Bicultural Urbanite Brianna
Ruf der Wildnis
Im Laufe der Jahre habe ich Dutzenden von australischen und europäischen Freundinnen und Freunden, die mich besuchen kamen, meine Wahlheimat Berlin gezeigt. Aber kürzlich fand ich mich dabei wieder, wie ich in Melbourne Tourguide spielte, einem Ort, an dem mein Wissen jämmerlich veraltet ist. Statt mich durch die Sehenswürdigkeiten der Stadt zu bluffen, beschloss ich, mich mit meinem internationalen Gast im wahrsten Sinne des Wortes in den Busch zu schlagen.
Von Brianna Summers
Als ich diesen Januar daheim in Australien war, war meine deutsche Freundin Viola gerade dabei, ihren Rucksack von Sydney die Ostküste herunterzuschleppen. Unsere Reisepläne überschnitten sich kurz in Melbourne, und da ich das Auto meiner Mutter zur freien Verfügung hatte, bot ich ihr an, einen Tagesausflug zu machen. Aber was zeigt man einer deutschen Touristin mit straffem Zeitplan? Welches Ausflugsziel im Bundesstaat Victoria bietet einen Schnappschuss unserer ausufernden Vororte und unserer bizarren, aber liebenswerten Tierwelt? Richtig. Das Healsville Sanctuary.
Es sind 64 Kilometer nach Healsville, wir haben genug Benzin im Tank, die Sonne scheint und wir tragen Sonnenbrillen. Und so, wie schon die Blues Brothers vor uns, traten wir drauf. Am Steuer saß mein Bruder, den ich als Chauffeur sekundiert hatte, da sich meine eigenen Fahrkünste nach knapp 13 Jahren Fahrradfahren in Berlin in einem fortgeschrittenen Stadium des Verfalls befinden. Seine Verlobte übernahm als Copilotin die Navigation. Ich meldete mich freiwillig als Fleischeinlage im Rücksitz-Sandwich zwischen Viola und einem riesigen Kindersitz, was ihr einen besseren Blick auf die Vororte entlang des Maroondah-Highways ermöglichte.
Im Healsville Sanctuary wurden wir von sengender Hitze und einer Armee von Kinderwägen und Buggys begrüßt, die über den heißen Kies donnerten. Die Tiere lagen vernünftigerweise entspannt unter Bäumen herum oder versteckten sich in ihren Lieblings-Schlupfwinkeln. Aus der Öffnung eines ausgehöhlten Baumstamms hing das Hinterteil eines Wombats. Koalas saßen regungslos in Wolken von Wasserdampf; die Tropfen von ihrem ausgefransten Fell verdunsteten auf dem ausgetrockneten Boden sofort. Die Tasmanischen Teufel waren im Urlaub. Oder nahmen einen Krankentag. Sogar die nachtaktiven Beuteltiere zierten sich.
Klassische Touristen
Die Erlösung kam, als wir den entzückend flauschigen Kopf und die schlaksigen Beine eines Felskänguru-Jungen aus dem Beutel seiner Mutter hervorkommen sahen. Das waren klassische Tourism-Australia-Szenen. Genau die Art von Fair-Dinkum-Bildsprache, die eingesetzt wird, um Möchtegern-Backpacker aus ganz Deutschland und dem Rest der Welt anzulocken. Ich atmete erleichtert auf: Wir hatten nicht umsonst einen Hitzschlag riskiert. (Später genossen wir auch noch den seltenen Anblick eines Dingos, dem ein halbes totes Kaninchen verfüttert wurde, obwohl ich sagen muss, dass mir diese klassische australische Szene noch nie in einem Qantas-Bordmagazin untergekommen ist.)Im kühlen Dunkel des Schnabeltier-Geheges hatte ich jede Menge Zeit, Viola alles über Australiens eigenartige „Missing Link“-Säugetierwelt zu erzählen. Tatsächlich schildere ich liebend gerne jedem beliebigen Touristen, der mir zuzuhören bereit ist, die reproduktiven Eigentümlichkeiten der Beutel- und Kloakentiere. Ich finde Ameisenigel und Schnabeltiere faszinierend, habe aber auch meinen Spaß am Schockeffekt eines warmblütigen Tiers, das Milch produziert und Eier legt.
Unsere äußerst schweißtreibende Exkursion endete mit der ‚Spirits of the Sky‘-Vogelschau, bei der eine bunte Mischung aus Falken, Kakadus und Adlern über den Schlapp-Sonnenhüten der Menge kreiste und ein Papagei pflichtschuldig sprach und tanzte. Nun, da wir beinahe alle australischen Tiere auf Violas Antipoden-To-Do-Liste abgehakt hatten, war es Zeit, uns in einem Healsviller Pub mit einem kühlen Bier und Pommes für unsere Anstrengungen zu entschädigen.