DEFA-Filmerbe
„So etwas haben die zugelassen?“

Eingangsbereich der Babelsberger Filmstudios in Potsdam: Zu DDR-Zeiten produzierte hier vor allem der volkseigene Betrieb DEFA, die Deutsche Film AG.
Eingangsbereich der Babelsberger Filmstudios in Potsdam: Zu DDR-Zeiten produzierte hier vor allem der volkseigene Betrieb DEFA, die Deutsche Film AG. | Foto (Detail): © DEFA-Stiftung

Den Filmen der staatlichen DDR-Filmproduktion DEFA haftet das Stigma an, von Propaganda durchsetzt zu sein. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Wichtiges künstlerisches Filmerbe befindet sich unter den Spiel- und Animations-, Märchen- und Dokumentarfilmen. Die DEFA-Stiftung will sie digital besser verfügbar machen.

Von Judith Reker

Rund 700 Spielfilme, darunter 150 Kinderfilme, 750 Animationsfilme sowie 2.250 Dokumentar- und Kurzfilme wurden über fast fünf Jahrzehnte hinweg von der staatlichen DDR-Filmgesellschaft DEFA (Deutsche Film AG) produziert. Ihre Märchenfilme sind für Generationen zum Kult geworden. Aber auch Literaturverfilmungen, antifaschistische Filme und politisierte Indianerfilme gehörten zu den Produktionen. Hüterin dieses Filmbestands ist die DEFA-Stiftung. Ein Gespräch mit ihrer Vorsitzenden Stefanie Eckert über die Relevanz des Filmerbes und neue Vertriebswege.

Die Medienwissenschaftlerin Stefanie Eckert arbeitet seit 2001 für die DEFA-Stiftung und ist seit Juli 2020 ihre Vorsitzende.
Die Medienwissenschaftlerin Stefanie Eckert arbeitet seit 2001 für die DEFA-Stiftung und ist seit Juli 2020 ihre Vorsitzende. | Foto: © DEFA-Stiftung/Xavier Bonnin
Frau Eckert, warum gibt es 30 Jahre nach der Wiedervereinigung eine Stiftung, die sich nur um DDR-Filme kümmert?

Das erklärt sich aus der Geschichte: Nach dem Ende der DDR bedurfte es einer Institution, der die Rechte an den Filmen der DEFA übertragen werden konnten. Bereits im Frühjahr 1990 forderten zahlreiche DEFA-Filmemacher die Gründung einer Stiftung, um ihr Filmschaffen zu bewahren und eine Zerschlagung des Filmstocks zugunsten privater Filmrechtehändler zu verhindern. Seit ihrer Gründung 1998 hält die DEFA-Stiftung die Rechte an der gesamten DEFA-Kinoproduktion – rund 13.500 Filme aus fünf Jahrzehnten, darunter neben den Eigenproduktionen auch viele auf Deutsch synchronisierte ausländische Filme sowie weiteres Material. Die DEFA-Stiftung ist Inhaberin der Rechte, aber nicht des Materials – dieses wurde an das Bundesarchiv übertragen, das auch für seine Bewahrung zuständig ist.
 
Haben die ostdeutschen Filme ein spezifisches Publikum?

Es gibt natürlich Leute, die mit DEFA-Filmen aufgewachsen sind. Diese schreiben uns auch und wünschen sich bestimmte Filme oder Stars im Fernsehen. Aktuell werden noch mehrere zehntausend DVDs pro Jahr verkauft, vor allem mit Kinder- und Märchenfilmen, und mit großer Mehrheit erfolgt dieser Vertrieb in Ostdeutschland. Dann gibt es Filme, die funktionieren gesamtdeutsch und auch im internationalen Kontext. Jakob der Lügner von Frank Beyer ist ein bekanntes Beispiel. Auch die USA sind eine wichtige Zielgruppe. Dort gibt es die DEFA Film Library, die eng mit dem Goethe-Institut zusammenarbeitet und die DEFA-Filme in den USA in der Wissenschaft verbreitet.
 
Wie steht es um die junge Generation in Deutschland?

Die wird man im Fernsehen nicht finden, und DVDs kauft diese Generation auch nicht. Deshalb ist unser vordringlichstes Thema, dass wir in den Online-Markt hineinkommen, das heißt, auf möglichst vielen Streaming-Plattformen vertreten sind. Auf YouTube gibt es mittlerweile den offiziellen Kanal „DEFA-Filmwelt“, den unser Vertriebspartner ICESTORM betreibt.
 
Interessieren sich junge Leute denn überhaupt für DDR-Filme?

Dazu muss man die Filme natürlich bekannt machen. Das geht zum einen über die sozialen Medien. Ein anderer für mich wichtiger Schwerpunkt ist es, den DEFA-Film mehr in den akademischen Diskurs zu integrieren. Man kann die Filme in ganz verschiedenen Studienrichtungen nutzen, um mit ihnen bestimmte Aspekte des Lebens in der DDR, etwa der Filmästhetik oder der Mode, zu analysieren. Auch könnte der DEFA-Film als Teil der europäischen Filmgeschichte untersucht werden. Denn die DEFA-Filmemacher*innen haben sich, ebenso wie die westdeutschen Filmemacher*innen, immer auch mit ihren west- und osteuropäischen Nachbarn verglichen. Cineastische Bewegungen wie die Neue Welle in Polen oder die Nouvelle Vague in Frankreich haben sich auch in der Filmsprache der ost- und westdeutschen Filmemacher niedergeschlagen.
 
Um in den Onlinemarkt einzusteigen, müssen die Filme digitalisiert werden. Wie entscheiden Sie bei der großen Anzahl an Filmen, in welcher Reihenfolge das geschieht?

Wir versuchen bei der Digitalisierung eine ausgewogene Balance zu schaffen, zum Beispiel zwischen den verschiedenen Genres und zwischen kommerzieller Notwendigkeit und kuratorischem Interesse. Wenn aus einer Fernsehanstalt ein Wunsch kommt, dann wird ein Film natürlich sofort digitalisiert, weil klar ist: damit erreichen wir Zuschauer*innen. Die Digitalisierung ist übrigens eine sehr intensive, kleinteilige und deshalb teure Arbeit, die pro Film mehrere Wochen, manchmal mehrere Monate dauert. Unser Anspruch ist, dass ein digitalisierter Film dieselbe Qualität hat wie die Premierenkopie. Das versuchen wir durch sorgfältige Farbkorrektur und vorsichtige Retuschearbeit zu erreichen, möglichst in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Filmemacher*innen und Kameraleuten.
 
Erleben Sie eigentlich ein westdeutsches Vorurteil gegen DDR-Filme?

Nein, in unserem Arbeitsalltag werden wir mit solchen Vorurteilen nicht konfrontiert.
 
Öffentlich kritisch äußerte sich im Jahr 2008 der Filmemacher Volker Schlöndorff, er sagte unter anderem: „Die DEFA-Filme waren furchtbar.“ Er hat das später zurückgenommen. Sie waren damals schon bei der DEFA-Stiftung, wie waren die Reaktionen?

Das Entsetzen war groß und es hinterließ ein unangenehmes Gefühl, vor allem so viele Jahre nach der Wende. Ich glaube, die Diskussionen um die ostdeutsche Identität und das Sich-nicht-ernst-genommen-Fühlen rührt auch von solchen, vielleicht unbedacht gesagten Sätzen her.
 
Ist es ein Vorurteil oder ein Fakt, dass DDR-Filme Propagandafilme waren?

In dieser Pauschalität ist es ein Vorurteil. Korrekt ist: Die DEFA gehörte zum Staatsapparat; sie war ein VEB, ein volkseigener Betrieb. Die Hauptverwaltung Film, die im Ministerium für Kultur ansässig war, musste jeden Film abnehmen, der gezeigt wurde. Daher ist es verständlich, dass solche Vorurteile entstehen – dass alle DEFA-Filme Propagandafilme oder zumindest politisch einseitige Filme seien. Das ist aber tatsächlich nicht der Fall. In den fast fünf Jahrzehnten DEFA gab es Phasen, die waren deutlich restriktiver, und es gab Phasen, da konnte man Filme produzieren, bei denen heutige Zuschauer denken: Was, so etwas haben die zugelassen?
 
Am 3. Oktober 2020 gedenkt Deutschland der Wiedervereinigung vor 30 Jahren. Haben Sie eine Filmempfehlung?

Unsere Kinder, ein Dokumentarfilm von Roland Steiner. Darin porträtiert der Filmemacher Ende der 1980er-Jahre die verschiedenen Jugendbewegungen in Ost-Berlin, von Gruftis bis zu Neonazis. Der Film sagt viel aus über die DDR jener Zeit und vielleicht auch darüber, was in den ostdeutschen Bundesländern anschließend passiert ist. Es ist jedenfalls einer von vielen sehenswerten Filmen aus dem ostdeutschen Filmerbe.

 

  • Im Filmstudio Babelsberg in Potsdam-Babelsberg wurden zahlreiche DEFA-Produktionen gedreht. Das älteste und größte Filmstudio Deutschlands wurde 1912 gegründet und ist bis heute in Betrieb. Foto: © DEFA-Stiftung

    Im Filmstudio Babelsberg in Potsdam-Babelsberg wurden zahlreiche DEFA-Produktionen gedreht. Das älteste und größte Filmstudio Deutschlands wurde 1912 gegründet und ist bis heute in Betrieb.

  • „Die deutschen Köpfe vom Faschismus zu befreien“ lautete einer der Gründungsaufträge der DEFA, weshalb der Antifaschismus in den ersten DEFA-Produktionen ein wichtiges Thema war. Die 1974 realisierte Verfilmung von Jurek Beckers Roman „Jakob der Lügner“ über den Juden Jakob Heym, der während der Nazi-Herrschaft in einem polnischen Ghetto lebt, wurde für einen Oscar nominiert (hier Henry Hübchen in der Rolle des Mischa). Foto: © DEFA-Stiftung/Herbert Kroiss

    „Die deutschen Köpfe vom Faschismus zu befreien“ lautete einer der Gründungsaufträge der DEFA, weshalb der Antifaschismus in den ersten DEFA-Produktionen ein wichtiges Thema war. Die 1974 realisierte Verfilmung von Jurek Beckers Roman „Jakob der Lügner“ über den Juden Jakob Heym, der während der Nazi-Herrschaft in einem polnischen Ghetto lebt, wurde für einen Oscar nominiert (hier Henry Hübchen in der Rolle des Mischa).

  • Unter anderem wegen Filmen wie „Ernst Thälmann – Sohn seiner Klasse“ von 1954, mit Günther Simon in der Titelrolle des KPD-Vorsitzenden Ernst Thälmann, wurden die DEFA-Filme beizeiten auch pauschal als Propaganda abgetan. Sowohl dieser Film als auch die Folgeproduktion „Ernst Thälmann – Führer seiner Klasse“ wurden auf Bestrebungen der Sozialistischen Einheitspartei (SED) realisiert. Foto: © DEFA-Stiftung/Heinz Wenzel

    Unter anderem wegen Filmen wie „Ernst Thälmann – Sohn seiner Klasse“ von 1954, mit Günther Simon in der Titelrolle des KPD-Vorsitzenden Ernst Thälmann, wurden die DEFA-Filme beizeiten auch pauschal als Propaganda abgetan. Sowohl dieser Film als auch die Folgeproduktion „Ernst Thälmann – Führer seiner Klasse“ wurden auf Bestrebungen der Sozialistischen Einheitspartei (SED) realisiert.

  • Andere Produktionen schafften es wegen ihrer politischen oder ideologischen Ausrichtung nicht in die Kinos. Der 1965 produzierte Film „Karla“ beispielsweise, mit Jutta Hoffmann in der Rolle einer Lehrerin, die ihre Schüler zu kritischem Denken erziehen möchte, wurde vom Zentralkomitee der SED verboten. Die Produktion wurde erstmals 1990 öffentlich ausgestrahlt. Foto: © DEFA-Stiftung/Eberhard Daßdorf

    Andere Produktionen schafften es wegen ihrer politischen oder ideologischen Ausrichtung nicht in die Kinos. Der 1965 produzierte Film „Karla“ beispielsweise, mit Jutta Hoffmann in der Rolle einer Lehrerin, die ihre Schüler zu kritischem Denken erziehen möchte, wurde vom Zentralkomitee der SED verboten. Die Produktion wurde erstmals 1990 öffentlich ausgestrahlt.

  • Die DEFA hat aber auch zahlreiche Kinderfilme produziert – darunter „Die kleine Hexe“ von Bruno J. Böttge, einem der renommiertesten deutschen Silhouettenfilmer. Alle Figuren und Puppen für die Kinderfilme wurden im 1955 gegründeten DEFA-Trickfilmstudio in Dresden selbst gefertigt. Foto: © DEFA-Stiftung/Hans Schöne & Manfred Henke

    Die DEFA hat aber auch zahlreiche Kinderfilme produziert – darunter „Die kleine Hexe“ von Bruno J. Böttge, einem der renommiertesten deutschen Silhouettenfilmer. Alle Figuren und Puppen für die Kinderfilme wurden im 1955 gegründeten DEFA-Trickfilmstudio in Dresden selbst gefertigt.

  • Auch Literaturverfilmungen gehörten zum DEFA-Programm: Die Schauspieler*innen Lilli Palmer und Martin Hellberg in „Lotte in Weimar“. Die Produktion, die auf der gleichnamigen Romanvorlage von Thomas Mann basiert, wurde 1974 und 1975 an Originalschauplätzen in der Stadt Weimar gedreht. Foto: © DEFA-Stiftung/Wolfgang Ebert & Ingo Raatzke

    Auch Literaturverfilmungen gehörten zum DEFA-Programm: Die Schauspieler*innen Lilli Palmer und Martin Hellberg in „Lotte in Weimar“. Die Produktion, die auf der gleichnamigen Romanvorlage von Thomas Mann basiert, wurde 1974 und 1975 an Originalschauplätzen in der Stadt Weimar gedreht.

  • Zeitgeschichte im DEFA-Film: „Unsere Kinder“ dokumentiert die verschiedenen Jugendbewegungen im Ost-Berlin der 1980er-Jahre. Im Film kommen auch die Schriftsteller Christa Wolf und Stefan Heym zu Wort. Foto: © DEFA-Stiftung/Michael Lösche & Rainer Schulz

    Zeitgeschichte im DEFA-Film: „Unsere Kinder“ dokumentiert die verschiedenen Jugendbewegungen im Ost-Berlin der 1980er-Jahre. Im Film kommen auch die Schriftsteller Christa Wolf und Stefan Heym zu Wort.

  • Was dem Westen Winnetou war, war dem Osten Tokei-ihto: Der Schauspieler Gojko Mitic im DEFA-Indianerfilm „Die Söhne der großen Bärin“ im Jahr 1965. Foto: © DEFA-Stiftung/Waltraut Pathenheimer

    Was dem Westen Winnetou war, war dem Osten Tokei-ihto: Der Schauspieler Gojko Mitic im DEFA-Indianerfilm „Die Söhne der großen Bärin“ im Jahr 1965.

  • Diesen Märchenfilm aus den DEFA-Beständen – eine Ko-Produktion mit den Barrandov-Filmstudios –, kennt auch heute noch wirklich jede*r Fernsehzuschauer*in in Deutschland: „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“. Foto: © DEFA-Stiftung/ Jaromír Komárek

    Diesen Märchenfilm aus den DEFA-Beständen – eine Ko-Produktion mit den Barrandov-Filmstudios –, kennt auch heute noch wirklich jede*r Fernsehzuschauer*in in Deutschland: „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“.

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