Bicultural Urbanite Luke
Nicht von dieser Welt: Eine brutalistische Galerie in Berlin
Berlin ist ohne jeden Zweifel eine Stadt, die voll in ihrer kühnen Raumnutzung aufgeht. Eine entspannte Lizenzvergabe für Geschäftsräume und ebenso entspannte Baugenehmigungsvorschriften resultieren in einer ganzen Reihe ungewöhnlicher Ereignisse: renommierte Kunstausstellungen, die in Nazi-Kriegsbunkern untergebracht sind; ausschweifende Technopartys, die in alten Schwimmbecken, Kraftwerken und praktisch jeder anderen denkbaren Art von leerstehendem Gebäude toben; Burgerbuden, die Bratlinge in ehemaligen öffentlichen Toiletten unter der Hochbahnlinie servieren – mitten auf einer chaotischen Kreuzung.
Diese wagemutige, schillernde Einstellung zur räumlichen Verteilung von Kultur, Geschäft und Vergnügen war eines der ersten Dinge, die meine Liebe zu Berlin entfachten, als ich hier als staunender Tourist eintraf. Jeder Ausflug verzauberte mich. Wenn man aus einer Stadt kommt, die so in Watte eingepackt und starr reguliert ist wie Melbourne – wo sogar das Helmtragen beim Fahrradfahren mit erschreckender Wachsamkeit polizeilich überwacht wird und dem ohnehin seltenen Versuch, eine Lagerhallen-Party zu schmeißen, von der Polizei innerhalb weniger Stunden ein Ende bereitet wird – fühlt es sich wunderbar unbotmäßig an, Berlins verwegene Art der Eventplanung und Immobilienentwicklung hautnah zu erleben.
Zu meinen Lieblingsbeispielen eines Berliner Gebäudes, das auf eine Weise umgenutzt wurde, die nicht seinem ursprünglichen Zweck entspricht, gehört der aktuelle Standort der König Galerie. 2002 von Johann König gegründet, fand sich diese angesehene Galerie mit einer Vorliebe für crossmediale, räumliche Kunst an verschiedenen Adressen in der Stadt wieder, bevor sie sich 2015 an ihrem bisher eindrucksvollsten Berliner Standort niederließ – ST. AGNES, einer ehemaligen Kirche mit Gemeindezentrum. Im geografischen Zentrum der Stadt gelegen, wurde der brutalistische Komplex von Johann und Lena König mit Hilfe des Architekten Arno Brandlhuber clever umgenutzt – mit beeindruckender Wirkung.
GOTT STECKT IM DETAIL
Der vielleicht hervorstechendste Aspekt der Wiedergeburt dieser Immobilie als Präsentationsraum für die Arbeiten von Nachwuchs- und etablierten Künstlerinnen und Künstlern ist schlicht die fundamentale Beibehaltung seines Originalzustands. Gott steckt wirklich im Detail – oder in diesem Fall im bewussten Mangel an Details. Als Hommage an die brutalistischen Ursprünge der 5.090 Quadratmeter großen Fläche beschränkte Brandlhuber sein Design auf „einfache Formen und Materialien, wobei im Hinblick auf Ornamente Zurückhaltung geübt und die Materialienin ihren natürlichen Farben belassen wurden“, wie es die Galerie formuliert. Entsprechend bleibt die minimalistisch-transzendente Schönheit des Ausstellungsbereichs im Obergeschoss auf so aufwühlende Weise unverfälscht, dass sie auf den ersten Blick faszinierender ist als die darin ausgestellte Kunst.
Weit davon entfernt, von den Werken der Aussteller abzulenken, scheint dies dem Besucher jedoch vielmehr eine Art limbischen Einstiegspunkt – eine instinktiv-emotionale Vorbereitung – für seine Wahrnehmung zu bieten, bevor er sich der eher zerebralen Aktivität des Erwerbs und der Analyse von kulturellem Kapital zuwendet. Anders gesagt, man spürt die Wirkung des Raums und seines künstlerischen Inhalts, noch bevor man über ihre mögliche Bedeutung nachzudenken beginnt. Mit genügend Intuition können Künstlerinnen und Künstler sich diese Kraft als künstlerische Vorgabe zunutze machen und ihr Werk im Hinblick auf die Räumlichkeiten gestalten, wie es im letzten Jahr der deutsche Künstler Michael Sailstorfer mit seiner gigantischen Installation tat.
Sailstorfers ,Brenner‘, ein beeindruckendes Werk aus seiner ,Hitzefrei‘-Ausstellung von 2017, bestand aus mehreren Karosserien von Fahrzeugen in Produktion sowie einer Reihe zylindrischer Metallelemente, die bis hinauf in die eindrucksvollen Höhen der ehemaligen Kapelle reichten und so den Dachfenstern erlaubten, die imposante Struktur von oben zu beleuchten und lange, spinnenartige Schatten über die weitläufigen leeren Wände zu werfen. Man hatte den Eindruck, der Raum sei speziell für seinen Inhalt gestaltet worden statt umgekehrt; dies steigerte den Grad an räumlich-konzeptioneller Kohäsion und damit die Wirkung des Werks noch zusätzlich.
Neben dem Bewundern ambitionierter Kreationen wie ‚Brenner‘ gehört zum ST. AGNES-Erlebnis derselbe Aspekt wie zu zahlreichen anderen architektonischen Berliner Umbauten: ein Aufgreifen der Allgegenwärtigkeit der Geschichte, die einem Ort anhaftet und mit seiner neuen Funktion kombiniert wird. Nach den Bombenangriffen von 1945 war die umliegende Wohngegend des ursprünglich katholischen Sprengels dem Erdboden gleichgemacht; die Gemeindekirche war zerstört, und der Wiederaufbau wurde dem Architekten und Stadtplaner Werner Düttmann übertragen, der für seine Mitwirkung an der Gestaltung der Berliner Skyline bekannt ist. Die Verschmelzung dieser Art von Vergangenheit mit Werken wie Sailstorfers künstlerischem Kommentar zur modernen Konsumkultur an ein und demselben Ort erzeugt eine ganz bestimmte Art von vielschichtiger Intensität – eine, die ein Markenzeichen des Erlebnisses Berlin ist.