als eine Anzahl von Filmen, eine Gelegenheit, Publikum und Filmemacher miteinander ins Gespräch zu bringen und am Ende nach mehr oder weniger hitzigen Jury-Debatten Preise zu vergeben. Es ist eine Öffnung zwischen den filmischen und den sozialen Räumen, umso dringender geboten, je geschlossener sich einer von beiden sieht.

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