Bicultural Urbanite Brianna
Als Touristin in der Heimat
In den dunkelsten Tagen des deutschen Winters löst der Vitamin-D-Mangel meinen Heimfinde-Instinkt aus, und so tue ich es den Enten gleich und mache mich auf die lange saisonale Migration Richtung Süden.
Nach 24 Stunden Flug lande ich zerzaust und dehydriert in Melbourne, nach beinahe zwölf Monaten wieder mit meiner Familie vereint. Ich trete vor den Melbourner Flughafen Tullamarine, unmittelbar überwältigt von den bunten Farben und botanischen Düften des australischen Sommers. Ich bin wieder zuhause, aber definitiv keine Einheimische mehr. Wie eine Touristin, die ihre Vergangenheit besucht, genieße ich meine alten Lieblingsgerichte, decke mich mit lebensnotwendigen Gütern ein und erkunde die jüngste Inkarnation der lebenswertesten Stadt der Welt.
In meiner Zeit hier erlebe ich einen Schnappschuss des Lebens in Australien. Das Bild, das sich langsam entwickelt, offenbart einen Mischmasch aus Vertrautem, Unheimlichem und Unerwartetem. Halb Porträt, halb Landschaftsbild, ist die Szene bevölkert mit vertrauten Gesichtern, markanter neuer Architektur, überfüllten Trams und Möwen, die am Strand nach Pommes haschen.
Wie eine Kunsthistorikerin auf BuzzFeed werde ich nun versuchen, dieses Bild zu analysieren, indem ich meine Lieblingsstellen in Listenform aufzeige. (Schließlich ist ein Listicle auf diesem Blog ja auch längst überfällig.)
WENN ICH IN AUSTRALIEN BIN…
…KANN ICH ES KAUM ERWARTEN…
1) Bei meinen Eltern im Hotel Sommer zu bleiben (der Service ist fantastisch, fünf Sterne!).2) Mit meinen Geschwistern und ihren PartnerInnen / Kindern / Hunden abzuhängen.
3) Wörter wie doovalacky (‚Dingsbums‘), longneck (750ml-Bierflasche), op shop (Second-Hand-Laden), garbo (Müllabfuhr-Mitarbeiter), servo (Tankstelle), spag bol (Spagetti Bolognese) und woop woop (das australische Äquivalent von Hintertupfing) zu benutzen – und von den Menschen um mich herum verstanden zu werden.
4) In den Drogerie-Discounter Chemist’s Warehouse zu gehen und so zu tun, als sei ich in der Raff-Gameshow Supermarket Sweep.
5) In den großen Readings-Buchladen zu gehen und so zu tun, als müsste ich nie wieder weg.
6) Ein paar Runden im Freibad zu schwimmen und den Luxus designierter Bahnen zu genießen. (Unfassbarerweise haben die Deutschen das SCHNELL/MITTEL/LANGSAM-System noch nicht ganz kapiert, was zu frustrierenden Staus und gefährlichen Überholmanövern führt.)
…ESSE ICH FÜR MEIN LEBEN GERN…
1) So viel Avocadobrot, wie ich nur kann – und die Tatsache, dass ich trotzdem eine Hypothek habe, widerlegt dann auch gleich den von konservativen australischen Politikern gerne verbreiteten Mythos, man könne sich nun mal nicht beides leisten!2) Frisches, hochwertiges Gemüse und Obst, eine willkommene Abwechslung von der endlosen Kohl-, Paprika- und Kohlrabiparade, die mich jede Woche im Lidl begrüßt.
3) Kulinarische Delikatessen wie Fleischpasteten, Sushi-Rollen für zwei Dollar fünfzig, Fisch und Chips (natürlich mit dem in Australien so beliebten Chicken Salt), ordentlich scharfe indische Currys und authentisches asiatisches Essen.
4) Eine Reihe von Süßigkeiten aus meiner Kindheit, einschließlich – aber nicht beschränkt auf – Musk Sticks, Minties, Chocolate Freckles und Hedgehog (Australiens Antwort auf Kalter Hund).
5) Cola-Slurpees. Ich habe kürzlich entdeckt, dass Slurpees jetzt nur noch einen Dollar kosten. Das ist besonders bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass Australien in meiner Abwesenheit so wohlhabend und teuer geworden ist, dass ein einzelner Dollar im Prinzip wertlos ist. Außer, man mag Cola-Slurpees.
…LEGE ICH VORRÄTE AN VON…
1) Vegemite. Versteht sich von selbst.2) Sonne und Vitamin D. Der Berliner Winter ist trübe, trostlos und dauert FÜNF MONATE.
3) Papaya-Salbe. Genau wie durch Kathmandu-Kleidung oder Flipflops im Winter lassen sich Australier im Ausland anhand der Benutzung dieser Creme zuverlässig identifizieren. Diese als Lippenpflege benutzte Kultsalbe ist bei Australierinnen in aller Welt beliebt.
4) Unterhosen. Wie viele meiner Landsleute kaufe ich normalerweise Unterhosen der Marke Bonds. Bonds scheint den Unterwäschemarkt des Landes fest im Griff zu haben oder hat es zumindest geschafft, eine so fanatische Markenloyalität aufzubauen, dass praktisch jeder elastische Bund auf dem gesamten Kontinent die Endlos-Erklärung BONDSBONDSBONDS trägt.
…BIN ICH VERBLÜFFT VON…
1) Der schieren Dichte des Verkehrs und der GRÖSSE der Autos auf australischen Straßen. Zu Stoßzeiten hat man das Gefühl, einem Monstertruck-Derby im Schneckentempo beizuwohnen.2) Melbourner Leitungswasser. Wieso schmeckt es bloß wie stark gechlortes Schwimmbadwasser?
3) Dem Nachtleben. Viele meiner alten Stammlokale hat der Sand der Zeit verschluckt. Glücklicherweise findet in meiner geliebten Cherry Bar aber nach wie vor jeden Donnerstag Soul In The Basement statt.
4) PayWave. Dieses Debitkarten-Äquivalent einer nie leer werdenden Packung TimTam-Kekse ist einfach unglaublich. Als hätte ich im Lotto gewonnen, zahle ich überall kontaktlos und vergesse völlig, wie viel ich eigentlich ausgebe. Von den offensichtlichen Fallstricken (Ausgeben meines gesamten Geldes) abgesehen, finde ich das unfassbar praktisch.
5) Der lächerlich geringen Besucherzahl bei „One Day International“-Cricketspielen (ODI). Familien strömen eindeutig der „Big Bash“-Liga – dem nationalen Twenty20-Cricket-Wettbewerb – zu, und Baby-Boomer bleiben den Länderspielen treu, sodass es mir und einer Handvoll weiterer tragischer ODI-Fans Mitte dreißig überlassen bleibt, kläglich daran zu scheitern, das Melbourner Cricketstadion mit auch nur einer einzigen La-Ola-Welle erfolgreich zu umrunden.