Bicultural Urbanite Brianna
Fahrradstadt: Ein neugestaltetes Stadtbild
Die Coronavirus-Pandemie hat zu einem Umdenken darüber, wie wir leben, arbeiten und reisen, geführt. Berlin macht aus einer Notsituation das Beste, indem es seine Radverkehrsinfrastruktur weiter verbessert - sehr zur Freude der wachsenden Zahl von Radfahrern in der Stadt.
Von Brianna Summers
Mein letztes Fahrrad in Melbourne hatte ‚Spokey Dokes‘, und erst als ich nach Berlin gezogen bin begann ich, Fahrräder als legitimes Transportmittel zu betrachten. Da ich zu dieser Zeit gerade Pleite war, wurde ich zwar hauptsächlich aus finanziellen Gründen wieder auf den Sattel gelockt, habe aber schnell die Freude daran wiederentdeckt, durch eine Stadt mit vielen Radwegen und kaum Hügeln zu radeln. Wie sich herausstellt, wurde die deutsche Hauptstadt auf Sumpf gebaut.
Berlins Radverkehrsinfrastruktur erhielt 2018 eine massive Finanzspritze durch das Mobilitätsgesetz, das die Stadt nachhaltiger machen soll (Stichwort Klimawandel). In diesem Jahr gab die Stadt 13,4 Millionen Euro aus, um die bestehende Infrastruktur zu verbessern und neue Radwege einzurichten. Die Warschauer Straße, eine wichtige Verbindungsstraße zwischen Friedrichshain und Kreuzberg, wurde komplett neu asphaltiert, und es wurden luxuriös breite Radwege angelegt – ein echter Traum für Radfahrer. Mehrere Nebenstraßen, die bereits von Radfahrern genutzt wurden um stark befahrene Straßen zu vermeiden, wurden nun speziell als Fahrradstraßen gekennzeichnet. Diese Straßen erlauben zwar auch Wohnverkehr, doch Fahrräder haben Vorrang und Radfahrer dürfen nebeneinander fahren.
BERLINS pop-up-Radwege
Trotz all dieser Verbesserungen gibt es nach wie vor viele heikle Straßen und Kreuzungen. Kottbusser Damm zum Beispiel, eine belebte Einkaufsstraße in Kreuzberg, ist notorisch gefährlich. Diese verlockend direkte Nord-Süd-Route zieht Radfahrer an, obwohl sie nur so von doppelreihig geparkten Lieferwagen, die ihre Güter entladen, und Rowdies in Muscle-Cars geprägt ist, und es leider keinen Radweg gibt. Es ist vielleicht nicht überraschend, dass ich 2013 genau hier von einem Taxi angefahren wurde. Mein armer Körper flog wie ein Sack Kartoffeln über den Lenker, landete zuerst auf der Schotterstraße und dann anschließend auf einer Ambulanzbahre.
Glücklicherweise wird die Unfallrate auf dieser gefährlichen Hauptstraße, dank der neuen „Pop-up-Radwege“ am Kottbusser Damm, sicherlich ebenso fallen. Diese und andere neue Radwege entstanden scheinbar über Nacht an zahlreichen Stellen in der Stadt, und sollen die soziale Distanzierung zwischen Radfahrern während der Pandemie erleichtern. Die Radwege halten Radfahrer auch davon ab, auf den Fußweg auszuweichen und damit den Gehweg für Fußgänger unsicher zu machen, nur um gefährliche Straßen zu vermeiden.
Zum ersten Mal fielen mir diese Pop-up-Radwege auf dem Weg zu einem Freund nach Prenzlauer Berg auf. Ich fuhr vom Frankfurter Tor den Hügel hinauf und bereitete mich mental auf den rissigen und schmalen Radweg entlang der Petersburger Straße vor. Dieser schmale Streifen aus unebenen Pflastersteinen wird von rasendem Verkehr auf der linken Seite und Autofahrern, die ohne groß zu schauen, praktisch blind, aus Winkelparkplätzen zurückstoßen, flankiert. Da es keinen Platz zum Überholen gibt, bleibt man häufig hinter langsamen Fahrern stecken oder kann Radfahrer beobachten, die riskante Manöver ausführen, um voranzukommen. Als ich mich der Petersburger Straße aus dem Kreisverkehr am Bersarinplatz näherte, stellte ich überrascht fest, dass ich durch vorübergehende gelbe Markierungen auf die Straße geschleust wurde. Die neuen Radfahrstreifen sind extra breit, deutlich markiert und durch Sicherheitsbaken mit gelben Reflektoren von der restlichen Straße abgetrennt. Glückseligkeit.
Agile Bürokratie?
Bis Ende April waren bereits 10 Kilometer dieser neuen Radwege eingerichtet und in Betrieb. Wie hat die Stadt das nur so schnell geschafft? (Schließlich ist Berlin nicht gerade für seine technologischen Fähigkeiten oder seine gut geölte Bürokratie bekannt.) Regine Günther, die Berliner Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz, sagte dem Spiegel, dass die Grundlagen bereits gelegt worden seien und es gehe lediglich darum, die bestehenden Pläne zeitlich etwas vorzuziehen. Ihre Abteilung habe in den letzten drei Jahren die rechtlichen Rahmenbedingungen vorbereitet, neues Verwaltungspersonal eingestellt und das Verhältnis zwischen den stadtweiten Hauptämtern und Bezirksämtern verbessert. Günther ist fest davon überzeugt, dass wir die Art und Weise, wie wir den Raum in Städten nutzen, überdenken müssen; sie glaubt, dass es an der Zeit ist, den Fokus weg von den Bedürfnissen der Autofahrer zu verlagern.
Es ist jedoch noch nicht klar, ob die Radwege auch Bestand haben werden. Günther sagte, dass die zuerst einmal vorübergehenden Lösungen letztendlich dauerhaft sein werden, aber der Gemeinderat von Charlottenburg-Wilmersdorf meinte Ende März, dass die Radwege zunächst nur für die Dauer der Pandemie vorgesehen sind, und dass die Umwandlung einer provisorischen Lösung in eine dauerhafte Infrastruktur, ein neues Anhörungsverfahren erfordere.
Ich bin jedoch optimistisch, dass die Radwege nicht verschwinden werden, bloß, um zu einem späteren Zeitpunkt wieder eingerichtet zu werden. Die Deutschen mögen es zwar lieben, alles genau nach Drehbuch zu tun, aber ich denke, es gibt genügend politischen Willen, um ein paar Seiten zu überspringen und diese Änderungen beizubehalten.