Bicultural Urbanite Luke
Zwei Zuhause sind besser als eines: Expat-Weihnachten in Berlin
Einer der größten Nachteile des Daseins als australischer Expat in Berlin ist die gigantische Distanz zu seinen Lieben – und die noch gigantischeren Preise für Flüge nachhause um sie zu sehen.
Und dann ist da noch der Flug selbst. An dieser Stelle sei lediglich festgehalten, dass ich für Jetsetter nichts als Bewunderung übrig habe, die den mörderischen Transit Berlin-Melbourne ohne den willkommenen Beistand eines leckeren Sedativums und eines Glases Wein (oder auch drei) überstehen. Und auch wenn dies vermutlich den Inbegriff eines Erste-Welt-Problems darstellt, vermag dieses Wissen das deliriumartige Gefühl nur wenig abzuschwächen, das irgendwo auf der letzten Teilstrecke dieser Reise von einem Besitz ergreift, wenn der Kopf angesichts der Durchquerung einer grauenerregenden Anzahl von Zeitzonen gleichzeitig zu implodieren und zu explodieren scheint, die Füße zu schmerzempfindlichen Fleischballons angeschwollen sind und das rotznasige, schreiende Kind hinter einem die brandneue Sportart erfunden und gemeistert hat, zwanzig Stunden lang ohne Unterlass zu den unmöglichsten Zeiten gegen die Rücklehne deines Sitzes zu treten.
Dies erklärt höchstwahrscheinlich den Anflug von Neid, den ich verspüre, wann immer meine europäischen Freunde mir erzählen, dass sie mal eben für einen Kurzbesuch nach Hause fahren. Und jedes Jahr, wenn der Dezember wieder ins Haus steht und der Kurzbesuch in Italien oder England oder Frankreich oder Schweden so locker und selbstverständlich stattfindet wie immer, wird dieser Anflug zu einer anhaltenden Qual. Die Flugpreise nach Melbourne sind ohnehin gigantisch, aber es gibt einen deutlich weniger poetischen Ausdruck für die Art von räuberischer Erpressung, der die Fluglinien um die Weihnachtszeit frönen. Und so kommt es, dass ich – sehr zum Entsetzen meiner Mutter – in den letzten sieben Jahren meines Expat-Lebens die stattliche Anzahl von genau einem Weihnachten in Australien verbracht habe.
Das verlorene Privileg uralter Familienverpflichtungen
Nun erzählen wir ja alle gerne lang und breit davon, was für eine enorme Unbill es ist, tagelang mit den Verwandten dicht auf dicht herumzuhocken, Großvögel weichzukochen und dem Sherry übermäßig zuzusprechen, bis jemand aus Versehen die wunden Punkte eines anderen dann doch etwas zu gezielt berührt. Aber wenn man das Privileg erst einmal verloren hat, dieses uralte Ritual familiärer Verpflichtungen zu durchleiden, fängt man doch tatsächlich an, sich nach dem geschwisterlichen Gezanke und dem peinlichen, beschwipsten Wiederaufwärmen verflossener Dramen zu sehnen – sogar nach Muttis nicht enden wollenden Geschichten über den Sohn eines Freundes eines Nachbarn, den man nie auch nur gesehen hat (und was immer gleich noch mit seinem Hund war). Kurz gesagt, man lernt zu schätzen, wie sehr es einen doch erdet, mit seiner Sippschaft zusammenzukommen und sich mit ihr zu zanken und das Brot zu brechen, während sich das Jahr dem Ende zuneigt.Allerdings hat es durchaus nicht nur Nachteile, im Dezember in Berlin gestrandet zu sein. Tatsächlich ist es nämlich schwer, sich vom disneyartigen Charme eines traditionellen deutschen Weihnachtsfestes nicht verzaubern zu lassen: mit roten Backen in einem gemütlichen Kokon aus flackernden Adventskerzen und dampfenden Glühweintassen, während draußen vor dem Fenster die Schneeflocken wirbeln. Wie meine „Bicultural Urbanite“-Kollegin in ihrem eigenen Weihnachts-Posting so eloquent ausführte, weisen die festlichen Bräuche in Deutschland – die unerhört malerischen Märkte, die saisonalen kulinarischen Leckerbissen, die bizarren Aktivitäten rund um das Christkind – eine so reichhaltige und hochgeschätzte Tradition auf, dass es sich hier ganz natürlich anfühlt, sich von der Weihnachtsstimmung mitreißen zu lassen. Es ist definitiv etwas völlig anderes, als in der drückenden Melbourner Hitze Ende Dezember schweißtriefend auf einem Grill herumzustochern und sich geistig auf das kommerzielle Chaos der Schlussverkäufe am Zweiten Weihnachtsfeiertag vorzubereiten.
Aber das Beste an Expat-Weihnachten in Berlin ist für mich nicht die wunderbar kitschige europäische Kulisse; es ist die Authentizität der sentimentalen Erkenntnisse, die der Anlass heraufbeschwört. Denn während sich die unermüdliche Energie von Deutschlands geschäftiger Hauptstadt plötzlich zu einer gespenstisch ruhigen Stille leert, tun sich diejenigen zusammen, die hiergeblieben sind, um die leeren Straßen zu durchwandern. Und wenn man erst einmal mit seinen besten Freunden aus der ganzen Welt zusammen ist, spielt es letztlich keine Rolle mehr, ob man als Hommage an die abwesenden Familien ein vollwertiges Weihnachtsfestmahl kocht oder das Kommen Christi etwas weniger vollwertig in einer Panoramabar abwartet. Im einen wie im anderen Fall ist es etwas ganz Besonderes, sich eine Million Meilen von der Heimat entfernt von Menschen umgeben wiederzufinden, die man liebt und denen man vertraut – ein Gefühl, das alle Grenzen von Brauchtum und Tradition überwindet und einem ins Gedächtnis ruft, wie glücklich man sich schätzen kann, nicht nur ein Zuhause zu haben, sondern gleich zwei.